Teil 1:
Inhalt: Schildkröten-Anschaffungen eines Schildkröten-Anfängers - Probleme - Symptome - erste Todesfälle - Nachkauf - wieder Todesfälle

Einleitung
Ein Verwandter, der über Jahre hinweg meine Begeisterung für Landschildkröten miterlebte und auch hin und wieder deren Betreuung einschließlich Ausgrabens der Gelege in unserem Urlaub übernahm, wollte sich endlich eigene Schildkröten zulegen. Trotz meiner Bedenken entschied er sich für die groß und (in der Natur) bis zu 100 kg schwer werdenden tropischen, aus Afrika stammenden Spornschildkröten (Geochelone sulcata). Er hatte gelesen [1, 2] und im Internet recherchiert, dass es sich bei dieser Art um „ideale Anfängerschildkröten“ handeln soll, die „besonders vital und anpassungsfähig“ sind. Nun ja, ein großes Gartengrundstück stand ja zur Verfügung und für eine spätere Unterbringung im Winter gab es die Möglichkeit, einen großen Kellerraum zu räumen und als Zimmerterrarium herzurichten.
Doch noch waren die anzuschaffenden Schlüpflinge sehr klein und konnten deshalb die erste Zeit bei schlechter Witterung, im Winter und in den Übergangszeiten in einem selbst gebauten, oben offenen Zimmergehege gehalten werden.

Leid Bild1Bild 1: 3. April 2011: Wenige Tage nach Ankunft der ersten vier Spornschildkröten-Babys ahnte man noch nichts von ihrem traurigen Schicksal. Zwar war der Appetit der vier Schildkröten mäßig, doch dies schrieb der neue Besitzer dem Stress durch den Versand zu. Aber zwei oder drei Wochen später fraßen die Tiere noch schlechter. Eine provozierende Frage, die sich erst spät stellte: Waren die Schildkröten vielleicht durch eine Vitamin- und Aufbauspritze kurz vor ihrem Versand „hochgeputscht“ und dabei womöglich auch noch verletzt worden?


Die ersten vier Spornschildkröten-Babys
So zogen bei ihm in der zweiten Märzhälfte 2011 vier hübsche Spornschildkröten-Babys ein (Bild 1), die er sich per Übernacht-Tierspedition von einem Händler aus Nordrhein-Westfalen schicken ließ. Laut dessen Aussage waren die Tiere im Februar 2011 geschlüpft, also bei ihrer Ankunft beim neuen Besitzer vier bis fünf Wochen alt; sie wogen zwischen 41 und 46 g. Ein derartiges Gewicht scheint für diese Art bei diesem Alter durchaus normal zu sein. Drei der Kleinen nahmen bis Ende Mai jeweils um ein paar Gramm zu, das Gewicht des vierten Tiers, in meinen Aufzeichnungen Nr. 4 genannt, änderte sich jedoch nicht: Im Gegenteil, Nr. 4 (Bild 2) nahm sogar leicht ab.

Mitte Juni war klar, dass das Gewicht aller vier Tiere stagnierte, trotz optimaler Haltung (Bodengrund, relative Feuchte, Bestrahlung, UVB) und einem abwechslungsreichen Grün- und Trockenfutterangebot mit Calciumzusatz. An sonnigen Tagen war ein Aufenthalt im Freien selbstverständlich. Doch die Spornschildkröten zupften auch dort recht lustlos sowohl am angebotenen Grünfutter als auch am jungen Gras oder Klee im Rasen. Sie hatten offensichtlich Probleme sowohl beim Schnappen nach dem Futter, beim Abreißen als auch beim Hinterunterschlucken. Nach dem Fressen waren sie jedes Mal so erschöpft, dass sie für den Rest des Tages nur noch träge unter der Wärmelampe dösten. Was mir noch auffiel, war, dass sie helles Licht mieden; auch im Gartengehege suchten sie schon nach kurzer Zeit Schattenplätze auf.
                                                                                                                                                                    

LeidBild2Bild 2: Spornschildkröten-Schlüpfling Nr. 4, aufgenommen am gleichen Tag wie Bild 1, marschiert interessiert durch den Rasen. Doch spätestens im Juni 2011 war das abgelaufene Terrain nicht viel größer als  die Fläche von zwei DINA4-Seiten.





 

 

 

Die gleichen Symptome konnte ich auch bei den weiteren, später als Ersatz hinzugekauften oder eingetauschten Spornschildkröten-Schlüpflingen beobachten – doch mehr dazu später. Die anfängliche Freude und der Stolz meines Verwandten schlug jedenfalls in Enttäuschung und Ärger um. So hatte er sich die Pflege seiner ersten eigenen Schildkröten nicht vorgestellt! Von wegen „Anfänger-Schildkröten“!

Da der Besitzer tagsüber für einen Tierarztbesuch mit seinen Schildkröten keine Zeit hatte, übernahm ich diese Aufgabe und stellte die Gruppe Mitte Juni einer schildkrötenerfahrenen Tierärztin vor – es sollte nicht der einzige Tierarztbesuch bleiben. Die Tierärztin stellte weich werdende Bauchpanzer (Panzererweichung) und weiche Kiefer sowie Ödeme an den Hinterextremitäten und eine Verschleimung der Rachenräume fest. Bei zwei Schildkröten schien auch schon der anfangs noch relativ harte Carapax weich zu werden. Tier Nr. 4 rieb sich außerdem auffällig oft mit den Vorderbeiden über die Augen: Floxal-Augentropfen (Wirkstoff: Ofloxacin) sollte Abhilfe bringen. Außerdem empfahl mir die Tierärztin, die vier Schildkröten täglich etwa 10 Minuten lang in ein verdünntes, lauwarmes Schwarztee-Bad zu setzen und vermehrt Kalk auf das Futter zu streuen.


Gruppe auf sechs Tiere angewachsen

Als sich das Gesamtbild Ende Juni 2011 immer noch nicht gebessert hatte, ließ ich eine Kotprobe eines der mittlerweile auf sechs Jungtiere angewachsenen Gruppe untersuchen. Der Besitzer hatte sich nämlich Anfang Juli 2011 auf einer Reptilienbörse in Augsburg zwei weitere, schon etwas ältere Schlüpflinge, Nr. 5 mit 72 g und Nr. 6 mit 90 g Gewicht, zugelegt (Schlupf: Dezember 2010), in der Hoffnung, dass sie die anderen zum verstärkten Fressen anregen würden. (Hinweis: dieser Kauf war sicherlich ein Fehler, denn man erwirbt keine neuen Tiere, schon gleich gar nicht ohne längere Quarantäne, solange der Altbestand nicht in Ordnung ist.) Das Ergebnis der an eine qualifizierte Untersuchungsstelle eingeschickten Kotprobe: starker Befall mit Oxyuriden (Madenwürmer). Also: Eingabe des Wurmmittels Panacur (Wirkstoff: Fenbendazol) bei allen sechs Schildkröten mit Wiederholung dieser Behandlung 14 Tage später. Dafür waren nochmals zwei Besuche bei der Tierärztin fällig.


Die ersten beiden Todesfälle; Sektion ohne Ergebnis

Doch auch diese Wurmbekämpfung brachte keine Besserung. Die Futteraufnahme blieb weiterhin minimal. Jeder meiner erst vier Wochen alten Schlüpflinge von Europäischen Landschildkröten frisst mit einem Gewicht um etwa 20 g deutlich mehr als die über doppelt so schweren Spornschildkröten-„Kümmerlinge“, wie sie die Tierärztin bezeichnete. Anfang August 2011 war endgültig klar, dass zumindest bei den vier Tieren Nr. 1-4 etwas nicht stimmen konnte, denn zu diesem Zeitpunkt brachte nur noch ein Tier ein paar Gramm mehr auf die Waage als bei Erhalt 4 ½ Monate zuvor; die anderen drei hatten entweder abgenommen oder nicht zugenommen (Bild 3).

LeidBild3Bild 3: Die beiden kümmernden Sulcata-Nachzuchten Nr. 1 und 3, geschlüpft im Februar 2011, im Alter von knapp 5 Monaten im Vergleich zu einer 35  x 52 mm großen Zündholzschachtel. So apathisch wie auf dem Bild gaben sie sich jeden Tag. Hätte man sie schon zu diesem Zeitpunkt einschläfern lassen sollen?








 

Ich entschloss ich mich nach anfänglichem Sträuben, die beiden Tiere mit dem schlechtesten Zustand und dem geringsten Appetit, und dies waren Nr. 1 und Nr. 3, in mein (leeres, gründlich desinfiziertes) Terrarium zur Intensivbetreuung zu übernehmen (Bild 3). Der Bauchpanzer von Nr. 3 fühlte sich mittlerweile so an, als wenn man in frisches Brot drückt. Die Tierärztin vermutete Luft- oder Gaseinlagerungen unter den Hornplatten und gab zumindest Nr. 3 keine Überlebenschance mehr. Als letzte Maßnahme spritzte sie bei den beiden noch ein Aufbau- und Vitaminmittel. Doch auch dies nützte nichts: Zwar bissen die zwei ab und zu in den angebotenen Spitzwegerich, wurden aber zusehends schwächer und apathischer. Am 4. September lag Nr. 1, nicht ganz unerwartet, tot im Terrarium (Bild 4); Nr. 3 ließ ich drei Tage später einschläfern. Das Gewicht der nur sechs Monate alt gewordenen Schildkrötenbabys am Todestag: 42 bzw. 48 g, d.h. sie wogen 4 g weniger (Nr. 1) bzw. nur 4 g mehr (Nr. 3) als beim Kauf im März. Wenige Tage vor ihrem Ableben hatte ich nochmals eine Kotprobe von ihnen auf einen etwaigen Parasitenbefall hin untersuchen lassen, doch wurden weder Hinweise auf einen Wurm- noch einen Flagellatenbefall festgestellt.

Der Sinn einer medikamentösen Bekämpfung eines Oxyuridenbefalls bei Landschildkröten ist nicht unumstritten: Darauf werde ich im zweiten Teil dieses Beitrages näher eingehen.

LeidBild4

Bild 4: Spornschildkröten-Schlüpfling Nr. 1, wenige Stunden nach seinem Tod fotografiert. Man beachte den stark nach außen gewölbten Bauchpanzer (Plastron) und die massiven sackförmigen Ödeme an den HInterbeinen. Tiere mit derart starken Flüssigkeitseinlagerungen dürfen keinesfalls gekauft und sollten vor allem vom Züchter gar nicht erst angeboten werden! Das Baby Nr. 3 wurde drei Tage später durch die Tierärztin eingeschläfert.







In Absprache mit der Tierärztin wurde die eingeschläferte Spornschildkröte Nr. 3 noch am gleichen Tag (7. September 2011) zusammen mit einem Kühlelement aus der Gefriertruhe an das Chemische und Veterinärmedizinische Untersuchungsamt Ostwestfalen-Lippe in Detmold (Dr. Silvia Blahak) zur Gesamtuntersuchung und Feststellung der Erkrankungs- und Todesursache geschickt. Diese Untersuchung war zwar äußerst preisgünstig, aber das Ergebnis für den leidgeprüften Halter und auch für mich leider wenig hilfreich. Außer einer Entwicklungsstörung der Knochen (Rachitits) und dem weichen Panzer wurde nichts Ungewöhnliches festgestellt, weder Parasiten noch Viren (auch nicht Virus X), auch keine außergewöhnlichen mikrobiologischen und pathologisch-histologischen Befunde und auch keine Parasiten; letzteres wusste ich ja aus der kurz zuvor erfolgten Kotuntersuchung bereits selbst.

Meine an die Untersuchergruppe nach Detmold geschickte Nachfrage nach den möglichen Ursachen des Problems und wie am besten mit den übrigen Spornschildkröten-Babys zu verfahren ist, blieb unbeantwortet.

Um diese Zeit überließ mir der mittlerweile regelrecht frustrierte Besitzer auch seine beiden noch lebenden Babys aus der ursprünglichen Sendung, Nr. 2 und 4, zur Betreuung und Beobachtung; er selbst hielt noch die beiden Neuankömmlinge Nr. 5 und 6, die ja von einem anderen Züchter als die Tiere Nr. 1-4 stammten und die sich hoffentlich, im Gegensatz zu den ersten vier, normal entwickeln würden. Doch, wie wir später noch sehen werden (Teil 2 des Artikels), war auch dies ein Trugschluss.


Erste Ursachenvermutungen

Die sehr oft aufgesuchte und konsultierte Tierärztin vermutete anfangs, dass unsere Schildkröten-Gruppe als Folge des im Juli 2011 bekämpften Wurmbefalls eine Darmentzündung bekam und dass deshalb trotz UVB-Bestrahlung und Calciumzugaben die körpereigene Erzeugung der biologisch aktiven VittaminD3-Form (Calcitriol) nicht funktionierte. Das lebensnotwendige Calcium wurde deshalb schließlich den Knochen entzogen; die Folge daraus war dann die beobachtete Knochenerweichung. Ich war allerdings skeptisch, ob dies wirklich die Ursache des Problems ist, denn die weich werdenden Panzer waren ja schließlich bereits vor der Panacurgabe im Juli nicht mehr zu übersehen gewesen. Doch gegen einen weiteren, vielleicht letzten Rettungsversuch wollte ich mich dann doch nicht sperren.

So experimentierte ich bei Nr. 2 und 4 eine Zeit lang mit der Verabreichung von fettgebundenem Vitamin D3 aus einem Katzen-Nassfutter (Bild 5), mit Vitamin D3-Pulver und schließlich mit stark verdünntem Vigantol-Öl; beim Vigantol-Öl orientierte ich mich an einem wöchentlichen Vitamin D3-Bedarf von jungen Landschildkröten von etwa 100 I.E. je kg Körpermasse, was bei einer 40 g schweren Schildkröte eine Menge von lediglich 0,0002 ml (unverdünntes Öl) je Woche bedeutete. Da aber Nr. 2 und 4 sehr wenig, eigentlich fast gar nichts mehr fraßen und das Katzenfutter ganz verweigerten, konnte man sich von dieser Maßnahme kaum einen Erfolg erhoffen. Ungeklärt scheint darüber hinaus, wie gut oder schlecht Landschildkröten ölige Substanzen verarbeiten können. Werden die nämlich sofort wieder unverdaut ausgeschieden, erfolgt die Maßnahme ohnehin umsonst.

Ich war deshalb damit einverstanden, dass die Tierärztin die beiden Kümmerlinge Nr. 2 und 4 vier Tage lang zur Zwangsfütterung in ihrer Praxis behielt. Die beiden erhielten zwei Mal täglich verdünntes Vitamin D3-Öl mit staubförmigem Heufutter über eine Sonde. Außerdem wurden sie täglich mit der starken Osram-UV-Lampe UltraVitalux bestrahlt. Danach sollte ich die Zwangsernährung mit dem Öl selbst fortführen.

LeidBild5Bild 5: Katzennassfutter ist zwar kein artgerechtes Futter für gesunde Landschildkröten, doch sollte nach dem Vorschlag der Tierärztin versucht werden, den kümmernden Schlüpflingen Vitamin D3 in optimaler Form zuzuführen. Nach der Inhaltsangabe enthält 1 kg dieses Katzenfutters 200 I.E. VitaminD3. Abgesehen davon, dass die beiden kleinen Spornschildkröten dieses Futter verweigerten, hätte davon jedes Tier zur vollen Deckung seines VitaminD3-Bedarfs 20 g je Woche zu sich nehmen müssen.


 

Doch zunächst bereitete mir ein neues Problem Sorgen. Obwohl die zweifache Panacur-Verabreichung zur Oxyurenbekämpfung bei Nr. 1-6 erst etwa drei Monate zurücklag und die Tiere nie Kontakt mit fremden Schildkröten hatten, ließ ich Mitte Oktober von Nr. 5 und 6 im Terrarium meines Verwandten erneut eine Misch-Kotprobe mikroskopisch untersuchen. Überraschendes Resultat: wieder starker Oxyuridenbefall! Ob die bei mir befindlichen Nr. 2 und 4 auch wieder von diesen Würmern befallen waren? Ich wollte dies aber gar nicht mehr wissen, vor allem wollte ich den beiden geschwächten Tieren nicht noch eine weitere Panacur-Eingabe mit Wiederholung zumuten, zumal ich zu dieser Zeit schon alle zwei Tage zwangsernährte und dabei zunehmend Probleme bekam, den kleinen Kopf der beiden zu fassen und das Maul für die Eingabe zu öffnen.

Ich informierte den Verkäufer von Nr. 1-4 schriftlich und mit Fotos über die Krankheitsgeschichte seiner Tiere, waren doch in etwa acht Monaten bereits über 250 Euro an reinen Tierarzt- und Medikamentenkosten angefallen. Fairerweise war der Händler einsichtig, verzichtete auf eine Rückgabe der beiden noch lebenden Schildkröten Nr. 2 und 4, erstattete den vollen Verkaufspreis der Vierergruppe zurück und lieferte außerdem Ende September 2011 zwei je 63 g schwere Babys als Ersatz (hier Nr. 7 und 8 genannt; Schlupf: Januar 2011). Sie sollten, und das hatten wir damals gefordert, nicht vom gleichen Züchter stammen wie Nr. 1-4 (Nr. 5 und 6, auf einer Börse gekauft, stammten ebenfalls bereits aus anderer Quelle). Ob das dann jedoch auch wirklich der Fall war, konnte ich allerdings nicht überprüfen.

Ende September 2011 betrug somit der Gesamtbestand wieder sechs Sulcata-Schildkrötenbabys - von drei verschiedenen Züchtern. Davon hielt ich selbst Nr. 2 und 4 in Dauerpflege.

 

Wenig Freude auch mit Nr. 2 und 4
Mit den beiden hatte ich, wie bei Nr. 1 und 3, sehr wenig Freude, dafür umso mehr Kummer. Denn Schlüpfling Nr. 2 nahm über vier Wochen (!) lang überhaupt nichts zu sich und nahm von einem Höchstgewicht von 52 g (Anfang September) auf 42 g (Mitte November) ab. Damit wog die kleine Schildkröte gerade mal 1 g mehr als beim Erwerb acht Monate zuvor. Das Geschwistertier Nr. 4 fraß zwar wenigstens ab und zu etwas von dem angebotenen Futter, doch auch sein Gewicht stagnierte bei 40-41 g; genauso viel hatte die Schildkröte beim Kauf im März gewogen.

So stimmte ich einer erneuten viertägigen stationären Versorgung der beiden Kümmerlinge 2 und 4 durch meine Tierärztin zu. Vom 28. November bis 2. Dezember 2011 erfolgte in deren Praxis eine ein- bis zweimalige tägliche Zwangsfütterung mit verdünntem Vitamin D3-Öl und staubförmigem Heufutter, begleitet von einer 10-minütigen kontrollierten UVB-Bestrahlung mit der UltraVitalux-UV-Lampe von Osram.

Danach setzte ich die Zwangsernährung alle drei Tage selbst fort: ich mischte stark verdünntes VitaminD3-Öl, RodiCare instant-Pulver (eine Art staubförmiges Heufutter), zerstoßenes sera raffy Mineral- und Dorswal-Schildkrötenbabyfutter, etwas (reines) Spirulina-Algenpulver (mit dem ich gelegentlich Rinderherzbasis-Futter für meine Diskus-Zierfische anreichere), je eine Prise Wobenzym und einer Vitaminmischung mit etwas Wasser zu einem Brei und führte diesen über eine dünne Sonde oral ein (Bild 6). Insgesamt vermengte ich 2,5 ml Pulver mit 5 ml Wasser; von dieser Mixtur (ca. 7,5 ml) erhielt jede Schildkröte je Verabreichung zwischen 2 und 2,5 ml, wobei mitunter ein kleiner Teil davon wieder aus dem Maul herauslief. Dies nahm ich aber in Kauf, bevor ich die Patienten durch ein zu tiefes Einführen des Sondenschlauchs verletzen würde.

LeidBild6Bild 6: Die Ausgangsprodukte zur Herstellung eines hochwertigen Schildkrötenfutters für kümmernde Tiere. Von links: sera raffy Mineral (zerkleinert), Dorswal (zerkleinert), Spirulina, RodiCare instant und verdünntes Vitamin D3.-Öl. Im Glasschälchen ein Vitamin/Enzymgemisch, davor ein Dosierlöffel und ganz unten die Sonde für die orale Eingabe. Inhalt der Spritze: ca. 2,5 ml.






 

Immer noch hatte ich Schwierigkeiten, mit meinen Fingern den Kopf der Kleinen vorzuhalten und das Maul für die Zwangsfütterung zu öffnen. Ich glaube, Frauen mit ihren schlankeren Fingern tun sich da doch wesentlich leichter. Ein Vergnügen war die Zwangsernährung  für mich wirklich nicht! Den beiden Kleinen behagte sie natürlich auch nicht. Sobald ich sie aus dem Terrarium holte, zogen sie ihre Köpfe, Beine und Arme ein; es blieb mir nichts anderes übrig, als minutenlang still vor ihnen zu sitzen und beim Erscheinen des Kopfes sofort zuzugreifen. Diese eine Chance musste ich allerdings unbedingt nützen, denn bei einem Fehlgriff wäre der Kopf für längere Zeit eingezogen geblieben.
Nach der Prozedur und dem Zurücksetzen ins Terrarium liefen die beiden Schildkröten dort jedes Mal eine halbe Minute wie in Panik umher, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

In den Tagen zwischen den Zwangsfütterungen bot ich täglich frisches, klein geschnittenes Grünfutter mit Calciumpulver überstreut an, das aber die beiden Patienten weitgehend ignorierten. Nr. 2 nahm dabei noch etwas mehr Futter zu sich als Kümmerling Nr. 4, der schon recht apathisch wirkte. Oft fragte mich meine Frau, ob die beiden Schildkröten denn überhaupt noch leben…

Bild 7 ist eine Terrarienaufnahme aus dieser Periode von den beiden Babys Nr. 2 und 4. Neben einer UVB-Kompaktleuchte (links) gab es auch einen Halogen-Spotstrahler (rechts) für ausreichende Licht- und Wärmeabgabe. Die Leistung des Strahlers war so gewählt, dass auch bei einem längeren Aufenthalt eines Tiers direkt unterhalb der Lampe nie mehr als 28 °C Carapaxtemperatur auftreten konnte. Der Lieblings-Ruheplatz der beiden war ohnehin etwas seitlich vom zentralen Licht- und Wärmefleck am Boden; dort betrug die Carapaxtemperatur, mit einem Kontaktfühler mit Thermoelement-Sensor gemessen, 26 °C (siehe den unten stehenden Beitrag vom gleichen Autor vom 15.11.2012: Carapax-Temperaturen messen, aber richtig).

LeidBild7Bild 7: Die geschwächten Spornschildkröten-Schlüpflinge Nr. 2 und 4 in ihrem Terrarium. Abstand Carapax zu den Strahlern ca. 35 cm. Im Terrarium befand sich auch eine kleine Badeschale, die die Tiere jedoch nur selten aufsuchten. Jeden Abend, nach dem Abschalten der Lampen, wurde das Innere mit lauwarmem Wasser übersprüht. Ich verwendete unterschiedliche Substrate, wie z.B. lockere, fein gehäckselte Rindenborke (wie im nebenstehenden Bild), Hanfeinstreu, ungedüngte Gartenerde sowie Rasenstücke grün und trocken-hart.


 

 

Bei obiger Rezeptur handelte es sich um die Modifikation und Erweiterung eines von Hans-Jürgen Bidmon verwendeten hochwertigen Futters. Er teilte mir mit [3], dass er mit einer Mischung aus zerkleinerten sera reptil raffy Mineral-Sticks, Fischfuttertabletten mit möglichst hohem Spirulinaanteil und einigen Tropfen Walnuss- oder Distelöl einige Schildkröten retten konnte, deren Köpfe bereits passiv hin und her kippten und die eigentlich eingeschläfert werden sollten. Weiterhin riet mir der bekannte Schildkrötenexperte, die Temperatur im Terrarium nicht höher als 28 °C einzustellen, was ich als Ergebnis meiner eigenen Carapax-Temperaturmessungen an frei lebenden Schildkröten ohnehin bei allen meinen eigenen Landschildkröten bei der Innenhaltung einhalte [4]. Aber auch nachts sollte bei meinen äußerst geschwächten beiden Tieren gemäß Bidmon keine Temperaturabsenkung erfolgen: so verbrachten die beiden die Nächte in einem Inkubator, den ich auf 27 °C einstellte. Durch ein nasses Küchenrollenpapier sorgte ich auch nachts für ein leicht feuchtes Klima.

Im Rahmen eines Schriftwechsels bemerkte H.-J. Bidmon unter anderem, dass ein reiner Wurmbefall keine Darmschädigung, also auch keine Darmentzündung, bewirken kann. Diese Aussage ist schon deswegen einleuchtend, weil fast alle wild lebenden Landschildkröten, auch tropische Arten, von Würmern befallen sind - und trotzdem nicht kümmern! Der Darm hat auch nichts mit der Vitamin D3-Synthese selbst zu tun; allenfalls kann durch einen aus anderen Gründen defekten Darm die Calciumaufnahme gestört sein. In einem solchen Fall, so Bidmon weiter [5], kann ein funktionsgestörter Darm aus dem eingeflößten Öl kein Vitamin D aufnehmen. Denn dieses muss verdaut und aufgenommen werden, sonst scheidet das Tier Vitamin D mit dem Öl ungenutzt wieder aus.

Doch alle meine Bemühungen (und auch die der Tierärztin) waren letztlich vergebens: am 18. Dezember, einen Tag nach der letzten Zwangsfütterung durch mich, saß Nr. 4 tot im Terrarium, noch mit einem Stückchen Giersch von der Grasnarbe im Maul. Gewicht: 38 g ! Der Leser erinnert sich: beim Kauf Mitte März 2012 war das Gewicht noch 41 g.
Nr. 2 war rein optisch in einem etwas besseren Zustand und fraß zu meiner großen Erleichterung wieder etwas mehr, doch auch diese Schildkröte verstarb am 14. Januar 2012 mit einem Gewicht von 47 g. Keines der vier Tiere Nr. 1-4 lebte also trotz fürsorglicher und, wie ich meine, optimaler und extrem zeitaufwendiger Pflege länger als neun Monate.

Beide verstorbenen Jung-Schildkröten schickte ich, tiefgefroren in einem Plastikbeutel luftdicht verpackt, zu einer gründlichen Sektion an einen erfahrenen Spezialisten, der schon Dutzende von verstorbenen Schildkröten seziert hat (auf die Untersuchungsergebnisse wird kurz im 2. Teil eingegangen).

Der Tod der jungen Spornschildkröte Nr. 2 war auch für mich als Pfleger und vorübergehender Besitzer (auch wenn ich nicht der Eigentümer war) fast ein Schock, denn das Tier hatte in den drei Wochen zuvor mehr gefressen als zuvor und zeigte sich auch aktiver als bisher: es bewegte sich interessiert im gesamten Terrarium, fraß dabei immer mal wieder von dem Grün aus der Grasnarbe, sah mich bewusst durch die Glasscheibe hindurch an und kam von selbst zur Futterplatte, sobald ich frisches Grünfutter brachte. Ich hatte in dieser Phase nie den Eindruck, dass das Tier leiden würde. Allerdings schlief es tagsüber immer wieder für längere Zeit, so, als wenn es das Fressen zu sehr angestrengt hätte. Irritiert hat mich vor allem, dass Nr. 2 zwei Tage vor dem Tod beim Bad eine ungewöhnlich große Menge weißlich-grauer Urate ausgeschieden hatte (Bild 8 und 9). Nach dem Trocknen der Ausscheidungen betrug die Menge 1,5 ml, nach meiner Anschauung reichlich viel für eine nur 47 g schwere kleine Landschildkröte.

LeidBild8

Bild 8: Etwa 17 cm Durchmesser hat dieser Plastik-Badebehälter (sein Rand ist rechts zu erkennen), in dem die Schildkröte Nr. 2 beim regelmäßigen Bad kurz vor ihrem Ableben eine ungewöhnlich große Menge an Uraten ausschied. Gleichzeitig schied sie auch ein kleines festes, schwarzes Kotstückchen aus. Zwei Tage später war die Schildkröte tot.

 

 

 

 

 

 

LeidBild9Bild 9: Das tote Spornschildkröten-Baby Nr. 2 neben einer Küvette mit den ausgeschiedenen Uraten nach der Trocknung und einer 10-cent-Münze als Größenvergleich. Dieses Tier wurde bei einer Sektion ebenso gründlich untersucht wie das ungefähr einen Monat zuvor verstorbene Geschwistertier Nr. 4. Es lebte nur neun Monate.







Handelte es sich um (illegal importierte) Wildfänge?
Die Untersuchung einer Kotprobe der beiden auf der Augsburger Reptilienbörse im Sommer 2011 gekauften Spornschildkröten (Nr. 5 und 6) Mitte Oktober ergab, wen wundert es angesichts der beschriebenen Leidensgeschichte schon, ebenfalls einen starken Oxyuridenbefall, wie zuvor schon bei Nr. 1-4. Da die beiden mit den Anfang Oktober als Ersatz gelieferten Schildkröten Nr. 7 und 8 das gleiche Gehege teilten, gab die Tierärztin allen vieren am 8. November 2011 Panacur per Sonde ein. Unerwartete Überraschung: Einige Tage später rief mich mein Verwandter aufgeregt an und teilte mir mit, dass beim Baden von Nr. 7 und 8 (Lieferant war der oben bereits erwähnte Händler aus Nordrhein-Westfalen) je „ein großer Wurm“ abging. Da der Besitzer am gleichen Ort wie ich wohnt, suchte ich ihn sofort mit meiner Kamera auf und konnte die beiden noch höchst aktiven Würmer mit eigenen Augen betrachten. Es handelte sich um zwei große Spulwürmer (Askariden, Trematoden; Bild 10). Der größere der beiden Würmer war rund 9 cm lang. Noch nie zuvor hatte ich einen so großen Wurm aus einer so kleinen Schildkröte gesehen, auch nicht auf veröffentlichten Fotos!

LeidBild10Bild 10: Zwei große, noch lebende Spulwürmer unbekannter Herkunft und Gattung, ausgeschieden von den beiden Schildkröten-Patienten Nr. 7 und 8 nach einer Panacur-Eingabe. Der größere der beiden Würmer, hier links in dem kleinen roten Deckel zusammengerollt,  war 9 cm lang.
Erläuterung zur Rückennummer: Der Besitzer hatte die Ende September 2011 als "Entschädigung" erhaltenen Schildkröten Nr. 7 und 8 mit Nr. 2 und 3 gekennzeichnet, nachdem seine ersten Babys Nr. 1 und 3 nicht mehr existierten  und Nr. 2 und 4 beim Autor in Dauerpflege waren. Alle Fotos stammen vom Autor.



Im Gegensatz zu Oxyuriden (siehe Teil 2 des Artikels) müssen Spulwürmer unbedingt bekämpft werden (ebenfalls mit Panacur), wobei eine mögliche Reinfektion durch vorübergehende Haltung auf Papier, das täglich zu wechseln ist, ausgeschlossen werden muss. Wird Kot ausgeschieden, ist dieser jeweils sofort zu entfernen.

Ich hole mir gerne verschiedene Meinungen von anderen Experten ein, so auch in diesem Fall: Ein weiterer von mir konsultierter Tierarzt mit langjähriger Erfahrungen bei der Behandlung von Reptilien wies mich auf die Problematik einer erfolgreichen Ausrottung von Trematoden hin: davon befallene Tiere müssen täglich, und zwar 10 Tage hintereinander, mit jeweils 50 mg Panacur je kg Körpermasse oral behandelt werden. Diesen Stress wollte ich jedoch den kleinen, geschwächten Spornschildkröten nicht zumuten. Ich hoffte einfach, dass außer den beiden ausgeschiedenen Spulwürmern keine weiteren den Darm besiedeln.

Der von mir konsultierte Fachmann, davon informiert, sah es angesichts der Spulwürmer und der in diesem Beitrag ausführlich geschilderten Symptome als nicht unwahrscheinlich an, dass es sich bei den erworbenen Spornschildkröten nicht um deutsche Nachzuchten, sondern um Importierttiere handeln könnte, die als Babys einfach mit den Bedingungen hierzulande nicht zurechtkommen.

Inhalt des in Vorbereitung befindlichen 2. Teils dieses Artikels:
Zu den Untersuchungsergebnissen - Wieder gleiche Probleme bei sechs weiteren neu erworbenen Tieren / sofortige Rückgabe - Wie es Nr. 5 und 6 heute ergeht - Negative Erfahrungen auch von anderen Spornschildkröten-Haltern - Ursachenfindung: Fakten und Thesen - Was sollten Spornschildkröten-Babys wiegen? Auf was beim Kauf von Sulcata-Schlüpflingen zu achten ist - Fazit.

Literatur:
[1] Herz Mario (2010): Die Spornschildkröte. Art-für-Art, NTV-Verlag, 64 S., ISBN 978-3-86659-141-7
[2] Kodymová Veronika und Konás Jan (2007/2008): Zucht der Spornschildkröte im Zoo Pilsen, Tschechien. MARGINATA Nr: 16, S. 18-23
[3] Bidmon Hans-Jürgen (2011): pers. Mitteilung an den Autor vom 10.12.2011
[4] Köhler Horst (2008): Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys. Schildi-Verlag Augsburg, ca. 180 Seiten, ISBN 978-3-00-023839-0
[4] Bidmon Hans-Jürgen (2001): pers. Mitteilung an den Autor vom 9.12.2011

 

Dieser Artikel wurde am 26. November 2012 online gestellt.