von Horst Köhler, Friedberg
Umfrage von Gunda Meyer De Rojas
Die Schildkröten-Expertin Gunda Meyer De Rojas hat auf ihrer Internetseite testudoland.npage.de/ sowie im Schildkrötenportal "Testudowelt" am 19.9.2014 interessante Ergebnisse über eine von ihr durchgeführte Umfrage zur Überwinterung von Landschildkröten (Hibernation) veröffentlicht.
Im Frühjahr 2014 hatte Frau Meyer insgesamt 321 Schildkrötenhalter aus ihrem Bekanntenkreis und aus Schildkröten-Foren danach befragt, wie sie ihre Schildkröten überwintern. Fast genau die Hälfte, nämlich 159 Halter, hatten ihre Tiere im letzten Winter 2013/14 im Kühlschrank überwintert, 33 % im Frühbeet bzw. Gewächshaus, 12,5 % im Keller und der Rest von 3,5 % in der Garage, im Schuppen, Gartenhaus bzw. im Freiland. Jeder zweite Schildkrötenbesitzer überwintert also seine Tiere nach dieser (natürlich nicht ganz repräsentativen) Umfrage im Kühlschrank, vielleicht eine Folge der Empfehlung vieler reptilienerfahrener Tierärzte, Landschildkröten im Kühlschrank zu überwintern.
Im Winter 2012/13 überlebten 22 Schildkröten der damals Befragten die Überwinterung nicht, im letzten Winter 2013/14 waren es mit 21 Tieren fast genauso viel. Zu 40 von diesen 43 in zwei aufeinanderfolgenden Wintern eingegangenen Schildkröten wurde auch der exakte Überwinterungsort angegeben. Und nun das Überraschende: 31 von 40 der während oder kurz nach der Winterruhe gestorbenen Schildkröten, also 77,5 %, wurden im Kühlschrank überwintert. In den allermeisten Fällen trat der Tod überraschend ein (keine bekannten Vorerkrankungen, keine eingewinterten Risikokandidaten, korrekte Vorgehensweise wie Temperaturüberwachung, Luftaustausch im Kühlschrank usw.); nur sechs Halter gaben zu, möglicherweise Risikotiere eingewintert zu haben.
Gerade die Kühlschranküberwinterung wird, wie erwähnt, von reptilienkundigen Fachtierärzten besonders gerne und nachhaltig empfohlen. Doch wenn nachweislich von 40 während oder kurz nach der Überwinterung eingegangenen Landschildkröten 31 im Kühlschrank überwintert hatten und lediglich 9 an anderen Orten (Frühbeet, Keller usw.), muss dies nachdenklich stimmen.
Was sind nun aber die Ursachen der offensichtlich wenig sicheren Überwinterungsstätte "Kühlschrank"? Sind es die über Wochen hinweg konstanten Temperaturen? Waren es in ihnen zu kalt? War es zu feucht oder zu trocken? Haben vielleicht die ständigen Vibrationen des Kühlschranks mit den erhöhten Ausfällen zu tun?
Kommentar des Autors
Die vermeintlich ideale Überwinterungsmöglichkeit für unsere mediterranen Landschildkröten weicht in vielerlei Hinsicht von der tatsächlichen Situation im natürlichen Lebensraum ab. Der markanteste Unterschied für mich ist, wie bereits im vorstehenden Absatz angedeutet, die Temperatur während der Hibernation. Viele Halter stellen ihren Kühlschrank auf Werte von 5 °C und noch weniger ein und überwintern ihre Schildkröte(n) bei diesen unverändert tiefen Temperaturen vier bis fünf Monate lang. In der Natur gibt es jedoch derartige gleichbleibende Umgebungsbedingungen nicht. Wer sich der Mühe unterzieht, Schildkrötenbiotope in Südeuropa nicht in der Touristensaison, sondern im zeitigen Frühjahr und/oder im November und Dezember aufmerksam zu durchstreifen, wird schon in der ersten, spätestens der zweiten Februarhälfte bzw. noch Ende November bis Mitte Dezember immer wieder Schildkröten entdecken, die sich bei schönem Wetter an der Sonne erwärmen und sogar ab und zu ein Stück von einer Futterpflanze abbeißen. Sobald sich dann Schatten über das Areal ausgebreitet hat, verschwinden sie nach ein oder zwei Stunden wieder in ihren Überwinterungsverstecken. Sie setzen sich also recht unterschiedlichen Umgebungstemperaturen zwischen 5 °C (nachts) und etwa 20 °C (an der Sonne gemessen) aus. Auffällig ist auch, dass sich die Wildtiere im sehr zeitigen Frühjahr vorübergehend sogar bei Regen außerhalb ihrer Verstecke aufhalten, um bewusst Wasser aufzunehmen. Dies dient dazu, die während der Hibernation zwangsläufig entstehenden Giftstoffe im Organismus zu verdünnen und über Niere und Blase auszuscheiden (G Jennemann: "Panzerröte bei Landschildkröten nach der Hibernation - was sind die Ursachen? SCHILDKRÖTEN IM FOKUS 10 (2), 2013, S. 3 ff).
Wie man leicht aus den im Internet zugänglichen Wetterdaten der Schildkrötengebiete ersieht, gibt es dort im Dezember und Januar durchaus Tage, an denen das Thermometer auf 12 °C oder mehr klettert. Zwar kommen diese Temperaturpeaks nicht in voller Höhe in den schützenden Verstecken der Schildkröten unter dichten Büschen oder unter der Erde an, doch warum die meisten Schildkröten-Autoren vor Überwinterungstemperaturen von mehr als z.B. 6 °C warnen, ist mir angesichts der Gegebenheiten in der Natur unverständlich.
Ich selbst werde nicht unruhig, wenn in meinem Keller, in dem ich meine Landschildkröten überwintere, das Thermometer an wärmeren Wintertagen kurzzeitig mal 15 °C erreichen sollte, selbst dann nicht, wenn sich dann einige Tiere durch leichte Scharrgeräusche bemerkbar machen: zwei oder drei Tage später ist es wieder kälter und die Tiere sind wieder ruhig.
Aufnahme einer adulten männlichen Griechischen Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri) während der letzten Oktobertage, die hier vor der Schildkröten-Schutzhütte die letzten schwachen Sonnenstrahlen genießt. Dieses 1 kg schwere und etwa 20 Jahre altes Tier beschert mir mit seinem Weibchen Jahr für Jahr robuste Nachzuchten. Temperatur zum Aufnahmezeitpunkt außerhalb der sonnenbeschienenen Fläche: 12,5 °C. Foto von Horst Köhler.
Da die Hibernationsdauern in der Natur meist kürzer sind als beim Schildkröten-Halter, versuche ich die Phasen konstant tiefer Temperaturen nicht zu lange werden zu lassen. Meine adulten Schildkröten verbringen deshalb den gesamten Spätherbst bis Anfang Dezember in ihrer Schutzhütte im Freien (im Fall von nächtlichen Minustemperaturen habe ich die Möglichkeit, eine unter dem Substrat liegende 15-W-Wärmematte einzuschalten), wo sie wie in der Natur schwankenden Temperaturen ausgesetzt sind. Sie haben ständig die Möglichkeit, durch eine Flattertüre im Schutzhaus ins Freie zu gelangen, wo sie sich feuchter und frischer Luft und der (schwachen) Sonnenstrahlung aussetzen und Feuchtigkeit oder Wasser aufnehmen können. Hauptvorteil: die Tiere können sich im Verlauf von mehreren Wochen auf die bevorstehende kalte Jahreszeit einstellen. Wenn dann im Dezember die ersten (stärkeren) Nachfröste auftreten, sind die Tiere eingeschlafen und können leicht in die bereitgestellten Überwinterungskartons im Keller umgesetzt werden. Im zeitigen Frühjahr, meist Anfang bis Mitte März (da kann es bei uns im Raum Augsburg durchaus nochmals schneien), beschreite ich den umgekehrten Weg: die teilweise noch schlafenden, teilweise gerade erwachenden Tiere kommen wieder in ihre gesäuberte und mit frischem Substrat gefüllte Schutzhütte im Freigelände, schlafen dort weiter und können frei entscheiden, wann sie das Schutzhaus zum ersten Mal für ein kurzes Sonnenbad verlassen.
Auf diese Weise (siehe auch Horst Köhler: "Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys"; Infos über dieses Buch finden sich nach dem Anklicken des Buttoms "Schildi-Buch" in der Hauptmenü-Leiste) erreiche ich eine weitgehend artgerechte Überwinterung bei schwankenden Temperaturen und vermeide außerdem mögliche weitere Nachteile der Hibernation von Schildkröten im Kühlschrank (die erst noch diskutiert werden müssten), wie z.B. ständige Dunkelheit, möglicherweise unzureichender Luftaustausch, zu trockenes oder zu feuchtes Substrat, Betriebsvibrationen des Gerätes.
Aufruf an unsere Besucher
Das Thema so kurz vor der kommenden Winterruhe unserer Lieblinge ist wichtig genug, weitere Erfahrungen zur Überwinterung von Landschildkröten zu sammeln. Ich lade deshalb alle Besucher von schildi-online.eu ein, ihre Erfahrungen mit der Überwinterung 2013/14 zu schildern. Geben Sie bitte kurz an, wieviele Landschildkröten Sie wie und wo, wie lange und bei welcher Temperatur im letzten Winter überwintert haben (bitte auch das Alter der Tiere angeben) und ob es Todesfälle gab. Halten Sie sich dabei bitte möglichst kurz, da wir Ihre Rückmeldungen im Anschluss an diesen Artikel zeitnah online stellen wollen. Wer nicht mit vollem Namen, sondern nur mit Ihren Initialen aufgeführt werden möchte, soll dies bitte erwähnen. Schildkrötenfreunde, die ihre Erfahrungen im Frühjahr 2014 bereits Frau Meyer mitgeteilt hatten, sollten sich allerdings nicht mehr melden.
Zuschriften werden per Email an schildi-online(at)web.de oder an Fax 0821/781149 erbeten. Natürlich können Sie auch einen Brief schicken - die Postanschrift finden Sie im Hauptmenü unter "Impressum & Kontakte". Ich weiß, dass die Website schildi-online.eu erfreulicherweise zwar sehr gut besucht wird, dass aber Zuschriften (Pro- oder Contra-Stellungnahmen, eigene Erfahrungen, Artikel- und Fotoangebote) leider eher die Ausnahme darstellen. Es wäre deshalb schön, wenn es bei diesem wichtigen Thema einmal anders wäre. Warten wir's ab...
Dieser Beitrag wurde am 26. Oktober 2014 online gestellt.