Bilder und Texte von Horst Köhler, Friedberg


Zum dritten Mal innerhalb von etwa vier Jahren besuchte ich die nur 810 m lange Schildkröteninsel Changuu Island (Prison Island) nahe von Sansibar im Indischen Ozean, unmittelbar am Äquator gelegen. Nachdem ich mich auf der von Seychellen-Riesenschildkröten bewohnten Insel inzwischen sehr gut auskenne (und beim Personal als Schildkröten-Gesprächspartner willkommen bin), war es mein Ziel, diesmal abseits des offiziellen Besucher-Rundweges im frühen Morgen die hinteren für das allgemeine Publikum unzugänglichen Bereiche der Insel zu durchstreifen, um dort gerade aufwachende Schildkröten zu beobachten.

 

Bild1Erwachenklein Bild 1: Anfang März 2010: Anfahrt am frühen Morgen zur Insel mit einem kleinen Fischerboot. Die Fahrt von Sansibar zu Changuu Island dauert je nach Wellengang etwa 30 Minuten und kostet hin und zurück 30 US-$. Der höchste Punkt der flachen Insel liegt nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. Dies bedeutet aber, dass die Insel infolge des Klimawandels und des damit verbundenen Anstiegs der Meere irgendwann einmal verschwunden sein wird.


 

 

 

 

Bild2ErwachenkleinBild 2: Auf der Insel leben zurzeit etwa 100 mehrjährige und adulte Riesenschildkröten der Art Dipsochelys dussumieri (früher Geochelone gigantea), die ungefähr 35 ein- bis vierjährigen Nachzuchten nicht mitgerechnet. Von den älteren Tieren sind 70 % Weibchen und 30 % Männchen. Die Nachzuchten werden nicht etwa abgegeben oder verkauft, sondern gelangen mit vier bis fünf Jahren in die Erwachsenengruppe. Dass sich der Bestand trotzdem nicht erhöht, liegt vor allem daran, dass nach wie vor Tiere gestohlen und dass viele Schlüpflinge in ihren ersten Lebenstagen von Ratten gefressen oder Großvögeln tödlich verletzt werden. Bis vor wenigen Jahren war es für Diebe eine Leichtigkeit, weil es nicht einmal einen dicht geschlossenen Außenzaun um die Herde gab.


Bild3ErwachenkleinBild 3: Die Bedeutung der Riesenschildkröten steht leider hinter dem Insel-Luxushotelbetrieb zurück. Wegen der extrem hohen Zimmerpreise gibt es allerdings kaum Touristen: bei meinem Aufenthalt sah ich keinen einzigen (!), der Swimming-Pool war verwaist, das Hotelrestaurant hatte sogar geschlossen. Eine gezielte Zucht mit Bergung der Gelege wird auf Changuu Island nicht betrieben. Erst wenn das Aufsichtspersonal bei gelegentlichen Kontrollgängen im Gelände zufällig Schlüpflinge findet, die rund vier Monate nach der Eiablage aus dem Boden kommen, kommen sie in dieses volierenartige, wenig ansehnliche, aber wenigstens absperrbare Gehege. Als ich dem Hauptbetreuer am Nachmittag kurz vor meiner Abfahrt nach Sansibar vorrechnete, welche Mindestfläche in Deutschland für diese sehr eng gehaltene Gruppe vorgesehen werden sollte, sah er mich nur verwundert mit großen Augen und kopfschüttelnd an ...


 

 

 

 

 

 

Bild4ErwachenkleinBild 4: Es war ein trüber Morgen kurz vor 8 Uhr, als ich meinen Streifzug quer durch die Insel begann. Dieses Tier schläft noch in einer Art Höhle und ließ sich durch mich auch nicht stören. Trotz der hohen Tagestemperaturen von über 30 °C im Schatten ist es in einigen natürlichen Senken auf Changuu Island sehr feucht. Bei Flut drückt sogar Meereswasser durch das Ufer in die kleinen Senken durch; diese Habitat-Bedingungen scheinen die Aldabra-Schildkröten zu bevorzugen.


 

 

 


Bild5ErwachenkleinBild 5: Hier ist eine Riesenschildkröte gerade wach geworden und bewegt sich nun, noch etwas apathisch, zum vorderen Teil der Insel, wo sie etwas mehr Grün zu finden hofft als in der Nähe ihres Schlaf- bzw. Rückzugsgebietes. Rabenähnliche Vögel haben mit ihrem Kot den Carapax verschmutzt, doch es gibt offensichtlich niemanden, der den Kot mit Schwamm und Wasser abwischt. Ein zweites Tier schläft noch in der (natürlichen) Höhle.


 

 

 

 

Bild6Erwachenklein

Bild 6: Ich folgte dem Tier aus Bild 5 eine Zeit lang und beobachtete es, wie es auf dem kargen, steinigen Boden als erste Nahrung nach dem Aufwachen nach den kleinsten frischen Unkraut-Pflänzchen suchte. Hier findet sich nur wenig Fressbares.

 

Bild7ErwachenkleinBild 7: Auch dieses Foto entstand in dem für Besucher nicht zugänglichen Teil der Insel, in dem die Weibchen ihre Eier vergraben. Leicht haben sie es bei dieser Tätigkeit auf der felsigen Koralleninsel mit ihrem vulkanischem Unterbau wahrlich nicht.



 

 

 

 

 

 

 

Bild8ErwachenkleinBild 8: In der Nähe des Besucherweges (am oberen Bildrand zu erkennen) treffen sich die Riesenschildkröten in etwas größeren Gruppen, genießen die frühe Morgensonne (später wird sie jedoch gemieden), die Stille vor dem Eintreffen der ersten Besucher, meine Streicheleinheiten und warten auf die Fütterung durch das Personal und die ab 9 Uhr nach und nach ankommenden Besucher aus vielen Ländern.

 


 


 

 

 

Bild9Erwachenklein

Bild 9: Nach der Morgenfütterung durch die Betreuer und die ersten Besucher tut ein Bad in einem kleinen künstlich angelegten Teich gut, bevor sich die Tiere zum Schutz vor der intensiven Spätvormittagssonne in den Schatten verziehen. Die älteste Seychellen-Riesenschildkröte auf der Insel, ein Männchen, ist rund 180 Jahre alt und soll angeblich noch vom sehr kleinen Anfangsbestand stammen.

 

Anmerkungen
Man könnte aus der Schildkröten-Insel viel mehr machen, vor allem wenn es zutrifft, dass in der Hochsaison täglich doch bis zu 150 Besucher zur Insel kommen. Im Eintrittshäuschen gibt es trotz meiner früheren Vorschläge an die Leitung immer noch keinen Info-Flyer, eine Toilette findet man erst nach langem Suchen, durstige und hungrige Besucher, vor allem Kinder, haben keine Möglichkeit, sich auf Changuu Island Essen oder Trinken zu kaufen (in Kenntnis der Situation brachte ich mein Mineralwasser selbst mit), einige Holzbalken des Besucherrundweges sind inzwischen morsch geworden und bieten unvorsichtigen Kindern keine Sicherheit mehr gegen Hinabstürzen in die einige Meter tiefer gelegenen Bodenmulden. Das Personal wird offensichtlich knapp gehalten, so dass notwendige Reinigungsarbeiten hinausgeschoben werden: entsprechend „intensiv" riecht es auf der Insel nach Schildkrötenkot. Auffallend ist, dass es bei jedem meiner bisherigen Besuche einen neuen Managing Director gab, insgesamt vier innerhalb von vier Jahren. Keiner von ihnen war und ist Schildkrötenexperte; der einzige erfahrene Herpetologe im Team, mit dem ich bisher wirkliche Fachgespräche führen konnte, ist leider nicht mehr im Dienst.
Ich kann nur hoffen und wünschen, dass es auf Sansibar eine Art Aufsichtsbehörde gibt, die ein Auge auf die jetzt gegenüber den letzten Jahren deutlich sichtbarer werdenden Missstände hat. Aber die Insel mit ihren Schildkröten ist seit etlichen Jahren in Privatbesitz. Wenn der geplante Haupteinnahmezweig, das Hotel-Business, mangels wohlhabender Touristen wirklich zusammenbrechen sollte, kann man sich gut vorstellen, was mit den Riesenschildkröten passiert. Schade dann um diese wertvollen und interessanten Tiere.

 

Früherer ausführlicher Besuchsbericht über die Insel Changuu Island und ihre Riesenschildkröten:
Horst Köhler (2008): Besuch der afrikanischen Insel Changuu: der Aldabra-Riesenschildkrötenpark Tansanias. Marginata, Nr. 17, März-Mai, Jahrgang 5(1)

Online gestellt am 7. August 2010.