von Horst Köhler, Friedberg


Jetzt, in der zweiten Februarhälfte, wird es Zeit, an die Auswinterung von jungen Landschildkröten zu denken; dies gilt insbesondere für Nachzuchten aus den beiden letzten Jahren 2013 und 2014. Während ausgewachsene Landschildkröten durchaus fünf Monate lang in der Winterruhe (Hibernation) verbleiben können, reichen bei ein- bis zweijährigen Nachzuchten sechs bis acht Wochen.

Ich überwinterte in dem langsam zu Ende gehenden Winter meine zehn noch nicht abgegebenen (telweise aber bereits für das Frühjahr reservierten) Jungtiere in einem unbeheizten Kellerraum in einem Karton, wobei die etwa 20 cm hohe Substratschicht mit einer etwa 10-15 cm hohen Schicht nicht verrottender Buchenlaubblätter abgedeckt war. Bei ständig geöffnetem Kellerfenster schwankten die Raumtemperaturen in den vergangenen Wochen zwischen 6 und 12 °C. Diese Schwankungen halte ich keinesfalls für schädlich, sondern eher für einen Vorteil, vor allem gegenüber der Überwinterung im Kühlschrank. In den südlichen natürlichen Verbreitungsgebieten der Europäischen Landschildkröten kann es an winterlichen Sonnentagen an geschützten, sonnenbeschienenen Stellen durchaus mal 15 °C oder sogar noch wärmer werden. Manche Schildkröten wachen dann kurzzeitig auf, erwärmen sich an der Sonne, trinken etwas und ziehen sich nach ein oder zwei Stunden wieder in ihre geschützten Winterhöhlen bzw. -Verstecke zurück.
Die einzige Maßnahme, die ich während der gesamten Hibernation durchführte, war ein wöchentliches Besprühen der Blätter mit einem Blumen-Pumpsprüher. Noch nie in meiner Praxis als Schildkrötenzüchter habe ich Jungtiere oder auch adudlte Tiere während der Hibernation kontrolliert oder gar gewogen - und damit ihre Ruhe gestört.

Nach Ablauf von sieben Wochen ab dem Tag der Einwinterung kamen die Kleinen für zwei Tage in ihrem Karton in einen anderen, wärmeren Kellerraum, in dem die Temperatur im Winter auch nachts nie unter 12 °C abfällt. Danach stellte ich sie für weitere zwei Tage in unseren Hausflur, in dem es typischerweise etwa 15 °C warm ist. Zu Beginn des 5. Tags, ein erstes Rascheln setzte nunmehr ein, kam der Karton mit den Tieren in unser Wohnzimmer; dort liegen die Temperaturen tagsüber bei 22-23 °C, nachts bei 19 °C.

24 Stunden später saß bereits eine kleine Schildkröte neugierig ganz oben auf der Blätterschicht, die ich nun vorsichtig entfernte. Nun wurde es spannend, aber alle übrigen Tiere hatten sich bereits ganz aus dem Substrat emporgegraben - so dass ich nicht lange nach ihnen suchen musste. Sie wurden sofort gewogen und das Gewicht mit dem unmittelbar vor der Hibernation gemessenen verglichen. Ergebnis: die Kleinen hatten zwischen 5 und 16 % ihres Gewichts vom Tag der Einwinterung abgenommen. Danach konnten sie in einem 15-minütigen Bad im lauwarmem Wasser Flüssigkeit aufnehmen und ihre Körpertemperatur weiter erhöhen. Schließlich setzte ich sie in ihr oben offenes "Terrarium", bei mir ein Katzen-WC - zunächst für einige Stunden bei noch nicht eingeschalteter Bestrahlung / Beleuchtung. 

Manchem Leser dieses Artikels mag eine Gewichtsabnahme bei Jungtieren von rund 15 %  in nur 7 Wochen Hibernation als zu viel erscheinen, sprechen dann gleich von einem regelrechten Alarmsignal und würden am liebsten einen Tierarzt aufsuchen. Doch es gilt zu bedenken, dass dies bei Schildkröten-Babys im Schlupfjahr einem Gewichtsverlust von weniger als fünf Gramm entspricht, z.B. von  36 g bei der Einwinterung auf 31 g bei der Auswinterung. Bei dem gezeigten Appetit meiner Nachzuchten ist dies schnell wieder aufgeholt. Außerdem ist das Gewicht der Kleinen auch während des Schildkrötenjahres Schwankungen unterworfen: nicht selten wiegen sie an einem Tag plötzlich 2 g weniger als noch am Vortrag *).
Eingegangen ist mir jedenfalls bei der Überwinterung von Landschildkröten noch kein einziges Tier.

Im Gegensatz dazu bedeutet ein Gewichtsverlust von 15 % bei einer adulten Landschildkröte von beispielsweise 2 kg Gewicht während der Hibernation immerhin 300 g - verursacht durch einen Flüssigkeitsverlust infolge zu trockener Haltung.

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Bild 1: Diese Aufnahme von meiner Zehnergruppe Schildkrötennachzuchten aus 2013/14 entstand nur wenige Stunden nach dem erstmaligen Einschalten der Beleuchtung nach beendeter Hibernation. Die Tiere zeigten bis auf zwei, die erst am Tag danach fraßen, auf Anhieb einen guten Appetit. Die Griechische Landschildkröte mit der Rückennummer 11. ist eine Nachzucht aus 2013, die übrigen sind Maurische und Griechische Landschildkröten aus dem letzten Jahr 2014.

Schon kurze Zeit nachdem am anderen Morgen um 9 Uhr per Zeitschaltuhr die Bestrahlungslampe anging, saßen alle zehn junge Schildkröten direkt unter dem Strahler und genossen sichtlich die Wärme. Einige Stunden später erhielten sie ihr erstes Futter im neuen Schildkrötenjahr, das sie gerne annahmen, siehe Bild 1. Dass die meisten Jungtiere sofort nach der Hibernation zu fressen beginnen, hat sicherlich mit meiner langjährigen Praxis zu tun, die Kleinen vor ihrer Einwinterung nur ein einziges Mal zu baden und nicht den üblichen Empfehlungen zum mehrmaligen Baden zum Zwecke der fast völligen Darmentleerung zu folgen. Wie sollen die Tiere in diesem Fall nach ihrer Hibernation rasch ihren Kreislauf hochfahren, Appetit zeigen und aufgenommenes Futter verdauen können, wenn im Verdauungstrakt die zum Abbau des Futters notwendigen Bakterienpopulationen fehlen oder geschädigt sind? 

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Bild 2: Erster Ausflug "ins Freie" am 20. Februar 2015, dem dritten Tag der neuen Schildkröten-Saison. Die wichtige natürliche Sonnenbestrahlung hatte den Kleinen lange gefehlt. Beide Fotos stammen vom Autor.

Bereits am dritten Tag, in unserer Gegend trotz Rest-Schnees in der Natur ein wunderbarer sonniger Wintertag, durften die frisch erwachten Landschildkröten-Babys zum ersten Mal seit mehreren Monaten für eine Stunde auf dem Terrassentisch die Sonne genießen, Bild 2. Keine Angst: im Schatten zeigte das Thermometer zwar noch Temperaturen um Null Grad an, doch bei den kleinen Schildkröten in ihrer an der Sonne stehenden Hälterungsschale war es über 20 °C warm.

*) Nachtrag von Mitte März 2015:
Nur drei Wochen nach dem Auswintern hatten meine Schildkröten-Nachzuchten aus 2014 nicht nur wieder ihr Gewicht vom Einwinterungstag am 23.12.2014 erreicht, sondern es sogar deutlich übertroffen. Durchschnittlich wogen meine Griechischen Landschildkröten-Babys am 23.12.2014 (Tag der Einwinterung) 32,25 g, am 8.3.2015 im Schnitt 42 g (Zunahme = 30 % trotz Winterruhe und dem damit verbundenen Gewichtsverlust). Die Maurischen Landschildkröten nahmen in der gleichen Zeit von durchschnittlich 20,6 g (bei der Einwinterung) auf 27,25 g (am 8.3.2015) zu (Zunahme = 32 %). Durch Verabreichnung von mehr ballaststoffreicherem Futter und Reduzierung der täglichen Futtergaben musste ich dem raschen Wachstum sogar "gegensteuern".

 

Literatur:
Köhler Horst: Vom Ei zum robusten Jungtier - Aufzucht europäischer Landschildköten-Babys". Schildi-Verlag Augsburg
Nähere Infos siehe Schildi-Buch dieser Website. Zu bestellen am Schnellsten per Email direkt beim Verlag bzw. dem Autor (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) ober über den Buchhandel (ISBN 978-3-00-023839-0)



Dieser Beitrag wurde am 20. Februar 2015 online gestellt.