1. Teil (der 2. Teil des Beitrages findet sich darüber)
von Horst Köhler, Friedberg
Dauer der Winterruhe
Das Erwachen von europäischen Landschildkröten im Frühjahr beendet die Winterstarre (Winterruhe, Hibernation), die bei ausgewachsenen Tieren mehrere Monate betragen kann. In der populärwissenschaftlichen Literatur sind allerdings unterschiedlich lange Dauern der Winterruhe zu finden, wobei die meisten Autoren für Alttiere bis zu fünf Monate angeben, einige sogar noch mehr. Einige Beispiele: so empfiehlt R. Zirngibl [1] eine 5 ½ Monate lange Hibernation (die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis am Ende des Beitrages) und auch W. Adam überwintert seine Tiere fünf bis sechs Monate lang [2]. Dies würde bedeuten, dass bei einem Beginn der Winterruhe Anfang November das Auswintern erst im darauffolgenden April erfolgt. Derart lange Überwinterungszeiten dürfen allerdings meiner Meinung nach nicht für alle Arten und Standortvarianten verallgemeinert werden. Schon P. Kölle wies 1999 darauf hin, dass im natürlichen Habitat die Winterruhe der europäischen Landschildkröten je nach Art und geographischer Verbreitung zwischen fünf Monaten (Vierzehenschildkröte, Agrionemys horsfieldii) und nur wenigen Wochen (Nordafrikanische Unterarten der Maurischen Landschildkröte, z.B. Testudo graeca graeca) dauern kann [3]. Von Breitrandschildkröten (Testudo marginata) ist bekannt, dass sie in der Natur später als andere Arten in die Winterstarre verfallen und auch früher wieder wach werden. Ihre Winterruhe ist somit kürzer als die von Griechischen oder Maurischen Landschildkröten. Auch der bekannte Schildkröten-Experte Andy C. Highfield aus Wales (UK) spricht sich gegen (zu) lange Überwinterungen aus: seine Empfehlung für die Schildkrötenhaltung lautet für gesunde Tiere maximal 20 Wochen (also höchstens fünf Monate), für Schildkröten mit suboptimalem Gesundheitszustand und/oder Gewichtsdefizit aber in jedem Falle weniger [4]. Er warnt davor, europäische Landschildkröten länger als höchstens bis Ende März in der Winterstarre zu halten; ansonsten drohen deutlich zunehmende Verluste.
Situation im natürlichen Lebensraum
Es ist wichtig, dass die Empfehlungen für die Pflege von Landschildkröten, und dazu gehört auch die Hibernation, durch verlässliche Beobachtungen im natürlichen Lebensraum abgesichert sind, ein zentrales und wichtiges Anliegen dieser Website. Doch es scheint hier an entsprechenden Tier- und Biotopbeobachtungen zu fehlen. Der Grund: weder zu Beginn der Hibernation im November noch zum Zeitpunkt des Erwachens der Tiere im zeitigen Frühjahr ist Saison für Reisen nach Südeuropa. Entsprechend selten sind in der Literatur aussagekräftige, ernst zu nehmende Beobachtungsberichte von Schildkröten-Beobachtern vor Ort. Highfield schreibt weiter, dass im Biotop „unserer Schildkröten" die Hibernation selten über 10 bis 12 Wochen hinausgeht. Allerdings erwähnt er leider nicht, welches Biotop in Europa er dabei meint.
Also, stimmen solche Angaben? Sollen oder müssen wir die Hibernation unserer Pfleglinge auf höchstens drei Monate begrenzen? Ich möchte versuchen, dieser Frage anhand von zwei gesicherten Beobachtungen nachzugehen und zumindest eine Teilantwort zu finden.
Beispiel 1: Hibernation und Erwachen europäischer Landschildkröten in Bulgarien
Eine sehr umfangreiche und aussagekräftige Arbeit mit zahlreichen instruktiven Aufnahmen zu diesem Thema stammt von I. E. Ivanchev aus Sofia, Bulgarien [5]. In einem eingegrenzten etwa 2.000 m2 großen Schutz- und Forschungsgelände innerhalb eines 80 km2 großen Schildkrötenhabitats, etwa in der Mitte der bulgarischen Schwarzmeerküste, rund 450 km östlich von Sofia in der Nähe der Stadt Burgas gelegen, leben wilde Griechische und Maurische Landschildkröten ganzjährig, also auch im Winter, im Freien und in engster Nachbarschaft (Bild 1). Der bulgarische Autor hat 46 Exemplare aus beiden Arten während vier aufeinanderfolgenden Überwinterungsperioden beobachtet und dabei die Gewichte der Tiere und die Temperaturen in den Überwinterungshöhlen mit Hilfe von Thermologgern registriert. Alle drei Stunden wurden Temperaturen gemessen: die Innentemperaturen etwa auf Schwanzhöhe der vergrabenen Tiere, die Umgebungstemperaturen über dem Überwinterungsquartier am Boden. Das Ergebnis: die mittlere Überwinterungsdauer von Testudo hermanni boettgeri innerhalb eines Winters war 147 Tage (21 Wochen), wobei der früheste beobachtete Hibernationsbeginn der 31. Oktober und der späteste der 13. Dezember war. Die ersten T. h. boettgeri wachten am 3. April, die letzten am 29. April auf.
Bild 1: Eines der wenigen Bilddokumente die zeigen, wie eng im freien Lebensraum Griechische und Maurische Landschildkröten zusammenleben können. Es handelt sich hier nicht um ein gestelltes Bild oder um Tiere in einem eingegrenzten Gehege, sondern um einen offenen Schildkrötenbiotop in Bulgarien am Schwarzen Meer. Fast ein halbes Hundert Tiere aus diesen beiden Arten gingen in die angesprochene Winterstarre-Studie ein. Foto: Ivo Ivanchev, Gea Chelonia Foundation, Bulgarien.
Die durchschnittliche Hibernationsdauer von Testudo graeca ibera im gleichen Aufzeichnungsjahr war mit 139 Tagen (ca. 20 Wochen) um eine Woche kürzer, das früheste Hibernationsende wurde am 19. März und das späteste am 20. April verzeichnet. Interessant auch das Ergebnis der Temperaturaufzeichnungen: die mittleren Temperaturen in den Überwinterungsgruben lagen bei 4,3 bis 6,1 °C bei durchschnittlichen Bodentemperaturen (außen) von 0,4 bis 5,5 °C. Bemerkenswert dabei ist, dass es in den teilweisen sehr strengen bulgarischen Winterwochen in den Überwinterungshöhlen zu Minustemperaturen kam, wobei die Werte bis zu 13 Tage lang konstant unter Null lagen.
Die beobachteten Hibernationsdauern von 147 bzw. 139 Tagen bedeuten, dass die bulgarischen Landschildkröten in ihrem bei etwa 44 Grad südlicher Breite gelegenen Freigelände eine durchschnittliche Winterstarre von 4 ½ bis fast 5 Monaten einhalten, gerechnet ab dem Tag, an dem die Tiere permanent unter der Oberfläche eingegraben bleiben. Haben also, wenn wir uns an die obigen Ausführungen erinnern, unsere (deutschen) Autoren Recht, wenn sie in ihren Schildkrötenbüchern und -Aufsätzen Winterruhen in dieser Länge für die in menschlicher Obhut gehaltenen europäischen Landschildkröten vorschlagen? Wenn ja, wie steht es aber dann mit der Aussage von A. C. Highfield, nach der die Winterruhe wild lebender Schildkröten angeblich selten über 8-12 Wochen hinausgehen soll?
Beispiel 2: Hibernation und Erwachen türkischer Landschildkröten (Testudo graeca ibera)
Dank einer mir gut bekannten schildkrötenbegeisterten Türkei-Reisenden, Frau B. (sie hat gebeten, ihren Namen hier nicht zu nennen), die wegen ihres Hobbys bewusst außerhalb der üblichen Touristen- und Badesaison wiederholt im Spätherbst (z.B. November 2009) und im sehr zeitigen Frühjahr (im Februar 2008 und - aktuell - Anfang Februar 2010) Schildkrötenpopulationen sowohl bei der Vorbereitung zum Winterschlaf als auch beim Erwachen aus der Winterstarre studiert, sind interessante Aussagen zumindest für die Unterart Testudo graeca ibera in einem Vorkommensgebiet etwas östlich von Antalya (bei etwa 37 ° nördlicher Breite) möglich.
Im Oktober sind dort zahlreiche Schildkröten, vorzugsweise die älteren, noch den ganzen Tag über aktiv und ziehen sich erst gegen 16 Uhr in ihre Schlafplätze zurück. Im November kann es an der Türkischen Riviera wegen des noch warmen Mittelmeeres tagsüber recht mild sein. So stiegen die örtlichen Tages-Höchsttemperaturen in der letzten Novemberwoche 2009 bis auf 22 °C - wenige Tage zuvor wurden sogar 26 °C registriert. Die nächtlichen Tiefsttemperaturen lagen zur gleichen Zeit jedoch nur noch bei 8 °C. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass Frau B. in den letzten Novembertagen 2009 in der Schildkröten-Region keine Schildkröte mehr auffinden konnte. Allerdings bemerkte sie zahlreiche, noch relativ frische Kriechspuren, die vermutlich von der wärmeren Vorwoche stammten.
Im Jahr zuvor hatte Frau B. „ihr" südtürkisches Schildkröten-Biotop eine Woche früher besucht. In der Woche zwischen dem 15. und 23. November 2008 kletterte das Thermometer tagsüber nur noch auf 12 °C. In dieser Zeit fand die Beobachterin in den Mittagsstunden vereinzelt ältere Tiere - und nur noch zwei Schlüpflinge, die allerdings noch sehr aktiv und jeden Tag mindestens zwei Stunden lang zu beobachten waren (Bild 2). Jüngere Schildkröten und Schlüpflinge scheinen sich in der Regel früher als ältere Tiere in ihre Überwinterungsgruben zurückzuziehen. Dies zeigt sich auch daran, dass man im Dezember, wenn überhaupt, ausschließlich nur vereinzelte, sehr große und damit entsprechend alte Schildkröten sichtet.
Dass in einem Jahr trotz eines etwas früheren Beobachtungszeitpunktes im November bei kühler Witterung noch Tiere zu sehen waren, im anderen Jahr eine Woche später trotz milder Außentemperaturen aber nicht mehr, zeigt, dass für den Beginn der Winterruhe neben den Temperaturen noch andere Faktoren (Tagesdauer, Sonneneinfallswinkel, auch hormonelle Vorgänge) eine entscheidende Rolle spielen.
Bild 2: Vom 20. November 2008 stammt diese Aufnahme der beiden Schlüpflinge, die Frau B. trotz herbstlicher Temperaturen von maximal nur noch 12 °C in den Mittagsstunden jeden Tag auf ihrem sanddünenartigen Gelände wiederfand und beobachtete. Die Nabelöffnung der beiden war bereits völlig geschlossen, d.h. man kann von einem Schlupf im Zeitraum Ende September/Mitte Oktober ausgehen. Foto: B.B.
Auswinterung der Maurischen Landschildkröten bei Antalya
Am Ende der Winterruhe sind die Temperaturen entscheidend dafür, wann die ersten Schildkröten ihre Winterquartiere verlassen. Bei mildem Wetter hat Frau B. schon am 20. Februar Tiere bei der Futteraufnahme beobachten können, zumindest in den Mittagsstunden. Wird es dann in den folgenden Tagen nochmals kühler, ziehen sich die Schildkröten wieder in ihre Verstecke zurück. Im Allgemeinen steigen die Temperaturen in der zweiten Februarwoche im Raum Antalya auf 16 °C, nachts liegen die Tiefstwerte um 6 °C (beides sind langjährige Mittelwerte). Der Monat Februar ist in der Region mit ca. 170 mm Niederschlag (langjähriges Mittel) nach dem Dezember (270 mm) und dem Januar (250 mm) der dritt feuchteste Monat des Jahres, doch von Jahr zu Jahr können teilweise markante Abweichungen auftreten. So hat es nach den Berichten von Frau B. bei ihren letzten Februar-Besuchen zum Beispiel kaum geregnet, dafür kann ein kalter Wind aus dem Norden blasen: dann sind die Maurischen Landschildkröten dieser Region selbst bei Sonnenschein nur an entsprechend geschützten Stellen zu sehen.
Bild 3: Schlüpfling von Testudo graeca ibera, aufgenommen am 1. März 2008 im Schildkrötenbiotop östlich von Antalya, Südtürkei. Die Nabelöffnung ist vollständig geschlossen; dies spricht dafür, dass dieses Jungtier bereits Ende des Vorjahres geschlüpft ist und auch erste Nahrung zu sich genommen hat. Aber auch eine Überwinterung in der Nisthöhle kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Foto: B.B.
In der ersten Märzhälfte, wenn im Raum Antalya die regenarme Zeit beginnt, scheint die Winterruhe der dortigen Schildkröten wohl endgültig beendet zu sein. So fand die Beobachterin in dieser Zeit in ihrem nicht allzu großen Beobachtungsgebiet im Jahr 2008 etwa zehn Tiere im Alter von etwa 6 bis 12 Monaten, fünf zweijährige Schildkröten und mindestens 100 (!) ältere Tiere (siehe das von Frau B. am 1. März aufgenommene Schildkrötenfoto einer älteren Testudo graeca ibera im Bericht „Nochmals zum Thema Standorttreue" in der Rubrik „Interessante Publikationen" dieser Website. Schlüpflinge führen immer ein verstecktes Dasein: sie sind um diese Zeit allenfalls zwischen 11 und 13 Uhr zu sehen, aber dafür immer an den gleichen Stellen. Auffällig ist, dass im zeitigen Frühjahr Tiere zwischen 3 und etwa 10 Jahren kaum vertreten sind. Sollte vielleicht die natürlich Auslese in dieser Altersgruppe (durch Tod während der Winterstarre, Beute von Wildschweinen, verwilderten Hunden, Schlangen, Greifvögeln usw.) besonders stark sein?
Beobachtungsergebnis und Fazit für die häusliche Schildkrötenpflege
Bei der gleichen Schildkröten-Unterart (T. graeca ibera) beträgt die beobachtete Hibernationsdauer der Tiere in Bulgarien bei Burgas am Schwarzen Meer 5 Monate, die ihrer Artgenossen sieben Breitengrade südlicher im Raum Antalya jedoch nur etwa 3 1/2 Monate (Mitte November bis Ende Februar). Das heißt, wenn spätestens Mitte März alle Maurischen Schildkröten im südtürkischen Biotop ihre Winterruhe endgültig beendet haben, befinden sich praktisch alle bulgarischen T. graeca ibera noch in der Winterstarre (das sehr unterschiedliche Formenreichtum von T. graeca ibera gilt als bisher noch nicht ganz geklärt; durchaus möglich, dass darunter auch Unterarten sind, die erst noch beschrieben werden müssen). Hauptausschlaggebend für das frühere Erwachen der Tiere in der Südtürkei dürfte meiner Meinung nach das feuchtere und gleichzeitig wärmere Klima bei Antalya sein. Dies zeigen die meteorologischen Langzeit-Mittelwerte für den Monat März sehr deutlich:
Antalya: Temperaturen max. 16 °C, min. 8 °C, 100 mm Regenfall
Burgas: Temperaturen max. 9 °C, min. 2 °C, 50 mm Regelfall.
Einschränkend muss dazu freilich gesagt werden, dass offizielle meteorologische Langzeitwerte nicht unbedingt repräsentativ für die Situation im oft geschützten Schildkröten-Mikrolebensraum sind. Der von Meteorologen im Freien gemessene Regenfall wird im Schildkröten-Biotop durch die über den Überwinterungshöhlen befindlichen Pflanzen, Büschen und Bäumen zumindest teilweise abgehalten, so dass es in den Überwinterungshöhlen der Schildkröten nicht so feucht ist, wie man aus den Zahlen für den Regenfall in einer Region folgern könnte. Andererseits sind offensichtlich nicht alle Schildkröten-Überwinterungsgruben von den klimatischen Winter-Kapriolen geschützt. So hat der oben erwähnte bulgarische Herpetologe Ivan Ivanchev bei gelegentlichen Feuchtigkeitsmessungen am Boden direkt über hibernierenden Landschildkröten rund 50 % registriert. In den Höhlen selbst wurde meines Wissens leider noch nie kontinuierlich die Winter-Feuchtigkeit gemessen, doch Ivanchev berichtete mir, dass er bei Kontrollen mitten im Winter viele schlafende Schildkröten vorgefunden hat, die derart nass waren, dass er sich wunderte, dass sie noch lebten [6]. Vor allem dann, wenn die Überwinterungsverstecke auf ebenem Boden oder gar in Mulden und nicht in einem leichten Hügel liegen, droht manchen Schildkröten, vor allem bei starken Regenfällen oder bei den Schnellschmelzen, der Tod durch Ertrinken.
Was können wir aus all dem für den Zeitpunkt des Auswinterns unserer europäischen Landschildkröten lernen? Eine sicherlich nicht einfache Frage, zumal die beiden hier ausgewerteten Beobachtungen an nur zwei Standorten von der Zahl her nicht repräsentativ sein können.
Da die meisten Schildkrötenfreunde ihre Tiere kühl und dabei gleichzeitig relativ trocken überwintern, ähneln die Verhältnisse etwa denen in Bulgarien. Das heißt, eine Auswinterung von 4 ½ bis höchstens 5 Monaten nach Beginn der Winterstarre erscheint durchaus artgerecht.
Bild 4: Griechische Landschildkröte aufgenommen am 14. April 2007, die sich gerade aus ihrer Überwinterungsgrube imheimischen Garten in Augsburg-Friedberg, also im Freien, herausgearbeitet hatte. Obwohl die Region um diese Zeit ein ungewöhnlich warmes Frühjahr verzeichnete, ließ sich dieses Tier mit dem Erwachen sehr viel Zeit. Zum gleichen Zeitpunkt befanden sich meine eigenen Zuchttiere, die den Winter im kalten Keller verbracht hatten, bereits etwas mehr als 3 Wochen in ihrem Freigelände und hatten sich schon gepaart. Foto von Horst Köhler aus dem Buch „Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys".
Doch gleichzeitig erhebt sich die viel interessantere Frage, ob bei einer etwas wärmeren und feuchteren Überwinterung, wie sie für die Südtürkei mit ihren sehr regenreichen Wintermonaten Dezember und Januar typisch ist, die Hibernationsdauer verkürzt und damit das Auswintern in den Zeitraum Anfang März oder sogar Ende Februar vorgeschoben werden könnte – ohne bei diesen Bedingungen das Risiko eines Schildkrötenverlustes während der Hibernation zu erhöhen. Es ist auffällig, dass diese Frage im dem mir zugänglichen, auch englischsprachigen Fachschrifttum fast nicht diskutiert wird. Werden die 4 ½ bis 5 Monate als Hibernationsdauer für europäische Landschildkröten „der Einfachheit halber" als Richtschnur nur vom einen zum anderen Autor kritiklos übernommen? Oder spielt bei diesen Empfehlungen auch eine Rolle, dass Liebhaber im Allgemeinen für ihre (älteren) Tiere im Spätwinter bzw. im zeitigen Frühjahr noch keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit haben? Nicht jeder hat schließlich im Garten ein beheizbares Schildkröten-Gewächshaus stehen, in das die Tiere schon im März verbracht werden können.
Unbefriedigend ist nach wie vor der Fragenkomplex, was die optimale Feuchtigkeit im Überwinterungssubstrat angeht. Warum gehen bei uns so manche Schildkröten während ihrer Winterruhe ein (oft und gerade auch im Kühlschrank), wenn sie in Bulgarien teilweise in halb mit Wasser gefüllten Gruben überleben? Und in der Südtürkei ist es im Winter noch feuchter... Ich möchte keineswegs dazu verleiten, das Substrat in den Überwinterungskästen per Gießkanne zu wässern, aber nachdenken und diskutieren sollte man über diesen Punkt durchaus. Ist die üblicherweise empfohlene Winterstarre bei 4 – 6 °C und relativ trockenem Substrat wirklich ideal, oder liegt die Situation im natürlichen Lebensraum der Tiere eher bei etwas höheren Temperaturen und etwas höherer Feuchtigkeit? Denken wir daran, im Raum Antalya hat es den ganzen Winter über kaum weniger als 10 °C und die Monate Dezember bis Februar sind die feuchtesten des ganzen Jahres.
Ich würde mich freuen, Rückmeldungen über Erfahrungen von jenen Schildkröten-Besitzern zu bekommen, die ihre Tiere (vielleicht auch nur versuchsweise) bei etwas höheren Temperaturen (z.B. bei 8-12 °C) in einem etwas feuchteren Substrat überwintert haben. Wenn ja, wie lange war die Hibernationsdauer und der Gewichtsverlust während der Winterruhe?
Anmerkung
Die in diesem Beitrag angegebenen Hibernationsdauern sowie Ein- und Auswinterungszeitpunkte gelten nur für semi-adulte und adulte Schildkröten mit einem Alter von mehr als fünf Jahren. Für Schlüpflinge und juvenile Tiere sind die Hibernationasdauern kürzer [7].
Literaturverzeichnis
[1] Rainer Zirngibl (2000): Griechische Landschildkröten, 1. Auflage.Ulmer/bede-Verlag Stuttgart
[2] Wolfgang Adam (1996): Überwinterung europäischer Landschildkröten im Kühlschrank. DATZ Nr. 8, S.583-584
[3] Petra Kölle (1999): Die Winterruhe gehört zur artgerechten Haltung. konkret - kleintier, Enke-Verlag, Nr. 5, S.22-23
[4] Andy C. Highfield (1998, 2010): Hibernation & Varieties of Tortoise. Tortoise Trust Web/Internet
[5] Ivo Evstatiev Ivanchev (2007): Überwinterung von Testudo hjermmanni und Testudo graeca in der Natur unter sehr naturnahen Bedingungen in Bulgarien. Schildkröten-Im-Fokus 4 (2), S.3-21
[6] persönliche Mitteilung Ivo Ivanchev vom 1.2.2010
[7] Horst Köhler (2008): Aufzucht europäischer Landschilden-Babys: vom Ei zum robusten Jungtier. Schildi-Verlag Augsburg
Der Beitrag wurde Anfang Februar 2010 online gestellt.