Landschildkröten können der Blickrichtung von Artgenossen folgen
Bisher war bekannt, dass nur Säugetiere und Vögel, nicht also die Reptilien, die Fähigkeit besitzen, die Blickrichtung eines Artgenossen zu erkennen und diesem Blick zu folgen (gaze following). In einem wissenschaftlichen Experiment an der Universität Wien, Österreich, konnte nun an einer Gruppe von nachgezüchteten Köhlerschildkröten (Geochelone carbonaria) erstmals aufgezeigt werden, dass dies zumindest bei dieser Landschildkrötenart möglich ist.
Zunächst wurden die am Versuch beteiligten acht juvenilen Schildkröten mit Carapaxlängen zwischen 9 und 17 cm sechs Monate lang in zwei getrennten Terrarien gehalten, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich aneinander zu gewöhnen. Das spätere Versuchsterrarium war durch ein Metallgitter, durch das sich die Versuchstiere in den beiden Hälften gut sehen konnten, geteilt. Darüber befand sich eine Art Projektionstafel.
Zu Beginn des eigentlichen Experimentes projizierten die Wissenschaftler mit einem Laserpointer einen hellen Punkt auf die Projektionstafel und alle acht Tiere wurden nacheinander auf ihre Reaktion auf diesen Lichtfleck getestet. Doch nur eine der acht Schildkröten, Alexandra, hob eindeutig ihren Kopf bzw. Nacken, um den Lichtpunkt auf dem Schirm genau fixieren zu können. Deshalb wurde sie zum „Vorführer" (demonstrator) bestimmt, während die anderen sieben Tiere als Beobachter (observer) fungierten.
So sah die Versuchsanordnung aus: Alexandra, die „vorführende" Köhlerschildkröte, blickt auf den projizierten Laserpunkt (links), während die beobachtende Schildkröte in der rechten Hälfte des Versuchsterrariums daraufhin getestet wurde, ob sie der Blickrichtung von Alexandra folgt oder nicht und wie oft sie dies tut. Zeichnung mit freundlicher Genehmigung von Dr. Anna Wilkinson & Team, Wien.
Alexandra kam nun allein in eine Hälfte des Versuchsterrariums, die anderen Tiere nacheinander, also jeweils einzeln, in die andere. Per Laserpointer wurde Alexandra nun dazu gebracht, auf den auf die Tafel projizierten Lichtpunkt zu blicken. Bei den sieben Beobachtern, die nur Alexandra und nicht den Lichtpunkt selbst sehen konnten, wurde nun registriert, ob und wie oft sie spätestens innerhalb von 5 Sekunden dem Blick von Alexandra folgten (siehe Skizze). In etwa 60 % dieser Übungen, die sich über drei Wochen hinzogen, war dies der Fall. Zwei der sieben südamerikanischen Schildkröten, die mit 9 und 11 cm Carapaxlänge noch sehr jung waren, ließen sich allerdings durch die Fixierung des Laserpunktes durch Alexandra nicht beeinflussen.
Das bewusste Folgen des Blickes eines Tieres durch andere der gleichen Art auf einen bestimmten Gegenstand kann in der Tierwelt eine wichtige Rolle spielen, z.B. wenn die beobachtenden Tiere auf diese Weise beispielsweise auf ein Futter oder auf ein feindliches Tier oder eine andere drohende Gefahr aufmerksam gemacht werden. Ob dieses Verhalten innerhalb der Familie der Reptilien nur bei Landschildkröten auftritt, ist bisher nicht bekannt.
Referierte Literatur:
Wilkinson Anna, Mandl Isabella, Bugnyar Thomas und Huber Ludwig: Gaze following in the red-footed tortoise (Geochelone carbonaria). Anim Cogn, Springer-Verlag, Online-Veröffentlichung erfolgt am 22. April 2010
Referat: Horst Köhler (18. Juni 2010)