von Horst Köhler, Friedberg
Nach dem kühlen, nasskalten Wetter im letzten Jahr (2010) war und ist das Schildkrötenjahr 2011 für die Züchter von Europäischen Landschildkröten sicherlich wesentlich erfolgreicher. Zwar ist der diesjährige Sommer mit seinen vielen regnerischen Tagen nach nur jeweils kurzer Zeit sommerlicher Hitze bisher, zumindest in Bayern, sehr wechselhaft, doch die Monate April und Mai waren mit vielen sonnigen und warmen Tagen so recht nach dem Geschmack der Landschildkröten.
Der Schlupferfolg war dann auch entsprechend (siehe Bild). Von fünf inkubierten Gelegen meiner drei Zuchtpaare schlüpfte nur ein einziges Ei nicht. Als ich es vier Wochen nach dem erwarteten Schlupfdatum vorsichtig öffnete, fand ich einen Embryo, der bereits im frühen Verlauf seiner Entwicklung abgestorben war. Allerdings musste ich feststellen, dass vom sechsten - und für dieses Jahr auch letzten - Gelege von fünf relativ kleinen Eiern eines meiner beiden Maurischen Landschildkröten-Weibchen zwei Neugeborene nur 9 bzw. 10 g wogen (sonst sind Maurische Schlüpflinge bei mir zwischen 14 und 16 g schwer) und, was noch viel schlimmer war, mit massiv deformierten Panzern aus dem Ei kamen. Ich musste die beiden deshalb leider euthanisieren.
Wie in jedem Jahr, kamen alle Schlüpflinge auch diesmal in eine rechteckige Plastik-Hälterungswanne (Katzen-WC), die immer bei gutem Wetter zumindest einige Stunden lang auf die Terrasse zur Sonnenbestrahlung (UVB-Versorgung) gestellt wurde. Eines Tages, als wir nicht zu Hause waren, muss ich die Gitter-Abdeckung vergessen haben und die Wanne mit den Schlüpflingen stand überdies nicht auf dem Terrassentisch, sondern auf dem Boden.
Blick in die Plastik-Hälterungswanne mit einigen erst wenige Wochen alten Griechischen und Maurischen Landschildkröten-Schlüpflingen in einer Aufnahme von Mitte Juli 2011. Seitdem sind noch etliche weitere Schlüpflinge dazugekommen. Foto vom Autor.
Zwei Tage später zählte ich die Tiere nach und musste feststellen, dass drei von ihnen fehlten. Da half weder mehrmaliges Nachzählen, noch ein Ausleeren und eine genaue Untersuchung des Bodensubstrats. Ich stand zunächst vor einem großen Rätsel, denn die Plastikwanne ist seitlich so hoch, dass kein Schlüpfling von selbst daraus entweichen kann, selbst wenn vier oder fünf Tiere aufeinander klettern würden.
Nach längerem Nachdenken kam als mögliche Erklärung für das Verschwinden der Kleinen nur ein Raub durch die in unserer Straße nistenden Elstern (Elstern zählen zu den Raubvögeln) oder durch eine der (acht !) neugierigen Katzen unserer Nachbarin infrage. Ich fand mich also notgedrungen mit dem Verschwinden ab, mir selbst schwörend, nie mehr wieder ohne aufgesetzte Schildkröten-Wannenabdeckung aus dem Haus zu gehen. Alle Katzen und Elstern in unserer Straße, die ich in den Tagen danach auf unseren Bäumen entdeckte bzw. auf der Straße begegnete, sah ich strafend an - auch wenn ich ein überzeugter Tierfreund bin.
Vier Tage später, an einem Samstag, mähte unsere direkte Nachbarin ihren Vorgarten und fand dabei, eher zufällig, inmitten der gemähten Rasenfläche eine der drei verschleppten jungen Schidlkröten, zum Glück unverletzt. Was wohl passiert wäre, wenn die kleine Schildkröte nicht zufällig in einer kleinen Bodenkuhle gesessen wäre und so von den Messern des Mähers nicht erreicht wurde? Man kann meine Freude über diesen Fund sicher nachvollziehen, vor allem, als ich selbst drei Tage später den zweiten verloren geglaubten Schlüpfling in unserem eigenen Rasen entdeckte, nur 3 m vom Fundort der ersten Schildkröte entfernt, und zwar ebenfalls ohne sichtbare äußere Verletzungen. Nun hatte ich auch wieder Hoffnung, dass sich auch moch das dritte Tier einstellen würde. Und tatsächlich, 12 Tage nach dem Feststellen des Verschwindens saß plötzlich die oder der Kleine, seelenruhig sich sonnend, auf unserem Plattenweg zwischen Gartentüre und Haustüre.
Da alle drei ungewollte "Ausreißer" unverletzt waren und nach dem Zurücksetzen in die Hälterungswann zu ihren Geschwistertieren sofort zu fressen begannen, kann ich mir vorstellen, dass die Elstern - falls sie die Übeltäter waren - die drei sicherlich stark zappelnden Schlüpflinge gleich zu Beginn des Fluges mit ihrer Beute verloren und in unseren Büschen nicht mehr gefunden hatten. Waren aber die (wohlgenährten) Katzen unserer Nachbarin die Räuber, dann hatten die wohl die jungen Schildkröten nicht als Futter angesehen (zumal es keine Katzen-Jungen gab), sondern als „Spielzeug". Als sie dann mit eingezogenem Kopf und eingezogenen Beinen regungslos vor den Katzen lagen, waren sie für diese nicht mehr interessant.
Wie auch immer, ich hatte großes Glück, zumal wir im fraglichen Zeitraum - Mitte bis Ende Juli 2011 - sehr kühle Nächte mit Tiefsttemperaturen im einstelligen Bereich hatten. Und trotzdem waren die drei Kleinen nach dem Auffinden so vital und munter wie zuvor: Vielleicht sollte man Schlüpflinge wirklich nicht mit zu hohen Hälterungstemperaturen verhätscheln, wie ich ja schon in meinem Buch "Aufzucht Europäischer Landschildkröten-Babys" ausgeführt habe...
Dieser Beitrag wurde am 8. August 2011 online gestellt.