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Zum dritten Mal innerhalb von etwa vier Jahren besuchte ich die nur 810 m lange Schildkröteninsel Changuu Island (Prison Island) nahe von Sansibar im Indischen Ozean, unmittelbar am Äquator gelegen. Nachdem ich mich auf der von Seychellen-Riesenschildkröten bewohnten Insel inzwischen sehr gut auskenne (und beim Personal als Schildkröten-Gesprächspartner willkommen bin), war es mein Ziel, diesmal abseits des offiziellen Besucher-Rundweges im frühen Morgen die hinteren für das allgemeine Publikum unzugänglichen Bereiche der Insel zu durchstreifen, um dort gerade aufwachende Schildkröten zu beobachten.
Bild 1: Anfang März 2010: Anfahrt am frühen Morgen zur Insel mit einem kleinen Fischerboot. Die Fahrt von Sansibar zu Changuu Island dauert je nach Wellengang etwa 30 Minuten und kostet hin und zurück 30 US-$. Der höchste Punkt der flachen Insel liegt nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Dies bedeutet aber, dass die Insel infolge des Klimawandels und des damit verbundenen Anstiegs der Meere irgendwann einmal verschwunden sein wird.
Bild 2: Auf der Insel leben zurzeit etwa 100 mehrjährige und adulte Riesenschildkröten der Art Dipsochelys dussumieri (früher Geochelone gigantea), die ungefähr 35 ein- bis vierjährigen Nachzuchten nicht mitgerechnet. Von den älteren Tieren sind 70 % Weibchen und 30 % Männchen. Die Nachzuchten werden nicht etwa abgegeben oder verkauft, sondern gelangen mit vier bis fünf Jahren in die Erwachsenengruppe. Dass sich der Bestand trotzdem nicht erhöht, liegt vor allem daran, dass nach wie vor Tiere gestohlen und dass viele Schlüpflinge in ihren ersten Lebenstagen von Ratten gefressen oder Großvögeln tödlich verletzt werden. Bis vor wenigen Jahren war es für Diebe eine Leichtigkeit, weil es nicht einmal einen dicht geschlossenen Außenzaun um die Herde gab.
Bild 3: Die Bedeutung der Riesenschildkröten steht leider hinter dem Insel-Luxushotelbetrieb zurück. Wegen der extrem hohen Zimmerpreise gibt es allerdings kaum Touristen: bei meinem Aufenthalt sah ich keinen einzigen (!), der Swimming-Pool war verwaist, das Hotelrestaurant hatte sogar geschlossen. Eine gezielte Zucht mit Bergung der Gelege wird auf Changuu Island nicht betrieben. Erst wenn das Aufsichtspersonal bei gelegentlichen Kontrollgängen im Gelände zufällig Schlüpflinge findet, die rund vier Monate nach der Eiablage aus dem Boden kommen, kommen sie in dieses volierenartige, wenig ansehnliche, aber wenigstens absperrbare Gehege. Als ich dem Hauptbetreuer am Nachmittag kurz vor meiner Abfahrt nach Sansibar vorrechnete, welche Mindestfläche in Deutschland für diese sehr eng gehaltene Gruppe vorgesehen werden sollte, sah er mich nur verwundert mit großen Augen und kopfschüttelnd an ...
Bild 4: Es war ein trüber Morgen kurz vor 8 Uhr, als ich meinen Streifzug quer durch die Insel begann. Dieses Tier schläft noch in einer Art Höhle und ließ sich durch mich auch nicht stören. Trotz der hohen Tagestemperaturen von über 30 °C im Schatten ist es in einigen natürlichen Senken auf Changuu Island sehr feucht. Bei Flut drückt sogar Meereswasser durch das Ufer in die kleinen Senken durch; diese Habitat-Bedingungen scheinen die Aldabra-Schildkröten zu bevorzugen.
Bild 5: Hier ist eine Riesenschildkröte gerade wach geworden und bewegt sich nun, noch etwas apathisch, zum vorderen Teil der Insel, wo sie etwas mehr Grün zu finden hofft als in der Nähe ihres Schlaf- bzw. Rückzugsgebietes. Rabenähnliche Vögel haben mit ihrem Kot den Carapax verschmutzt, doch es gibt offensichtlich niemanden, der den Kot mit Schwamm und Wasser abwischt. Ein zweites Tier schläft noch in der (natürlichen) Höhle.
Bild 6: Ich folgte dem Tier aus Bild 5 eine Zeit lang und beobachtete es, wie es auf dem kargen, steinigen Boden als erste Nahrung nach dem Aufwachen nach den kleinsten frischen Unkraut-Pflänzchen suchte. Hier findet sich nur wenig Fressbares.
Bild 7: Auch dieses Foto entstand in dem für Besucher nicht zugänglichen Teil der Insel, in dem die Weibchen ihre Eier vergraben. Leicht haben sie es bei dieser Tätigkeit auf der felsigen Koralleninsel mit ihrem vulkanischem Unterbau wahrlich nicht.
Bild 8: In der Nähe des Besucherweges (am oberen Bildrand zu erkennen) treffen sich die Riesenschildkröten in etwas größeren Gruppen, genießen die frühe Morgensonne (später wird sie jedoch gemieden), die Stille vor dem Eintreffen der ersten Besucher, meine Streicheleinheiten und warten auf die Fütterung durch das Personal und die ab 9 Uhr nach und nach ankommenden Besucher aus vielen Ländern.
Bild 9: Nach der Morgenfütterung durch die Betreuer und die ersten Besucher tut ein Bad in einem kleinen künstlich angelegten Teich gut, bevor sich die Tiere zum Schutz vor der intensiven Spätvormittagssonne in den Schatten verziehen. Die älteste Seychellen-Riesenschildkröte auf der Insel, ein Männchen, ist rund 180 Jahre alt und soll angeblich noch vom sehr kleinen Anfangsbestand stammen.
Anmerkungen
Man könnte aus der Schildkröten-Insel viel mehr machen, vor allem wenn es zutrifft, dass in der Hochsaison täglich doch bis zu 150 Besucher zur Insel kommen. Im Eintrittshäuschen gibt es trotz meiner früheren Vorschläge an die Leitung immer noch keinen Info-Flyer, eine Toilette findet man erst nach langem Suchen, durstige und hungrige Besucher, vor allem Kinder, haben keine Möglichkeit, sich auf Changuu Island Essen oder Trinken zu kaufen (in Kenntnis der Situation brachte ich mein Mineralwasser selbst mit), einige Holzbalken des Besucherrundweges sind inzwischen morsch geworden und bieten unvorsichtigen Kindern keine Sicherheit mehr gegen Hinabstürzen in die einige Meter tiefer gelegenen Bodenmulden. Das Personal wird offensichtlich knapp gehalten, so dass notwendige Reinigungsarbeiten hinausgeschoben werden: entsprechend „intensiv" riecht es auf der Insel nach Schildkrötenkot. Auffallend ist, dass es bei jedem meiner bisherigen Besuche einen neuen Managing Director gab, insgesamt vier innerhalb von vier Jahren. Keiner von ihnen war und ist Schildkrötenexperte; der einzige erfahrene Herpetologe im Team, mit dem ich bisher wirkliche Fachgespräche führen konnte, ist leider nicht mehr im Dienst.
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass es auf Sansibar eine Art Aufsichtsbehörde gibt, die ein Auge auf die jetzt gegenüber den letzten Jahren deutlich sichtbarer werdenden Missstände hat. Aber die Insel mit ihren Schildkröten ist seit etlichen Jahren in Privatbesitz. Wenn der geplante Haupteinnahmezweig, das Hotel-Business, mangels wohlhabender Touristen wirklich zusammenbrechen sollte, kann man sich gut vorstellen, was mit den Riesenschildkröten passiert. Schade dann um diese wertvollen und interessanten Tiere.
Horst Köhler (2008): Besuch der afrikanischen Insel Changuu: der Aldabra-Riesenschildkrötenpark Tansanias. Marginata, Nr. 17, März-Mai, Jahrgang 5(1)
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von Horst Köhler
Weicht ein neu erschienenes Schildkrötenbuch von früheren Werken in Inhalt und teilweise in den Aussagen und Folgerungen für die Haltung ab, wird es von der Fachwelt besonders genau zur Kenntnis genommen. Dies ist auch gut so. Wenn aber die Kritik über ein derartiges Buch unberechtigt ist und den fundierten Tierbeobachtungen des Autors widerspricht, kann sie nicht unkommentiert hingenommen werden. Die nachfolgende Stellungnahme betrifft die Rezension meines Buches „Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys" in der Februar-Ausgabe 2010 des Infobriefes MINOR, der von der AG Schildköten der DGHT herausgegeben wird. Verfasst haben die Besprechung Dr. Beate Pfau und Dr. Jutta Wiechert.
Neben zahlreichen positiven Stimmen gibt es seit dem Frühjahr 2008 insgesamt drei veröffentlichte negative Buch-Beurteilungen, und zwei von ihnen stammen überraschenderweise von Tierärzten. Kann es sein, dass einige Tierärzte an mittlerweilen überholten Vorstellungen festhalten, weil sie die Bedingungen im Habitat nur ungenügend kennen?
Es geht mir nicht darum, die Aussagen der beiden Autorinnen aus „Rechthaberei" Punkt für Punkt zu widerlegen, aber den Vorwurf von handwerklichen Fehlern kann ich ihnen nicht ersparen. Wenn man ein Buch kritisch bespricht, dann sollte man es wenigstens Seite für Seite gelesen haben. Einige Beispiele:
♦ Dass das Kapitel über Schildkrötenkrankheiten eher kurz ausgefallen ist, ist gewollt und im Buch auch begründet (es gibt hervorragende Bücher über Schildkröten-Krankheiten, da muss kein neues verfasst werden; zumal ich kein Reptilien-Tierarzt bin).
♦ Dass ein Balkongehege ein „Risiko für das Überleben der jungen Tiere" darstellt, gilt nicht, wenn man die Voraussetzungen für ein derartiges Balkongehege berücksichtigt. Und die sind im Buch eingehend beschrieben.
♦ Die Warnung der Autorinnen vor Rosenmulch als Bodensubstrat für Landschildkröten mit Verweis auf seinen angeblich sehr niedrigen pH-Wert und die unterschiedliche Struktur kann ich nicht teilen: der von mir für die älteren Schildkröten im Freigehege verwendete grobe Rindenmulch (Fa. Bauhaus) hat pH = 4 bis 5 (ebenso Piniendekor), ist also wesentlich saurer als der feinere Rosenmulch (Fa. Plantop) mit pH = 5,5 bis 7 oder als der ebenfalls feine Rindenhumus (pH = 5,5 – 6,6). Kollegen der Rezensentinnen halten normalen Rindenmulch für gut verwendbar [z.B. Kölle, Baur & Hoffmann, 1998]; dann gilt dies erst recht für den weniger grob strukturierten und besser gereinigten Rosenmulch, der Feuchtigkeit und Wärme gut zu speichern vermag.
♦ Beanstandet wird ein Bild, das eine zu hohe Versteck- und Kletterhöhle zeigt, dabei ist nur wenige Buchseiten weiter in der Bildunterschrift eines weiteren Fotos mit der gleichen Kletterhöhle ausdrücklich vor der Verwendung von derart steilen Höhlen gewarnt.
♦ Die Aussage meiner Kritikerinnen, dass zu lange Krallen bei Landschildkröten auf Haltungsfehler schließen lassen, ist meiner Meinung nach nicht haltbar: im natürlichen Verbreitungsraum sehe ich häufig Tiere mit zu langen Krallen (Bild 1) und gehe deshalb auch immer mit einer Nagelschere auf Schildkröten-Exkursion.
Bild 1: Wurde dieses Tier nicht artgerecht gehalten, weil es zu lange Krallen (und auch noch Zecken) hat? Nein, diese Plastronaufnahme eines Testudo graeca ibera-Weibchens stammt aus dem natürlichen Verbreitungsraum dieser Unterart bei Kemer an der Türkischen Riviera. Man sollte bei den Schildkrötenhaltern durch Aussagen wie die, dass lange Krallen auf Pflegefehler schließen lassen, keine Schuldgefühle aufkommen lassen...
Doch nun zu den für die Leser dieses Beitrages sicherlich interessanteren Vorwürfen. Meine Kommentare dazu sind zur besseren Kenntlichmachung kursiv gehalten.
Gleich der erste Vorwurf gipfelt darin, dass die im Buch abgebildeten maurischen Landschildkröten nicht der Unterart Testudo graeca ibera, sondern der Unterart Testudo graeca terrestris zugerechnet werden müssen, bei der es sich, so die Behauptung der Rezensentinnen weiter, „um eine ökologisch anders spezialisierte Unterart" handeln soll.
Auch wenn hinter der Art Testudo graeca immer noch viele Fragezeichen stehen und der Forschungsbedarf entsprechend groß ist, ist diese Behauptung falsch. Denn als Verbreitungsgebiet von T. g. terrestris gilt die (süd)östliche Türkei (beginnend bei der Stadt Adana), der Norden Israels, des Libanon und Syriens bis über die nördlichen Regionen des Iraks weiter in Richtung Osten. Alle in meinem Buch abgebildeten frei lebenden maurischen Landschildkröten T. graeca wurden aber von mir südwestlich von Antalya fotografiert, also mindestens 400 km Luftlinie westlich von Adana; exakt diesen Lebensraum kenne ich von etwa zehn Besuchen sehr gut. Im Übrigen gibt es einen deutlich erkennbaren Unterschied der beiden Unterarten, denn T. g. terrestris ist deutlich heller gefärbt und besitzt an den Vorderbeinen gelblich gefärbte Schuppen [Pieh & Philippen, 2007]. Ich meine daher, dass sich die beiden Rezensentinnen nicht als „Hobby-Systematiker" mit falschen Aussagen betätigen, sondern dieses Feld erfahrenen Herpetologen überlassen sollten. Ich selbst bin ebenfalls kein Fachmann für Schildkröten-Taxonomie und habe mir deshalb bei den Vorarbeiten zum Buch den Unterartstatus der abgebildeten Tiere durch vorgelegte Fotos von Fachleuten bestätigen lassen.
Im Kapitel über die Ernährung würde ich, so die Kritik weiter, z.B. süßes Obst, Milch- und Getreideprodukte und wasserreiches Gemüse, also „gänzlich ungeeignete Futtersorten" empfehlen.
Hier haben die Rezensentinnen offensichtlich ebenfalls nicht genau gelesen, denn auf der Buchseite 131 warne ich ausdrücklich vor einer ständigen Verfütterung derartiger Produkte, sehe aber in einer gelegentlichen Zugabe zum Hauptfutter keine Gefahr. Dies gilt ganz besonders für süßes Obst, das die Tiere nach meiner Beobachtung gerne überall im natürlichen Lebensraum aufnehmen. Nach neueren Untersuchungen [Bidmon, 2009] dürfen saftige, süße Früchte als gelegentliche Abwechslung durchaus verfüttert werden, allerdings nur in der warmen Jahreszeit (d.h. bei Carapaxtemperaturen um 30 °C, siehe unten).
Dass Früchte bei manchen Arten fast eine Hauptnahrung darstellen, zeigt eine neuere Arbeit über die südamerikanische Waldschildkröte Chelonoidis denticulata [Jerozolimski Adriano et.al., 2009]: bei Kotuntersuchungen wild lebender Tiere dieser Art stellte sich heraus, dass Früchte das zweithäufigste Futter sind.
Nächster Vorwurf: ich halte meine Zuchttiere von Testudo graeca ibera und Testudo hermanni boettgeri, also verschiedene Arten, in einem gemeinsamen Gehege (wobei ein Ausweichgehege bei zu rabiat werdenden Männchen existiert). In den Vorkommensgebieten beider Arten würden sich im Gegensatz dazu die Habitat- und Temperaturansprüche unterscheiden, was, so folgern wohl die Kritikerinnen, in der Pflege entsprechend zu berücksichtigen wäre.
Letzteres wäre aus meiner Sicht stark übertrieben, denn die minimalen Unterschiede in den recht ähnlichen Naturbiotopen beider Arten sind angesichts der deutlich abweichenden klimatischen Bedingungen hierzulande vernachlässigbar. Wenn man nur eine Art, z.B. T. graeca in der Türkei betrachtet, weichen die in den weiten Vorkommensgebieten herrschenden Umgebungsbedingungen deutlich voneinander ab: die gleiche Art kommt sowohl in feucht-warmen küstennahen Dünenlandschaften, in landwirtschaftliche genutzten Gebieten und in 1.500 m Höhe im Taurusgebirge vor. Und da wird ernsthaft daran gedacht, T. hermanni boettgeri und T. graeca im heimischen Gehege unterschiedlich zu halten?
Es muss auch gestattet sein, aufzuzeigen, dass die Vergesellschaftung trotz mancher gegenteiliger Erfahrungen durchaus möglich ist – z.B. wenn man die Tiere von klein auf in der gleichen Gruppe aufzieht. Der Vorwurf, ich hätte nicht darauf hingewiesen, dass streitsüchtige Tiere getrennt werden müssen, ist überflüssig: die Rezensentinnen sollten zu diesem Punkt die Seite 51 oben nachlesen. Außerdem ist es wohl für jeden Schildkrötenhalter eine Selbstverständlichkeit, ständig streitende Tiere zu separieren und im Notfall - wenn kein passendes Zweitgehege zur Verfügung steht - auch die eine oder andere Schildkröte (wieder) abzugeben.
Zu meinen zahlreichen Carapax-Temperaturmessungen an Schildkröten aus ganz unterschiedlichen Gattungen und meiner daraus abgeleiteten Haltungsempfehlung in Innenräumen (Bestrahlung durch Wärmelampen so, dass die höchste Carapaxtemperatur 30 °C nicht wesentlich übersteigt, wenn die Schildkröte direkt unter der Lampe ruht), wird mir entgegengehalten, dass bei Testudo graeca ibera in Nordgriechenland eine durchschnittliche Körpertemperatur von 30,3 ± 2,9 °C für Männchen und 30,8 ± 3,1 °C für Weibchen gemessen wurden, Werte also, die - so die Kritik - bei den von mir vorgeschlagenen Haltungsbedingungen angeblich nicht erreicht werden können.
Ich möchte hier nicht ins Detail gehen und vor allem nicht den Zusammenhang von Körper- und Carapaxtemperatur diskutieren, ganz abgesehen davon, dass die hier genannten Werte eigentlich überraschend gut mit meinen Messwerten übereinstimmen. Oft wird nämlich nicht berücksichtigt, dass im Körper von Landschildkröten eine (geringe) Wärmeproduktion durch den Stoffwechsel der die Nahrung aufspaltenden Verdauungsbakterien stattfindet und die kloakale Temperatur erhöht [Bidmon, 2007], mitunter sogar über die Carapaxtemperatur hinaus. Wenn eine Schildkröte, wie in meinem Buch beschrieben, an trüben und kühlen Tagen schon morgens herumwandert und trotz niedriger Carapaxtemperatur Nahrung aufnimmt (Bild 2), dann ist die Erklärung dafür diese innere Wärmeproduktion, die die Temperatur im Körper erhöht. Diese Zusammenhänge sind den beiden Rezensentinnen vielleicht nicht bekannt. Ich weise nur daraufhin, dass je nach Außentemperatur die Differenz zwischen Körper- und Carapaxtemperatur ganz unterschiedlich sein kann, vor allem während und kurz nach einer erfolgten Thermoregulation [Edwards & Blouin-Demers, 2007].
Bild 2: Ein Bild, das es nach dem mittlerweilen 20 Jahre alten „Schulwissen" über die Landschildkrötenpflege eigentlich „gar nicht geben dürfte": eine maurische Landschildkröte an einem trüben Frühjahrstag beim Fressen bei einer Umgebungstemperatur von nicht einmal 11 °C. Dies ist durchaus kein Ausnahmefall, aber nur bei großen, älteren Tieren zu beobachten, bei denen durch die Enzymtätigkeit im Körper Wärme produziert wird. Das Bild dient nur dokumentatorischen Zwecken und soll keinesfalls dazu anregen, Landschildkröten bei derart tiefen Temperaturen im Freien ohne Schutzhütte zu halten. Beide Fotos stammen vom Autor.
Wenn ich wiederholt zu verschiedenen Jahreszeiten gemessen habe, dass sich mehrere Arten (auch tropische) bei Erreichen einer Carapaxtemperatur von etwa 30-32 °C nicht mehr der freien Sonne aussetzen, sondern unverzüglich Schattenplätze aufsuchen, ist es nur richtig, dies auch in der Haltung umzusetzen und die Tiere nicht etwa Temperaturen um 45 °C, also nahe am Letalwert, auszusetzen (was, nebenbei bemerkt, eine große Energieverschwendung ist), auch dann nicht, wenn dieser Wert nur in einem Teilbereich des Geheges erreicht wird. Der von mir auch bei Riesenschildkröten nachgewiesene „Schwellenwert" von 30-32 °C wurde auch von anderer Seite bestätigt: Gerlach [2005] maß beispielsweise bei Seychellen-Riesenschildkröten nie höhere Kloakentemperaturen als 27 bis 33 °C, weil die Riesenschildkröten eben bei intensiver Sonnenbestrahlung die Sonne konsequent meiden, was ich bei allen meinen Besuchen äquatorialer Vorkommensgebiete wiederholt selbst feststellen konnte.
Kritisiert wird schließlich, dass ich einerseits von der Verabreichung von Vitamin D3 ohne entsprechende Verordnung durch einen Tierarzt abrate, dann aber (auf Seite 48) doch ein konkretes Präparat mit genauer Dosierungsangabe nenne.
Auch hier haben die beiden Rezensentinnen offensichtlich nur flüchtig gelesen: nur im Fall eines durch den Tierarzt nachgewiesenen Vitamin-D3-Defizites, wie es bei längerer Innenhaltung ohne UV-B-Bestrahlung entstehen kann, sollte „in Absprache mit einem mit Reptilien gut vertrauten Tierarzt, der das betreffende Tier auch wirklich gesehen und untersucht hat" (wörtliches Zitat aus dem Buch), das betreffende Medikament über das Futter oder das Trinkwasser verabreicht werden. Werden die Schildkröten in der warmen Jahreszeit im Freien gehalten, bedarf es selbstverständlich keiner Vitamin D3-Zufütterung. Wo ist also der beanstandete Widerspruch?
Fazit
Insgesamt gesehen halte ich die in der Zeitschrift MINOR abgedruckte Rezension als im hohen Maße missglückt und fehlerhaft. Nicht, weil durch die Kritik vielleicht einige Bücher weniger verkauft werden, sondern weil meine Empfehlungen für die Haltung, die ausschließlich aus belegten Naturbeobachtungen im Habitat, Verhaltensstudien im eigenen Gehege und der neueren Fachliteratur abgeleitet sind, infrage gestellt, missverstanden oder nicht zur Kenntnis genommen werden. Eine vorherige Rücksprache mit mir zu den einzelnen, angeblich strittigen Punkten wäre wohl besser gewesen.
Literatur
Bidmon, H.-J. (2007): pers. Mitteilung an den Autor vom 24.8.2007
Bidmon, H.-J. (2009): Ernährungsgrundlagen und Darmpassagezeiten bei herbivoren Landschildkröten – oder wie selektierende Nahrungsgeneralisten auch unter extremen Bedingungen überleben: eine Übersicht. Schildkröten Im Fokus, 6 (1), S. 3-26
Edwards, A.L. & Blouin-Demers, G. (2007): Thermoregulation as a function of thermal quality in a nothern population of painted turtles, Chrysemys picta. Can. J. Zoology, 85, S. 526-535
Gerlach, Justin (2005): Thermoregulation in captive Indian Ocean giant tortoises. Chelonian Conservation and Biology 4 (4), S. 937-941
Jerozolimski Adriano et. al. (2009): Are tortoises important seed dispersers in Amazonian forests? Oecologia, 161, S. 517-528
Köhler, Horst (2009): „Balkon-Schildkrötengehege? Ja, aber nicht generell" www.schildi-online.eu, Rubrik „Berichte & Artikel", Bild 1, 22.4.2009
Kölle, P., Baur, M. & Hoffmann, R. (1998): Kardinalfehler bei der Landschildkrötenpflege, 1. Teil. DATZ 5 (12), S. 796-800
Pieh Alexander & Philippen Hans-Dieter (2007): Mediterrane Landschildkröten. DRACO Nr. 32, S. 4-34
Dieser Beitrag wurde am 10. Juni 2010 online gesetellt.
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Ameisen, (größere) Vögel, Ratten, Marder, Füchse, Hunde und teilweise auch Katzen stellen eine Gefahr für die von uns gepflegten Schildkröten-Babys mit ihren noch weichen Panzern dar (siehe auch Horst Köhler: "Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys", Schildi-Verlag Augsburg, 2008). In der Natur kommen noch weitere Fressfeinde dazu, wie z.B. Schlangen oder Wildschweine.
Igel (Erinaceus europaeus) gelten nicht gerade als Bedroher von Schildkröten-Schlüpflingen, auch wenn sie sich als reine Insektenfresser überwiegend von tierischer Nahrung (kranke Vögel, Mäusejunge, Regenwürmer, Insekten, Schnecken usw.) und nur ganz gelegentlich von Obst und pflanzlichem Material ernähren.
Nun ist mir aber vor einigen Tagen trotzdem ein Todesfall eines etwa 10 Monate alten Testudo graeca-Jungtieres aus meiner Zucht zu Ohren gekommen, an dem ein Igel der „Schuldige" war. Meine Kundin, in Frankreich wohnend, hielt drei Nachzuchten aus 2009 in einem Aufzuchtgehege mit Abdeckung in ihrem Garten. Letzte Woche war plötzlich eines der drei Tiere schwer verletzt: Bisswunden waren zwar nicht zu sehen, aber die oberste Hornschicht fehlte auf dem Rückenpanzer (Carapax) zu einem Drittel und auf dem Bauchpanzer (Plastron) etwa zu einem Viertel der Fläche. Die „bearbeiteten" Schilde sahen wie abgeschliffen aus, das betroffene Tier, das vitalste der Dreiergruppe, blutete zudem leicht. An den beiden anderen Schildkröten waren keine Verletzungen zu sehen.
Die Besitzerin kann sich die Verletzungen nur durch einen Igel verursacht vorstellen; andere, echte Fressfeinde (Ratten, Schlangen usw.) scheiden aus. Für den Igel als Täter, der selbst nicht gesehen wurde, spricht, dass einige Igel im Garten der Schildkrötenbesitzerin leben, vor allem aber, dass Igelkot im Baby-Gehege aufgefunden wurde. Vermutlich hatte sich der Igel durch die Maschen der Abdeckung gezwängt und war so zu den Baby-Schildkröten gelangt, vielleicht angelockt durch übrig gebliebenes Futter. Er fand aber offensichtlich nur mit großer Mühe den Weg zurück nach draußen und bearbeitete dabei in voller Panik das Jungtier. Gut vorstellbar ist, dass er, auf den Hinterfüßen stehend, strampelnd, zappelnd und scharrend versucht hat, nach oben durch das Gitter zu entkommen, wobei er - wahrscheinlich rein zufällig - auf dem Jungtier stand und es dabei verletzte. Vielleicht war es ja sogar so, dass die junge Schildkröte, durch die Geräusche neugierig geworden, selbst unter den Igel krabbelte.
Dies ereignete sich in der Nacht von Freitag auf Samstag, und der französische Reptilientierarzt am Ort hatte am Wochenende keine Sprechstunde. Die Schildkrötenbesitzerin suchte zwar noch eine allgemeine Tierklinik auf, wo man ihr ein Antibiotikum für die Schildkröte gab – doch die Infektion war vermutlich schon so weit fortgeschritten, dass das Tier noch am Tag nach der Attacke einging.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Igel die Schildkröte bewusst angriff. Trotzdem liegt man als Besitzer eines Schildkröten-Babys immer sicher, wenn man den bzw. die Kleinen die ersten beiden Jahre nachts ins Haus holt.
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Taschenatlas Schildkröten: 111 Arten im Portrait
von Manfred Rogner
Format 13 x 19 cm, 128 Seiten, 114 Farbfotos, Verlag Eugen Ulmer Stuttgart, 2009, ISBN 978-3-8001-5866-9, Preis € 9,90
„Alle häufig in Menschenobhut gehaltene Land- und Wasserschildkröten werden in diesem Bändchen vorgestellt", so die Aussage des herausgebenden Ulmer-Verlages, wobei jedoch auch Schildkröten aufgeführt sind, die mit Carapaxlängen von über 60 cm nur Zoos vorbehalten sein sollten (zumal die meisten dieser Tiere keinen Winterschlaf halten, also in unserem Winter in zimmergroßen Terrarien im Haus gehalten werden müssten). Dies hätte gelegentlich als Warnhinweis nicht geschadet, wie ja auch konsequenterweise alle Riesenschildkrötenarten unberücksichtigt geblieben sind. Wie der Untertitel andeutet, werden 111 Arten mit jeweils einem halbseitigen Foto und etwa einer halben Seite Text vorgestellt. Den Piktogrammen in einer schmalen Zeile direkt unter den (Bestimmungs-) Fotos sind weitere wichtige Angaben zur maximal erreichten Körperlänge, zur Terrarien/Aquariengröße, Lufttemperatur bzw. Temperatur unter einem Wärmestrahler sowie zum Freilandaufenthalt zu entnehmen. Die Kurztexte sind gegliedert in drei Abschnitte: Beschreibung / Lebensraum, Aussehen, Pflege / Vermehrung.
Die Arten sind alphabetisch nach Gattungsnamen aufgeführt, wobei Land- und Wasserschildkröten nicht getrennt sind. So folgt z.B. auf die Steppenschildkröte (Agrionemys horsfieldii) gleich auf der gegenüber liegenden Seite zwangsläufig die mit bis zu 67 cm Länge größte nordamerikanische Weichschildkröte (Apalone ferox). Liebhaber von Landschildkröten dürften etliche bekannte Arten vermissen: so findet man zwar von der Maurischen Landschildkröte als Unterarten die Anamur-Landschildkröte (Testudo graeca anamurensis) und die Tunesische Landschildkröte (T. g. nabeulensis), nicht aber die häufiger gepflegte Unterart T. g. ibera. Ferner fehlen Arten wie die Dalmatinische Landschildkröte (Testudo hermanni hercegovinensis), die Gopherschildkröten, die Madagassische Schnabelbrustschildkröte (Astrochelys yniphora) und die gelegentlich mit der Indischen Sternschildkröten verwechselbaren südafrikanischen Psammobates-Arten P. oculiferus und P. tentorius.
Etliche Landschildkrötenarten fehlen im besprochenen Buch, doch die auf dem nebenstehenden Foto gezeigte faszinierende afrikanische Spaltenschildkröte (Malacochersus tornieri) aus Kenia und Tansania ist mit einem Foto und einem kurzen Text vorgestellt. Die besondere Anpassung an Felsspalten in ihrem Lebensraum, der bis zu 1.800 m Höhe reicht, ist einzigartig. Diese Tiere bewegen sich infolge ihres dünnen und daher leichten Panzers relativ schnell und können sich so bei Gefahr in wenigen Augenblicken in Spaltenräume retten, in denen sie sich dann durch Aufblasen regelrecht verkeilen. Spaltenschildkröten, deren Pflege etwas für Spezialisten ist, gehören zu den am meisten bedrohten Tierarten weltweit und genießen einen sehr strengen Schutz. Bei der hier gezeigten Schildkröte handelt es sich um eine etwa zwei Jahre alte Nachzucht (Schlupf April 2007). Die bei Jungtieren sehr stark ausgeprägte Strahlenzeichnung verblasst jedoch etwas mit dem Alter. Spaltenschildkröten werden nicht größer als 20 cm. Foto von Horst Köhler.
Durch die Kürze der Texte auf das unbedingt Notwendige bleiben zwangsläufig wichtige Fakten auf der Strecke, so z.B. der jeweilige Artenschutzstatus, doch der Autor gesteht selbst ein, dass das Studium dieses preisgünstigen Bändchens nicht die einzige Schildkrötenlektüre sein darf. Es ist mit Hilfe der steckbriefartigen Beschreibungen auch beim besten Willen nicht möglich, die verschiedenen Unterarten der Griechischen und Maurischen Landschildkröten sicher zu unterscheiden.
Bei einigen beschriebenen Arten ist die empfohlene Temperatur im Terrarium von 45 °C unter dem Wärmespot zu hoch: man wird im natürlichen Verbreitungsraum kaum Schildkröten bei derartigen Temperaturen über längere Perioden hinweg sonnenbadend finden. Bei der Vorstellung der Ägyptischen Landschildkröte (Testudo kleinmanni) ist die angeführte Temperatur im Biotop von „bis zu 30 °C sicherlich ein Druckfehler. Denn das ist wohl nur die Temperatur, bei der sich diese Schildkröte auf die bevorstehende Sommerruhe (Aestivation) bei dann wesentlich höheren Temperaturen im Freien vorbereitet. Zu guter Letzt: bei den vorgeschlagenen Internet-Schildkrötenadressen vermisst man die Website www.schildi-online.eu, seit knapp zwei Jahren immerhin eine der erfolgreichsten werbefreien Schildkrötenseiten Deutschlands.
HK.