Text und Bilder: B.B. (Name und Anschrift ist bekannt)
Vorspann von Horst Köhler
Landschildkröten werden gemeinhin als Tiere ohne großes Sozialverhalten angesehen. Dies betrifft vor allem die Beschützerinstinkte. So schließen geschlechtsreife weibliche Schildkröten ihre Fortpflanzungstätigkeit mit dem Vergraben ihrer Gelege ab und überlassen alles Weitere der Sonne und dem Zufall, ganz im Gegensatz etwa zu den Krokodilen, die nicht nur ihre Nisthöhlen bewachen, sondern die frisch geschlüpften Jungen fürsorglich zum nahen Wasser tragen.
Wild lebende Landschildkröten sind außerhalb der Paarungszeit Einzelgänger und ihre Populationsdichte nimmt in vielen Habitaten durch menschliche Eingriffe ab. Beides führt dazu, dass man in vielen natürlichen Vorkommensgebieten in Südeuropa eher selten mehrere Tiere gleichzeitig sieht. Ist dies doch der Fall, sind die Gründe dafür oft ein besonders gutes Nahrungsangebot, keine Störung durch Touristen, das Vorhandensein geschützter Versteck- und Sonnenplätze oder einfach die Tatsache, dass die Schildkröten ihren Lebensraum durch natürliche oder künstliche Barrieren nicht verlassen können.
Wie aber der nachfolgende Bildbericht unserer aufmerksamen Autorin, Fotografin und geduldigen Schildkröten-Beobachterin beweist, müssen wir möglicherweise unser Wissen über das soziale Verhalten von frei lebenden Landschildkröten etwas revidieren.
Seit nunmehr neun Jahren verbringen wir unseren Jahresurlaub im zeitigen Frühjahr an der türkischen Riviera. Dort halten wir uns täglich mehrere Stunden bei den Maurischen Landschildkröten (Testudo graeca ibera) in einem Dünengelände in Meeresnähe auf (Bild 1), die zu diesem Zeitpunkt ihre Winterruhe beenden. Wir nehmen uns sehr viel Zeit, die Lebensweise der Tiere eingehend zu beobachten (siehe auch meinen Artikel „Erwachen Maurischer Landschildkröten im Raum Antalya Mitte Februar 2010“ vom 10.5.2010 in der gleichen Rubrik dieser Schildkröten-Website, dort insbesondere Bild 1).
Bild 1: Dies ist "unser" Schildkröten-Dünengelände in der Südtürkei an der Mittelmeerküste, das wir schon seit vielen Jahren immer wieder besuchen; manchmal waren wir sogar auch zwei Mal im Jahr vor Ort, im zeitigen Frühjahr und dann nochmals im Spätherbst. Das Bild ist nach Südwesten in Richtung Meer (hinter dem Horizont) aufgenommen und zeigt, wie wenige sichere Versteck- und Rückzugsplätze es hier für die Schildkrötenpopulation gibt.
Mittlerweile können wir folgendes feststellen: Die Schlüpflinge bzw. Babys bleiben bis zum Alter von etwa zwei Jahren in unmittelbarer Nähe des Schlupfortes - sofern sie nicht mangels ungenügender Deckung von den vielen dort vorkommenden Schlangen oder von Greifvögeln erbeutet wurden. Sie leben dort in einer Art geschwisterlicher Gemeinschaft. Die wenigen überlebenden juvenilen Exemplare halten sich bis zur Geschlechtsreife in einem Radius von nur rund 10 m um den Legeplatz auf. Erst dann verlassen sie dieses Gebiet und wandern ab.
Bemerkenswert ist noch, dass die im Dünenbiotop lebenden Landschildkröten immer den gleichen Bewegungsradius und praktisch generell ihre angestammten Schlafplätze haben.
In diesem Jahr (2013) verbrachten wir vom 22. Februar bis zum 1. März traumhaft sonnige Tage bei unserem Schildkröten-Biotop. In unserem Urlaubsgebiet hatte es in diesem Jahr seit Ende Januar kaum noch geregnet. Während unserer Urlaubswoche schien die Sonne 8 bis 10 Stunden lang täglich und die Höchsttemperaturen schwankten zwischen 16 und 20 °C (im Schatten); nur am Tag unserer Ankunft war das Thermometer tagsüber nur auf maximal 12 °C geklettert. Die nächtlichen Tiefsttemperaturen lagen zwischen 6 und 10 °C (Angaben nach www.wetteronline.de).
Solches Glück haben wir nicht jedes Jahr. So hatten wir 2012 um etwa die gleiche Zeit am gleichen Ort regelrecht Pech, denn das Wetter war derart schlecht, dass wir auf keine einzige Schildkröte trafen.
Dafür wurden wir dieses Jahr reichlich entschädigt, denn wir sahen Hunderte von Schildkröten.
Eines Tages, am 28. Februar, machten wir eine sehr seltene Beobachtung, die wir hier durch eine außergewöhnliche Bilderserie dokumentieren (Bild 2 bis 4): Ein weibliches adultes Tier, das wir von unseren früheren Besuchen gut kennen, sonnte sich in der Nähe eines Legeplatzes und gewährte einem schattensuchenden Baby durch Anheben des Vorderbeines Unterschlupf und Schutz vor der brennenden Sonnenstrahlung.
Bild 2: Die junge Maurische Landschildkröte nähert sich auf der Sache nach Schatten (und Geborgenheit ?) zielstrebig dem adulten Weibchen.
Bild 3: Das Ziel ist erreicht; das Alttier hebt etwas das linke Vorderbein hoch und lässt das Schildkröten-Baby darunterschlüpfen.
Bild 4: Auf dieser Aufnahme deutlich zu sehen: Das Kleine hat nun Schutz vor der intensiven Frühlingssonne und auch vor etwaigen Fressfeinden gefunden, die es in diesem Dünen-Biotop reichlich gibt – vor allem Schlangen und Greifvögel.
Dieser Artikel wurde am 15. März 2013 online gestellt