Beschäftigt man sich mit der UV-B-Strahlung, die auf Reptilien wie beispielsweise Schildkröten in freier Wildbahn einwirkt, ist es zunächst erforderlich zu wissen, wie hoch das „Angebot“ der Sonne überhaupt ist. Die Intensität der freien, also ungestörten solaren UV-B-Strahlung am Erdboden kann beispielsweise durch ein einfaches und relativ preiswertes Breitband-Radiometer zuverlässig und genau genug gemessen werden (Kapitel 4.2).
5.1 Einflussgrößen der solaren UV-B-Intensität
(a) Tageszeit (Sonnenhöhenwinkel) und Breitengrad
Wie beschrieben, wird die UV-B-Intensität der Sonne in erster Linie durch den Stand der Sonne am Himmel beeinflusst. Steht die Sonne genau senkrecht über dem Beobachter, ist die Ultraviolett-Strahlung und damit auch die UV-B-Strahlung am Boden am stärksten. Denn nur dann haben die Sonnenstrahlen den kürzesten Weg zum Erdboden zurückzulegen und werden durch atmosphärische Einflüsse am wenigsten beeinflusst. Treffen sie dagegen flach auf die Erde, weil die Sonne tief am HImmel steht, haben sie einen viel längeren Weg zur Erdoberfläche zurückzulegen und die UV-Strahlung wird entsprechend stärker durch Ozon-Absorptionsprozesse und andere atmosphärische Vorgänge reduziert.
Für jeden Punkt auf der Erdoberfläche, der durch seine geographische Lage definiert ist, ergibt sich durch die Erdrotation und aufgrund der Bewegung der Erde um die Sonne eine bestimmte Position der Sonne am Himmel (die von der Tages- und Jahreszeit abhängt). Für die am Boden vorhandene Strahlungsintensität ist in erster Linie der Sonnen(höhen)winkel, der Winkel zwischen dem Mittelpunkt der Sonne und dem Horizont, entscheidend. Da der Sonnenhöhenwinkel für alle Standorte auf einem beliebigen Breitengrad identisch ist, ist es auch die UV-B-Intensität – natürlich vorausgesetzt, die momentanen Wetterbedingungen sind an all diesen Orten gerade gleich. Das heißt also, dass die UV-B-Intensität beispielsweise in den beiden Städten Toledo (Spanien) und Ankara (Türkei) bei gleicher Witterung (Bewölkung, Sonnenschein usw.) gleich hoch ist.
Verfolgen wir den Sonnenhöhenwinkel während eines (sonnigen) Tages, dann sehen wir bei freiem Horizont, z.B. am Meer, dass er am frühen Morgen im Osten, also bei Sonnenaufgang, noch Null ist. Mit fortschreitender Tageszeit steht die Sonne immer höher am Himmel und erreicht gegen Mittag ihren höchsten Stand; dieser ist, wie schon ausgeführt, abhängig vom Breitengrad des Standortes. Am Äquator erreicht der Sonnenhöhenwinkel mittags mit 90 Grad seinen Höchstwert. Am Nachmittag sinkt die Sonne am Himmel, die UV-Strahlung nimmt wieder ab. Gegen Abend geht die Sonne schließlich im Westen unter; dann ist der Sonnenwinkel wieder Null, und deshalb auch die Stärke der UV-Strahlung.
Sonnenhöhenwinkel von Null Grad sind besonders schön am Meer zu sehen, weil hier die auf- und untergehende Sonne nicht von hohen Gebäuden und Bäumen verdeckt wird (siehe Bild 1).
Wie die lilafarbene Kurve in Bild 12 zeigt, ist für einen bestimmten Ort, hier in Süd-Wales (UK) auf 52° nördlicher Breite, der im Tagesgang fast spiegelbildliche Verlauf der UV-B-Intensität der Sonne identisch mit der zeitlichen Veränderung des Sonnenstandes: kurz nach Sonnenaufgang wird eine zunächst noch sehr geringe UV-B-Intensität gemessen, die höchsten Werte treten um die Mittagszeit auf - wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat; bei Sonnenuntergang nimmt die UV-B-Intensität wieder auf Null ab. Die leichten Unregelmäßigkeiten im Kurvenverlauf werden durch hohe schwache Wolken bzw. Nebelschwaden vor der Sonne verursacht.
Je näher der Standort am Äquator liegt, desto höher sind auch die maximalen UV-B-Tageshöchstwerte, weil dann die Sonne mittags höher am Himmel steht als über Gegenden weit südlich oder nördlich vom Äquator. Dies ist in Bild 12 an der roten Kurve für Kakadu im nördlichen Australien (13° südliche Breite) zu sehen: während für Süd-Wales am 6. Mai 2008 um 12 Uhr ein Spitzenwert von "nur" etwa 280 µW/cm2 gemessen wurde, betrug der Maximalwert in Kakadu, das viel näher am Äquator liegt, am 3. Oktober 2006 um 13 Uhr bei ähnlich sonnigem Wetter etwa 460 µW/cm2.. Für Orte, über denen die Sonne genau senkrecht steht, wie z.B. für das nördliche Australien, werden im Dezember Werte sogar bis 475 µW/cm2 gemessen. Je weiter man jedoch nach Norden geht, desto mehr sinken die UV-B-Tageshöchstwerte; außerdem wird gleichzeitig die Sonnenscheindauer kürzer: im gleichen Monat misst man in Florida (USA) bei etwa 25 bis 30° nördlicher Breite nur noch Werte bis 250 µW/cm2 und im US-Bundesstaat Illinois (42° nördliche Breite) sogar nur noch 100 µW/cm2. In noch weiter nördlich gelegenen Regionen sinkt die UV-B-Höchstintensität noch mehr; für Finnlands Hauptstadt Helsinki (60° nördliche Breite) als Beispiel sind im Winter-Monat Dezember höchstens 10 µW/cm2 zu erwarten.
Eine große Zahl von UV-B-Aufzeichnungen für zahlreiche Standorte und Jahreszeiten zeigt Frau Dr. Frances Baines in ihrer empfehlenswerten (englischsprachigen) Website (Baines, 2008).
Bild 12: Gemessene UV-B-Intensitäten während eines Tages für zwei verschiedene Beobachtungsorte bei jeweils klarem Himmel: die lilafarbene Kurve gilt für Süd-Wales, England (52 °N), gemessen am 6. Mai 2008, die rote für Kakadu in Nordaustralien (13 °S), gemessen am 3. Oktober 2006. Messinstrument: Breitbandradiometer Solarmeter 6.2 UVBmeter (280-320 nm). Grafik von Dr. Frances Baines, Wales (UK).
(b) Bewölkung
Aus dem bisher Beschriebenen und aus Bild 12 wird deutlich, wie die UV-B-Intensität der Sonne vom Breitengrad des Standortes und der Tages- und Jahreszeit abhängt. Zusätzlich hat die örtliche Witterung, vor allem die Bewölkung des Himmels, eine ganz entscheidende Auswirkung auf die am Boden ankommende UV-B-Strahlung. Schleierwolken, die sich vor die Sonnenscheibe schieben, reduzieren die Intensität der UV-B-Strahlung mehr oder weniger. Bedecken jedoch graue oder gar dunkle Wolken die Sonne, zeigt das auf die Sonne gerichtete Messgerät innerhalb von nur wenigen Sekunden einen schlagartigen Rückgang der Anzeige auf unter Umständen nur noch ein Zehntel des kurz zuvor bei klarem Himmel gemessenen Wertes an. Die Bewölkung kann sich also viel stärker auf die Stärke der UV-B-Strahlung auswirken als die Lage des Standortes und die Tageszeit. In anderen Worten. Dies mag für viele Leser dieser Abhandlung ungewöhnlich erscheinen, aber es ist Fakt: in unseren heimischen (nördlichen) Breitengraden gibt es durchaus Stunden, ja ganze Tage, mit höherer UV-B-Strahlungsintensität als in den Vorkommensgebieten von europäischen Landschildkröten im südlichen Europa, ja sogar in äquatorialen Gegenden. Nur wenn der Himmel klar ist und die Sonne scheint, ist die UV-B-Strahlung am Äquator deutlich stärker als in Südeuropa, und die in Südeuropa wiederum stärker als in Deutschland.
Die UV-B-Messwerte in Bild 13, die die rote und blaue Kurve ergeben haben, habe ich vom gleichen Standort aus an zwei aufeinander folgenden Tagen aufgezeichnet. Messort war die unmittelbare Umgebung der ostafrikanischen Stadt Moshi in Tansania, in etwa 1.000 m Höhe am Fuße des 5.895 m hohen Kilimandscharo fast auf dem Äquator gelegen.
Bild 13: Gemessene UV-B-Strahlungsintensitäten an zwei aufeinander folgenden Tagen im Januar 2008 außerhalb von Moshi, Tansania, Ostafrika. Jedes Karo- bzw. jedes Rautenzeichen entspricht einem Messpunkt. Messinstrument: Breitbandradiometer Solarmeter 6.2 UVBmeter 280-320 nm).
Die rote Kurve vom 17. Januar 2008 gibt den UV-B-Verlauf an einem sonnigen und vollständig wolkenlosen, heißen Nachmittag des örtlichen Sommers wieder. Leider verpasste ich den Tageshöchstwert, der zwischen 12 und 13 Uhr Ortszeit bei etwa 450 µW/cm2 gelegen haben dürfte. Noch um 17 Uhr war die Sonnenstrahlung so intensiv und blendend, dass man die Sonne ohne gute Sonnenbrille nicht betrachten konnte – was aber nicht zu umgehen ist, wenn man mit einem UV-B-Breitbandradiometer misst. Trotzdem war wegen des niederen Sonnenhöhenwinkels die UV-B-Intensität bereits auf relativ niedrige 76 µW/cm2 gefallen.
Ganz anders die blaue Messreihe vom Vortag, den 16. Januar 2008: am Vormittag war der Himmel noch klar und die UV-B-Intensität stieg am frühen Vormittag wie erwartet steil an. Doch dann zogen leichte Wolken auf. Als sie die Sonne erreichten, fiel die Intensität kontinuierlich von 260 µW/cm2 um 9.45 Uhr auf 110 µW/cm2 um 10.30 Uhr. Dann waren die Wolkenschwaden wieder weg und es wurde sofort wieder voll sonnig (und heiß !): die UV-B-Intensität stieg rapide an. Um 11 Uhr schnellte der Wert sogar innerhalb weniger Sekunden (!) von 200 auf 340 µW/cm2 hin die Höhe und erreichte um 11.45 Uhr mit 400 µW/cm2 seinen Höchststand an diesem Tag. Denn gegen 12 Uhr wurde es diesig und wenig später kamen dunkle Wolken auf, so dass die sich Intensität der UV-B-Strahlung stark abschwächte. Um 13.30 Uhr war es so dicht bewölkt, dass die Sonne nicht mehr zu sehen war: der UV-B-Wert war um 13.30 Uhr nur noch 34 µW/cm2. Es wurde an diesem Tag auch nicht mehr so richtig sonnig schön, so dass die UV-B-Intensitäten am Nachmittag auf geringem Niveau unterhalb von 100 µW/cm2 verharrten.
Was für ein krasser Unterschied zum sonnigen, klaren Sommertag am Tag davor: lediglich 34 µW/cm2 am 16.1. gegenüber 420 µW/cm2 am 17.1. – jeweils um 13.30 Uhr Ortszeit gemessen.
Ich beschreibe dies so ausführlich, um die allgemein kursierende Vorstellung zu korrigieren, dass die UV-B-Strahlung immer umso höher ist, je weiter man sich dem Äquator nähert.
(c) Standorthöhe und weitere Einflussfaktoren der UV-B-Strahlung
Da die Stärke der UV-Strahlung der Sonne durch das atmosphärische Ozon gemindert wird, ist es auch nicht allzu überraschend, dass in höheren Lagen vergleichsweise höhere UV-Intensitäten auftreten als – bei gleichen Witterungsbedingungen – auf Seehöhe. Da sich aber Landschildkröten kaum in größeren Höhen (z.B. ab 1.500 m) aufhalten, sind die näheren Zusammenhänge für uns Schildkröten-Liebhaber auch nur von theoretischem Interesse, zumal die genauen Zusammenhänge recht komplex sind: neben der Höhe spielen nämlich auch noch Faktoren wie die Feuchtigkeit der Atmosphäre in und über den Bergen und der Partikelgehalt eine Rolle. Daher nur zwei grobe Anhaltswerte aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Orientierung: in den tropischen chilenischen Anden wurde im Januar/Februar 1992 eine UV-B-Strahlungssteigerung um 10 % je 1.000 Höhenmeter gemessen (Piazena, 1996), während am bayerischen Wank (1.730 m) im Vergleich zur Stadt Garmisch-Partenkirchen (730 m) der Anstieg mit etwa 24 % je 1.000 m Höhe deutlich stärker ist (Blumenthaler et.al., 1997). Die Erklärung: die chilenischen Anden gelten als äußerst „trockene“ Berge mit einer im hohen Maße sauberen Atmosphäre, während die bayerischen Alpen, vor denen die Luftverschmutzung nicht Halt gemacht hat, als „feuchte“ Berge gelten.
Bild 14: Beispiel für sehr hohe UV-B-Werte in µW/cm2, erklärbar durch den äquatornahen Messort, einen wolkenlosen heißen Sommertag und gleichzeitig eine Standorthöhe von 1.300 m. Messinstrument siehe Angabe zu Bild 13.
Bild 14 fasst die höchsten UV-B-Intensitäten zusammen, die ich bisher bei meinen Reisen gemessen habe, wobei in diesem Falle nur die Messwerte um die Mittagszeit an einem klaren und sonnigen Tag aufgetragen sind. Der Standort lag in 1.300 m Höhe in Kalali, einem kleinen afrikanischen Bauerndorf 21 km von der Großstadt Moshi entfernt, auf dem Weg zum 1.840 m hoch gelegenen Machame Gate des Kilimanjaro (für Bergsteiger: einem bekannten Ausgangspunkt für Kilimandscharo-Besteigungen über die Machame Trekking Route). Schon um 10.30 Uhr Ortszeit betrug die UV-B-Strahlungsintensität 370 µW/cm2. Der Höchstwert trat um 13.00 Uhr mit 500 µW/cm2 auf; danach nahm die Intensität der Strahlung wieder ab.
Nur der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch Streuungen und –Reflexionen der Strahlungswellen an Wasseroberflächen, an Schnee- und Gletscherfeldern und an hellem Sand die UV-B-Stärke erhöhen. Deshalb sind beispielsweise auch Bergsteiger und Gletscherwanderer doppelt durch die sehr energiereiche UV-Strahlung gefährdet: zum einen ist die UV-und UV-B-Strahlung auf der Höhe bereits stärker als im Flachland (siehe oben), zum anderen wird die UV-Strahlung durch Reflektionen an Eis- und Schneefeldern zusätzlich erhöht. Nicht uninteressant ist, dass auch hellfarbener Sand, z.B. Wüstensand oder pulvriger weißer Sand an (tropischen) Meeresstränden (Bild 15), die UV-Strahlung und damit auch die UV-B-Intensität um bis zu 15 % verstärken kann (Quelle: www.haut.de).
Bild 15: Nach so viel Stoff über Sonnenstrahlung haben Sie sich, lieber Leser, durch das Betrachten dieses Strandbildes von der Westseite der Insel Sansibar eine kleine "Erholung" verdient. Zwischen den beiden Liegestühlen im Schatten und dem Wasser des Indischen Ozeans war am 18, Januar 2008 mein "Arbeitsplatz" für halbstündliche UV-B-Messungen von 11.30 bis 16.30 Uhr in die direkte Sonne (nicht immer war eine gestellte Aufgabe so angenehm wie wie an diesem Ort). Zwischen 12.35 und 13 Uhr Ortszeit stellte ich den Tages-Höchstwert von etwa 430 µW je Quadratzentimeter fest. Doch dieser Messwert ist durch Strahlungsreflexionen an der Wasseroberfläche und am hellen Sand erhöht. Die Verstärkung ist auf der Ostseite der Insel mit ihren bei Ebbe kilometerweiten, gleißend hellen Sandstränden noch merkbarer. Foto vom Autor.
5.2 Direkte UVB-Messungen in die Sonne über verschiedenen Schildkrötengebieten - im Vergleich zu Süddeutschland
Die bisherigen Ausführungen und Interpretationen in den Kapiteln 5 und 5.1 über eine Auswahl von Strahlungsmessungen an verschiedenen Orten könnten auch unter dem Thema stehen „Wo und wann ist die UV-B-Strahlung der Sonne am stärksten?". Denn so manche Gebiete, in denen ich Strahlungsmessungen durchgeführt habe, sind keine (Land-) Schildröten-Biotope. Im folgenden Abschnitt möchte ich daher einige Messergebnisse vorstellen und diskutieren, die aus Gegenden stammen, in denen Landschildkröten wild oder zumindest unter sehr naturnahen Verhältnissen leben – und im Vergleich dazu Messungen aus meinem Wohnort Friedberg bei Augsburg in Südbayern.
Bild 16: Während der Bootsanfahrt auf die kleine Schildkröteninseln Changuu Island im Indischen Ozean, auch "Prison Island" genannt. Sowoh das Einsteigen in des Boot als auch das Aussteigen an der Insel sind "nasse Vorgänge", da es keinen Steg gibt: Angst vor Wasser darf man also nicht haben.
(a) Aldabra-Schildkröteninsel Changuu Island bei Sansibar
Diese nur 810 x 230 m große und seit einigen Jahren in Privatbesitz befindliche Mini-Insel im Indischen Ozean, noch in Sichtweite von Sansibar, liegt bei 6,3 ° südlicher Breite und besteht aus Vulkangestein mit Korallenaufbau (Bild 16). Bei Flut liegt der höchste Punkt der Insel weniger als 10 m über dem Wasserspiegel (Köhler, 2008a). Inselaufbau und -Klima entsprechen dem weiter im Süden gelegenen, allerdings für Menschen nur schwer erreichbaren, unbesiedelten Aldabra-Atoll mit der größten noch wild lebenden Riesenschildkröten-Population. Auf Changuu Island lebt eine Herde von (Stand Januar 2008) etwa 100 Aldabra-Riesenschildkröten (Dipsochelys dussumieri) unter naturnahen Bedingungen (siehe Foto auf der Startseite von schildi-online.eu). Die Anlage ist so naturnah, dass einzelne Tiere bis vor wenigen Jahren regelmäßig gestohlen wurden bzw. die Insel von selbst auf dem Wasserwege verlassen konnten. Einen ringsum geschlossenen Zaun um das wertvolle Schildkrötenareal gibt es erst seit 2004. Die Messungen der UV-B-Intensität der direkten Sonnenstrahlung in diesem Gebiet machte ich jedoch nicht auf der Mini-Insel selbst, da ich meine dortigen Aufenthalte ausschließlich für Messungen an adulten und der Ermittlung von Gewichten und Größen juveniler Riesenschildkröten nutzen wollte. Die UV-B-Messungen erfolgten daher am Strand des Hauptortes Stone Town von Sansibar, und zwar von dem in Bild 15 gezeigten Standort aus. Das Ergebnis der Aufzeichnungen vom 18. Januar 2008 ist in Bild 17 als blauer Kurvenzug wiedergegeben. Der Messtag war ein sonniger, wolkenloser Sommertag mit einer Lufttemperatur im Schatten von 28 °C schon um 9.15 Uhr morgens, als ich mit meinem Arbeitsprogramm begann. Charakteristisch ist der steile Anstieg der UV-B-Intensität mit zunehmendem Sonnenhöhenwinkel am Vormittag bis zu einem Maximalwert von etwa 430 µW/cm2 während der Mittagszeit; zu diesem Zeitpunkt stand an diesem äquatornahen Punkt die Sonne fast senkrecht über mir. Ab 14.30 Uhr Ortszeit fiel die Strahlungsintensität genauso schnell wieder ab wie sie zuvor angestiegen war. Die letzte Aufzeichnung an diesem Tag war um 16.15 Uhr mit nur noch 110 µW/cm2, obwohl das Thermometer im Schatten zu diesem Zeitpunkt immer noch fast 30 °C anzeigte.
(b) Schildkrötenregion von Testudo graeca ibera in der Südtürkei
Das seit etwa 20 Jahren von mir in Abständen von zwei bis drei Jahren zu Schildkröten-Studienzwecken immer wieder aufgesuchte gleiche Gebiet liegt in der Nähe von Kemer (bei etwa 36,6 ° nördlicher Breite), nicht zu weit von einer Hotel- und Wohnsiedlung entfernt. Zum Strand des Mittelmeeres sind es nur wenige Hundert Meter (Köhler, 2004 und 2008). Hier lebt eine nicht allzu große Population der Maurischen Landschildkröte, zu deren natürlichen Feinden auch Wildschweine gehören (mit einer Wildschwein-Horde mit einigen Jungen machte ich bei meinem letzten Besuch Anfang Juni 2008 am Abend hautnah Bekanntschaft). Mein Standort für die Messungen in die direkte Sonne lag etwa in der Mitte dieses Gebietes.Der rote Kurvenzug der Grafik (Bild 17) zeigt als Beispiel eine am 2. Juni 2008 zwischen 8 und 17.30 Uhr aufgenommene Messreihe, einem sonnigen, wolkenlosen, trockenen und sehr heißen Sommertag. Die höchsten UV-B-Strahlungsintensitäten verzeichnete ich dort mit 341 µW/cm2 zwischen 12.30 und 13 Uhr Ortszeit. Vergleicht man die beiden Kurven blau (äquatornaher Standort) und rot (36,6 ° Süd) in Bild 17, fällt auf den ersten Blick der (zu erwartende) relativ große Unterschied in der maximalen Strahlungsstärke auf. Doch in den Vormittagsstunden und vor allem am Nachmittag liegen die Intensitäten weniger weit auseinander: ab etwa 15.30 Uhr war bei vergleichbarer Witterung die UV-B-Strahlung auf Sansibar/Changuu Island sogar etwas schwächer als im viel weiter nördlich gelegenen türkischen Kemer.
Bild 17: UV-B-Messungen während eines gesamten Tages an einem äquatornahen Standort (blaue Kurve), in einem Verbreitungsgebiet der Maurischen Landschildkröte in der Südtürkei (rote Kurve) und dem Wohnort des Autors in Südbayern als Vergleich (gelbe Kurve). Messinstrument: siehe Bildtext zu Bild 13.
(c) Vergleichsregion Friedberg
Friedberg in Bayern, in unmittelbarer Nähe von Augsburg , liegt auf 48,35 ° nördlicher Breite in rund 500 m Höhe, also nur knapp 12 Breitengrade nördlicher als „meine" Schildkröten-Region bei Kemer in der Südtürkei. Diese Stadt soll als Beispiel für die UV-B-Strahlungsstärke in Deutschland dienen, denn auch für Norddeutschland dürften bei gleicher Wetterlage ganz ähnliche Intensitäten gelten: die nicht sehr großen Strahlungs-Unterschiede aufgrund der unterschiedlichen Lage deutscher Städte dürften angesichts lokaler Wetterunterschiede und der Beschaffenheit (z.B. Sauberkeit) der Luft kaum noch nachweisbar sein.
Die UV-B-Messungen in Friedberg - gelber Kurvenverlauf in Bild 17 - erfolgten am 10. Juni 2008, nur zwei Tage nach meiner Rückkehr aus der Südtürkei und den letzten dort im Schildkröten-Verbreitungsgebiet aufgenommenen Messreihen. Der zunächst sonnige (und warme) Vormittag bei wolkenlosem Himmel äußerte sich in einem ähnlich steilen Anstieg der UV-B-Intensität wie auch kurz zuvor an der Türkischen Riviera registriert. Um 10 Uhr waren bereits 171 µW/cm2 erreicht, eine Stunde später waren es 276 µW/cm2. Doch kurz danach verschwand die Sonne hinter einer einzelnen dunklen Wolke; die Grafik zeigt deutlich die Auswirkung: die Strahlungsintensität brach innerhalb weniger Minuten um die Hälfte auf ein Minimum von 134 µW/cm2 ein. Als die Wolke Minuten später die Sonne wieder freigab, schnellte der Wert sofort wieder auf sein früheres hohes Niveau zurück und erreichte gegen 13 Uhr Ortszeit ein Maximum von 313 µW/cm2. Ich muss zugeben, dass mich dieses hohe Niveau in Bayern selbst etwas überraschte, denn laut Aussage der verfügbaren Literatur, auch nach Beiträgen im Internet, hatte ich erwartet, dass die maximale Strahlungsstärke in unseren Breitengraden deutlich niedriger sein würde als in den südeuropäischen Herkunftsländern der Landschildkröten. Doch meine Messungen bestätigen diese Aussage nicht. Ab 15 Uhr versteckte sich die Sonne über Friedberg erneut hinter einer einzelnen dunklen Wolke. Die Folge war ein sofortiger, allerdings nur kurzzeitiger Rückgang der Strahlungsstärke auf einen Wert um 100 µW/cm2. Denn 15 Minuten später, der Himmel war jetzt wieder sonnig und wolkenlos geworden, war der Ausgangswert fast wieder erreicht. Der Himmel blieb im weiteren Tagesverlauf klar und sonnig und die UV-B-Stärke nahm kontinuierlich mit dem abnehmenden Sonnenhöhenwinkel ab. Erwähnenswert ist, dass die Intensität der UV-B-Strahlung im süddeutschen Friedberg ab dem späten Nachmittag an diesem 10. Juni nicht nur höher war als zur gleichen Tageszeit im türkischen Schildkrötengebiet, sondern sogar höher als am äquatornahen Messort.
Tabelle 2: UV-B-Messungen in Friedberg/Bayern (um die Mittagszeit bzw. am Nachmittag)
Tag | Uhrzeit | Bemerkung | UV-B (μW/cm²) |
1.7.2008 | 12:45 | klarer Himmel, wolkenlos, volle Sonne | 315 |
8.7.2009 | 10:00 | stark bewölkt, leicht regnerisch, kühl | 62 |
25.9.2008 | 10:00 | stark bewölkt, Hochnebel, Sonne nicht zu sehen | 28 |
2.11.2008 |
13:00 15:15 |
sonnig, aber leicht diesig Sonne nicht mehr zu sehen, Hochnebel |
79 6 |
5.11.2008 |
13:15 16:00 |
sonnig, leicht dunstig nach abgezogenem Hochnebel sonnig, unmittelbar vor Sonnenuntergang |
79 2 |
4.12.2008 | 12:00 | Sonne total verhangen | 17 |
14.12.2008 | 14:00 | sonnig, wolkenlos, Boden schneebedeckt | 30 |
22.1.2009 | 12:00 | sonnig klarer Wintertag | 50 |
12.2.2009 | 13:15 | sonnig, Boden und Dächer schneebedeckt | 95 |
28.2.2009 | 13:30 | sonniger Vorfrühlingstag bei strahlend blauem Himmel (Temparaturen: 9°C im Schatten, 29,7°C in der Sonne) | 138 |
28.3.2009 | 12:00 | sonnig, bei bereits aufziehenden Regenwolken | 160 |
In Tabelle 2 sind einige Einzelmessungen der UV-B-Intensität der direkten Sonnenstrahlung in Friedberg/Bayern zwischen Juli 2008 und Ende März 2009 bei ganz unterschiedlichen Wetterbedingungen zusammengestellt. Weitere Strahlungsstärken für die gleiche Region finden sich bei Köhler (2008). Die Zahlenwerte sind eine eindrucksvolle Bestätigung dafür, wie weit die UV-B-Messwerte je nach Wetterlage streuen können. Je nachdem wie wolkenfrei und sonnig der Himmel ist, erreichen die Mittags- bzw. Nachmittagswerte im Spätherbst bzw. im zeitigen Frühjahr immer noch ein Niveau bis etwa 160 µW/cm2. Es macht also durchaus Sinn, etwaige im Spätherbst noch nicht im Winterschlaf befindliche bzw. im zeitigen Frühjahr schon wieder ausgewinterte Schildkröten-Babys auch noch im November oder schon im März an einem sonnigen Nachmittag zur natürlichen UV-B-Versorgung für zwei oder drei Stunden ins Freie an die Sonne zu stellen, Bild 18 (Köhler, 2008).
Bild 18: Sobald die Temperaturen an der Sonne 15 °C oder mehr erreichen, kann man Schlüpflinge auch noch im Spätherbst bzw. im frühen Winter (vor dem Winterschlaf) oder im Spätwinter (nach dem Winterschlaf) für einige Stunden der direkten Sonnenstrahlung im Freien aussetzen und sie so mit wertvoller natürlicher UV-B-Strahlung versorgen. Allerdings dürfen die Schildkröten-Babys nicht schlagartig aus einem Terrarium mit z.B. 35 °C Innentemperatur einer um 20 °C tieferen Temperatur im Freien ausgesetzt werden bzw. umgekehrt. Im Bild einige maurische Landschildkröten mit einer griechischen Landschildkröte (vorne links). Foto vom Autor.
Der sehr geringe UV-B-Wert von lediglich 2 µW/cm2 am 5. November 2008 bei Sonnenuntergang und entsprechend tiefem Sonnenstand ist deswegen erwähnenswert, weil mich die Sonne während der Messung immer noch so stark blendete, dass ich meine Sonnenbrille holen musste. Trotzdem war, wie der Messwert zeigt; fast keine UV-B-Strahlung mehr nachweisbar, die Folge des sehr tiefen Sonnenstandes.
Es sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass die UV-B-Intensität der Sonnenstrahlung nicht von der Umgebungstemperatur, sondern allein vom Sonnenstand und natürlich dem momentanen Bewölkungsgrad abhängt, So habe ich beispielsweise an meinem Wohnort am 16. August 2009 an einem mit 33 °C im Schatten sehr heißen Sommertag bei klarem Himmel um 15 Uhr UV-B = 258 µW/cm² gemessen, etwa den gleichen Wert wie am 10. Juni 2008 um die gleiche Tageszeit bei ebenfalls wolkenlosem Himmel, aber nur etwa 23 °C Umgebungstemperatur (siehe auch Bild 17).
5.3 Die UV-B-Strahlung im Mikrohabitat von Landschildkröten (am Boden)
Landschildkröten benötigen neben Wärme und Helligkeit zur Vitamin D3-Synthese UV-B-Strahlung. In Kapitel 5.2 ist gezeigt, wie stark an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten das „UV-B-Angebot" der direkten, also ungestörten Sonnenstrahlung ist und von welchen weiteren Faktoren es - teilweise sogar drastisch - beeinflusst wird.
Doch an welche UV-B-Intensitäten sind wild lebende europäische Landschildkröten eigentlich angepasst? Und an welche (mittlere tägliche) Bestrahlungsdauer? Konkrete Untersuchungen darüber, wie viel UV-B eine Landschildkröte über ihre Hautoberfläche (die Carapaxoberfläche zählt dabei nicht mit) an einem Tag oder Monat oder Jahr durchschnittlich aufnimmt, gibt es meines Wissens bisher nicht, zumindest nicht für die bei uns häufig gepflegten Testudo-Arten. Von mir im Jahr 2008 durchgeführte Strahlungsmessungen im Mikrohabitat von Schildkröten, also direkt am Aufenthaltsort der Tiere am Boden, werden deshalb in diesem Kapitel erstmals näher vorgestellt und diskutiert. Auch wenn es sich bisher nur um Einzelmessungen an einer begrenzten Zahl von Landschildkröten in nur wenigen Habitaten handelt, tragen die Folgerungen daraus dennoch dazu bei, unsere Haltungsbedingungen noch besser an die natürlichen Bedingungen der Herkunftsländer anzupassen. Ob die neuen Erkenntnisse zu einem späteren Zweitpunkt vielleicht sogar Lehrmeinungen werden, bleibt abzuwarten ...
Die entscheidende Erkenntnis meiner Feldstudien ist, dass die am Boden lebenden Schildkröten die teilweise sehr hohen UV-B-Strahlungsintensitäten der freien Sonne in den Mittagsstunden nicht „fühlen", nicht einmal einen gemittelten Wert des UV-B-Tagesganges, wie er beispielhaft in Bild 12 bis 14 und Bild 17 gezeigt ist. Denn die freie Strahlung beaufschlagt die Schildkröten am Boden nur eine begrenzte Zeit, dann nämlich, wenn sich die Tiere entweder in der morgendlichen Sonne aufwärmen bzw. auf Futtersuche im freien Gelände unterwegs sind.
Wer sich jedoch der Schweiß treibenden Mühe unterzieht, einer bestimmten Schildkröte im Biotop im Sommer über mehrere Stunden über das Terrain hinweg, und zwar für das Tier unbemerkt, zu folgen, wird bald feststellen, wie wenig sich die Schildkröte der direkten Sonnenstrahlung dann aussetzt, wenn deren Intensität ein Maximum erreicht, also in der Mittagszeit. Europäische Schildkröten, um die es hier primär geht, verbringen die Stunden mit den höchsten Tages-Umgebungstemperaturen und gleichzeitig höchsten Strahlungsstärken des sommerlichen Tages im Halb- oder Vollschatten oder vergraben sich sogar. Die am Ruheplatz ankommende UV-B-Strahlung ist aber wegen des strahlungsabschirmenden Effektes von Bäumen, Sträuchern, Blättern und niederem Gestrüpp über den Schildkröten im Vergleich zu den Tageshöchstwerten der direkten Sonnenstrahlung sehr gering, im Vollschatten sogar nahe Null ! Dass ein einziges dünnes Grashälmchen, dessen Schatten auf die Vorderextremitäten einer Schildkröte fällt, die wirksame UV-B-Intensität erheblich mindern kann, lässt sich durch ein simples Experiment zeigen: führt man einen 4 mm breiten Grashalm langsam zwischen dem Sensor des Radiometers und dem einfallenden Sonnenstrahl durch, bricht der momentane UV-B-Anzeigewert von einem Ausgangswert von beispielsweise 230 auf 120 µW/cm² ein.
Dazu kommt noch, dass an manchen Tagen die Sonne vorübergehend oder auch länger durch hohe oder niedere Bewölkung ganz oder teilweise bedeckt ist; dann ist die UV-B-Strahlung - wie in obigen Grafiken schon gezeigt ist - ohnehin deutlich geringer als bei klarem, sonnigen Himmel. Dies gilt erst Recht für ausgesprochene Schlechtwettertage, die es auch im Sommer im Schildkröten-Biotop gibt.
Die einzige Tageszeit, in der eine Schildkröte im Sommer über längere Zeit nennenswerten UV-B-Strahlungsmengen ausgesetzt ist, ist tatsächlich der Morgen während der Phase der Thermoregulation. Zu dieser Zeit ist aber wegen der noch tief stehenden Sonne die UV-B-Stärke weit vom späteren Tagesmaximum in den Mittagstunden entfernt; dies zeigen deutlich die Bilder 12, 13, 14 und 17. Diese Aussagen möchte ich nachfolgend durch UV-B-Messwerte von zwei verschiedenen Standorten beweisen:
(a) Mikrohabitat der auf der Insel Changuu Island im Indischen Ozean lebenden Riesenschildkröten-Herde (siehe Kapitel 5.2.a) als Beispiel für einen äquatornahen Lebensraum
sowie
(b) Mikrohabitat im natürlichen Verbreitungsraum von Testudo graeca ibera in der Südtürkei als Beispiel für ein typisches südosteuropäisches Vorkommensgebiet von europäischen Landschildkröten (siehe Kapitel 5.2.b).
5.3.1 UV-B-Messungen an tropischen Aldabra-Riesenschildkröten (Beispiel für einen äquatornahen Schildkröten-Biotop; Köhler, 2008a)
Die Strahlungsmessungen stammen vom 19. Januar 2008, also dem regionalen Sommer, mit nahezu senkrechtem Sonnenstand während der Mittagsstunden. Es war ein klarer, wolkenloser Tag; die Temperaturen erreichten mittags Werte bis zu 32 °C im Schatten. Als ich gegen 9 Uhr morgens auf der Insel eintraf (siehe Bild 16), ruhten nur noch einzelne Tiere an der Sonne, mehrere dagegen in einem flachen künstlichen Teich (Bild 19), während die meisten anderen Mitglieder der Herde bereits den Halbschatten aufgesucht hatten. Ein bevorzugter Lieblingsplatz der Schildkröten war dieser Teich, dessen Wasser täglich erneuert wird. Nur hier hielten sich die Riesenschildkröten auch bei direkter Sonnenbestrahlung für längere Zeit auf. Am späteren Vormittag zogen sich fast alle Tiere zur Abkühlung in den stärker mit Bäumen bewachsenen Teil der Insel zurück.
Bild 19: Nur weil sich diese Aldabra-Riesenschildkröten im Wasser eines künstlichen Teiches abkühlen können, lassen sie sich voll von der Morgensonne bescheinen (die Aufnahme entstand um 10 Uhr Ortszeit am 19.1.2008). Die übrigen Tiere aus der Herde hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Halbschatten zurückgezogen. Eine Stunde später lag mit dem höheren Sonnenstand auch der unter lichten Bäumen angelegte Teich im Halbschatten. Foto vom Autor.
Die in Tabelle 3 zusammengestellten UV-B-Messungen erfolgten (ebenso wie die gleichzeitig durchgeführten Carapax-Temperaturmessungen) direkt auf dem Rückenpanzer der Schildkröten an den verschiedenen Aufenthaltsstellen der über die Mini-Insel verteilten Tiere. Dabei ließ ich das Messinstrument für jeweils etwa 10 Sekunden eingeschaltet und notierte mir den ungefähren Mittelwert aus den sich laufend ändernden Anzeigen. Für die Vergleichsmessungen im direkten Sonnenstrahl wählte ich den nur rund 100 m entfernten vegetationslosen Eingangsbereich der Insel.
Tabelle 3: UV-B-Messwerte am Aufenthaltsort von Aldabra-Riesenschildkröten auf Changuu Island im Indischen Ozean. Messinstrument: siehe Angaben zu Bild 13.
Uhrzeit(Ortszeit) | UV-B: direkte Sonne (µW/cm2) | UV-B: Schildkröten-Carapax (µW/cm2) | Bemerkungen |
9:35 | 240 | ca 25-35 | Tiere im Pool |
10:15 | 280 | ca 25 | Tiere im Pool |
11:00 | 371 | ca. 90 | Tiere unter einem Baum (Halbschatten) |
11:45 | 385 | ca. 40 | Tiere unter einem Baum (Halbschatten) |
Die Werte lassen erkennen, dass die Stärke der auf die Riesenschildkröten im Mikrohabitat fallenden UV-B-Strahlung im Gegensatz zur UV-B-Intensität der freien Sonnenstrahlung nicht primär von der Tageszeit abhängt. Entscheidend sind vielmehr zufällige Einflüsse über den Schildkröten: dies sind hauptsächlich windverursachte leichte Bewegungen im Blätterwald der Bäume und daneben geringe Ortsveränderungen der Riesenschildkröten, selbst solche um nur wenige Zentimeter. Wie schon angedeutet wurde, war es bei den Messungen fast unmöglich, einen einheitlichen, stabilen Messwert zu erhalten, da sich die „Lichtflecke" auf dem Körper der Schildkröten praktisch sekundlich in Zahl, Lage und Form und Position veränderten (derartige Licht-Schattenmuster auf dem Carapax von Aldabra-Riesenschildkröten mit mehr Schatten als Licht ist auf dem Foto auf der Startseite sowie auf dem Bild im Artikel „Riesen-Landschildkröte schwamm 740 km weit im Indischen Ozean" in der Rubrik „Aktuelles" von www.schildi-online.eu sehr gut zu erkennen). Häufig konnte ich während der Messdauer von zehn Sekunden auf dem Display des Radiometers gleich ein Dutzend verschiedener Werte ablesen. Obwohl gleichzeitig im Freien gegen Mittag Spitzenwerte um 400 µW/cm² festzustellen waren, lagen die UV-B-Intensitäten an den Ruheplätzen der Tiere trotzdem nur selten, und wenn, dann nur für wenige Sekunden, über 100 µW/cm².
Da nach meinen Studien die Extremitäten (Kopf, Arme, Beine) noch weniger Lichtflecken aufwiesen als der massige Carapax, erhalten die Tiere zur Vitamin D3-Synthese in Wirklichkeit sogar noch weniger wirksame UV-B-Strahlung als in Tabelle 3 angegeben.
5.3.2 UV-B-Messungen im Mikrohabitat von Testudo graeca ibera in der Südtürkei
Die Strahlungsmessungen an mehreren wild lebenden europäischen Landschildkröten erfolgten in der ersten Juni-Woche 2008 in der Region Kemer an der Türkischen Riviera. Während meiner einwöchigen Untersuchungen in einem Biotop der maurischen Landschildkröte (Köhler, 2008b, 2009, 2009a) war es trocken, sonnig und zumindest bis zum Nachmittag nahezu wolkenlos bei Tages-Höchsttemperaturen bis 32 °C im Schatten (etwa 45 °C an der Sonne; siehe auch das Foto in der Rubrik „Aktuelle Infos" dieser Website).
Bild 20: Dieser in der Südtürkei wild lebenden maurischen Landschildkröte mit auffälliger Carapax-Farbmarkierung begegnete ich bei meinen Exkursionen im Juni 2006 und Juni 2008 fast jeden Tag - und fast immer an der gleichen Stelle (Köhler, 2008b). Die Aufnahme entstand am späteren Vormittag, als das Tier zum Schutz vor der intensiver werdenden Sonnenstrahlung von ihrem früheren Sonnenplatz auf dem Weg in den Schatten war. Die Extremitäten befinden sich im Schatten, d.h. trotz teilweiser Besonnung des Rückenpanzers erhält die Schildkröte - zumindest in diesem Moment - nur sehr wenig an UV-B. Foto vom Autor.
In Tabelle 4 sind einige UV-B-Intensitäten im freien Sonnenlicht im Vergleich zu denen über einer größeren Schildkröte zu verschiedenen Zeiten am Vormittag des 1. Juni 2008 zusammengestellt. Das Tier entdeckte ich um 7.30 Uhr morgens, deckungslos unter einem Zitronenbaum sitzend, wo es sich zunächst bis 8.05 Uhr bewegungslos an der vollen Morgensonne aufwärmte (Bild 20; es handelte sich dabei für mich um eine „besondere" Schildkröte, denn ich hatte sie auf den Tag bereits genau zwei Jahre früher an fast der gleichen Stelle entdeckt, vermessen, gewogen und fotografiert; siehe bei Köhler (2008b und 2009)). Danach setzte sich die Schildkröte in Richtung eines kniehohen Gräserfeldes in Bewegung, und, als die höher steigende Sonne auch diese Grasfläche erreichte, in ein anschließendes dichtes, etwa hüfthohes Gestrüpp. Den Weg der Schildkröte habe ich nach Abschluss meiner Messungen durch ein Signalband markiert, siehe das Foto im Kurzbeitrag „Nochmals zum Thema Standtorttreue" in der Rubrik „Interessante Publikationen". Um die Schildkröte bei meiner Tätigkeit nicht zu stören, suchte ich für die Strahlungsmessungen jeweils einige Meter seitlich vom jeweiligen Aufenthaltsort der Schildkröte ein Mikrohabitat mit der gleichen Bepflanzung und genau dem gleichen momentanen Lichtverhältnissen.
Tabelle 4: UV-B-Stärken, gemessen dicht über der in Bild 20 gezeigten wild lebenden maurischen Landschildkröte Testudo graeca ibera. Messinstrument: siehe Angaben zu Bild 13.
Uhrzeit (Ortszeit) | UV-B: freie Sonne (µW/cm²) | UV-B: Ruheort Schildkröte (µW/cm²) | Ruheort der Schildkröte |
8:10 | 90 | 20 | Halbschatten |
9:30 | 170 | 20 | Vollschatten |
10:30 | 237 | 10 | Lichtes Gestrüpp, dort im Vollschatten ruhend |
12:00 | 330 | 20-25 | Dickicht |
12:30 | 336 | 40 | Halbschatten |
13:00 | 332 | 100 | Gestrüpp, Halbschatten |
Auch diese Tabelle zeigt, dass die UV-B-Strahlungsintensität am jeweiligen Aufenthalts- bzw. Ruheort der Schildkröte kaum dem steilen Anstieg der im freien, also direkten Sonnenstrahl gemessenen Intensität folgt. Der um 13 Uhr mit 100 µW/cm² gemessene UV-B-Höchstwert direkt am Tier (bei dieser letzten Messung des Tages wurde das Radiometer direkt neben die Schildkröte platziert, die sofort anschließend zum Vermessen, Wiegen und Fotografieren aus dem Gebüsch geholt wurde), scheint zwar zufällig mit dem Maximalwert der direkten Strahlung übereinzustimmen, doch wenn die Schildkröte ihre Position nur um 2 cm in Richtung Schatten verändert hätte, wäre die Intensität auf weniger als 50 µW/cm² gefallen.
Ein weiteres nicht voraussehbares und somit wichtiges Ergebnis war, dass die auf wild lebende europäische Schildkröten einwirkende UV-B-Strahlung in deren bevorzugtem Mikrohabitat trotz des großen Unterschiedes in der geografischen Breite nicht wesentlich intensiver ist als bei tropischen Landschildkröten in äquatornahen Regionen, obwohl deutliche Unterschiede im Tages-Höchstwert der direkten Sonnenstrahlung auftreten.
5.3.3 Zeitliche Aufteilung der Tages-UV-B-Dosis
In den bisherigen Ausführungen wurde primär die auf Schildkröten im Mikrohabitat wirkende UV-B-Intensität behandelt, also die natürliche Bestrahlungsstärke durch die Sonne, messbar in der auf die Fläche bezogene Energieeinheit µW/cm². Mindestens genau so wichtig ist aber die Frage, wie lange diese Intensität auf die Tiere einwirkt, also die UV-B-Dosis. Man erhält die Dosis, indem man die UV-B-Intensität mit der Bestrahlungszeit multipliziert.
Nehmen wir als Beispiel (stark vereinfachend) an, dass sich eine Schildkröte an einem Sonnentag sechs Stunden lang (6 h) einer mittleren UV-B-Stärke von 150 µW/cm² aussetzt. Dann errechnet sich die Dosis zu
150 µW/cm² x 6 h = 900 µWh/cm² = 0,9 mWh/cm² (= 3240 mJ/cm²)
(Hinweis: die Einheit mWh, Milliwatt-Stunden, lässt sich durch Multiplikation mit dem Faktor 3.600 in die Einheit Milli-Joule, mJ, umrechnen)
Weiterhin ist es mit Blick auf die Haltung von Schildkröten in Innengehegen von großem Interesse, wie sich diese Tages-Dosis in der Natur zeitlich aufteilt. Es ist für das im Terrarium bestrahlte Tier sicherlich ein großer Unterschied, ob eine bestimmte UV-B-Dosis durch kurzzeitigen Betrieb eines leistungsstarken UV-Strahlers erzeugt wird, oder durch den Langzeitbetrieb einer leistungsschwächeren Lampe. So könnte die Dosis von 900 µWh/cm² aus unserem einfachen Zahlenbeispiel theoretisch auch durch eine Kurzzeitbestrahlung von z.B. nur 1 Stunde, dafür aber bei einer unnatürlich hohen Bestrahlungsstärke von 900 µW/cm² am Tier erreicht werden, denn
900 µW/cm² x 1 h = 900 µWh/cm²
Nur die Gegebenheiten in den Herkunftsländern unserer Pfleglinge können richtungsweisende Hinweise darauf geben, ob unsere technischen (Wärme- und UVB-) Bestrahlungsmaßnahmen bei der Landschildkröten-Pflege in Innengehegen artgerecht sind oder nicht. Leider scheint es zu diesem Fragenkomplex bisher keine Studien zu geben, zumindest verlief eine entsprechende Literaturrecherche ohne verwertbares Ergebnis.
Daher führe ich hier erstmals die Ergebnisse meiner (zeitaufwändigen) Feldstudien von Juni 2008 in der Südtürkei am Beispiel von zwei wild lebenden Landschildkröten Testudo graeca ibera an. Dabei folgte ich jeweils einem Tier aus sicherem Abstand über einen möglichst langen Zeitraum längs seines Wanderweges im Gelände und registrierte dabei (neben den zurückgelegten Teilstrecken in Metern) die am momentanen Standort am Boden herrschenden UV-B-Intensitäten, zusammen mit den zugehörigen Aufenthaltszeiten (Köhler, 2008b, 2009). Die Messungen erfolgten in unregelmäßigen Abständen immer dann, wenn die Schildkröte ihren Platz wechselte, zum Beispiel von einem Sonnenplatz in den Halb- oder Vollschatten bzw. umgekehrt. Um die jeweilige Schildkröten nicht zu stören und zu Fluchtreaktionen zu veranlassen, was falsche Ergebnisse und damit falsche Schlussfolgerungen bedeuten würde, wurde die Strahlungsintensität nicht direkt am Tier gemessen, sondern einige Meter seitlich an einer Stelle, deren Besonnung und Mikroflora identisch mit der Situation am eigentlichen Standort der Schildkröte war. Für jeden dieser einzelnen Zeitabschnitte, von denen einige nur wenige Minuten lang waren, lässt sich damit gemäß der oben angeführten Gleichung eine „Teil-Dosis“ errechnen. Summiert man schließlich alle diese Teilbeträge über die gesamte Beobachtungszeit auf, erhält man den Betrag für die Gesamt-Strahlungsdosis, die auf die Schildkröte an dem betreffenden Tag gewirkt hat.
Es versteht sich, dass sich eine einzelne Person an einem 8-Stunden-Tag nur mir einer einzigen Schildkröte beschäftigen kann, will man sie nicht vorzeitig aus den Augen verlieren. Die Zahl der zu studierenden Tiere ist daher bei einer derartigen Aufgabenstellung zwangsläufig begrenzt.
Die Messungen erfolgten in den ersten Junitagen des Jahres 2008: um diese Zeit war es an der Türkischen Riviera trocken, wolkenlos und heiß mit Mittagstemperaturen an der Sonne von 46 °C (siehe Foto der Thermometer/Hygrometer-Anzeige in der Rubrik „Aktuelles“). Eingesetzt wurde das hier schon öfters erwähnte Breitbandradiometer Solarmeter 6.2UVB, das den Wellenlängenbereich bis 320 nm (und etwas darüber hinaus; Erläuterung siehe unter Kapitel 4.2 bzw. 4.2.1) abtastet.
(a) Ergebnis „Hotelschildkröte“ vom 1. Juni 2008
Das von mir wegen ihrer farbigen Carapax-Markierung als „Hotelschildkröte“ bezeichnete frei lebende Weibchen (es lebte vermutlich früher zeitweise im Park einer der vielen südtürkischen Hotelanlagen, fand dann aber entweder von selbst die Freiheit wieder oder wurde von tierliebenden Hotelgästen ausgesetzt) ist für mich eine „alte Bekannte“, denn ich hatte das gleiche Tier fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor fast an der gleichen Stelle schon einmal fotografiert und vermessen (Köhler, 2008b), siehe auch die Plastron-Vergleichsansichten 2006/2008 in der Rubrik „Interessante Publikationen“ dieser Website. Es handelt sich um das in Bild 20 gezeigte Tier. Seine mit zahlreichen Zecken besiedelte Hinterextremitäten sind in dem Beitrag „Zecken an wild lebenden europäischen Landschildkröten“ in der Rubrik „Interessante Publikationen“ zu sehen.
Bild 21: Aufsummierte UV-B-Dosis in µWh/cm² für die frei lebende „Hotelschildkröte“ (Testudo graeca ibera) am Vormittag des 1. Juni 2008. Die Messungen begannen um 7.30 und endeten um 13 Uhr Ortszeit. Die blauen Balken geben die bis zur jeweiligen Uhrzeit kumulierte Dosis an. Im gesamten Beobachtungszeitraum von 5 ½ Stunden erfuhr die Schildkröte insgesamt eine UV-B-Dosis von etwa 160 µWh/cm². Grafik vom Autor nach eigenen Untersuchungsergebnissen.
Um das Ergebnis möglichst einfach darstellen zu können, wurden die Teildosis-Beträge für jede volle Stunde aufaddiert und in Bild 21 als Balken aufgetragen. Der Unterschied in der Höhe zweier benachbarter Balken ist also die stündlich hinzugekommene Strahlungsdosis, deren Betrag im Tagesverlauf Schwankungen unterworfen ist. So betrug die Dosiserhöhung für die „Hotelschildkröte“ an diesem Tag in der Zeit zwischen 8 und 9 Uhr etwa 34 µWh/cm², zwischen 10 und 11 Uhr trotz der mittlerweile deutlich gestiegenen UV-B-Intensität der (freien !) Sonne jedoch nur ca. 17 µWh/cm². Die Erklärung dafür ist, dass sich das Tier am frühen Morgen voll an der direkten Sonne aufwärmte (UV-B-Intensität direkt am Tier um 8 Uhr: 63 µW/cm²), während sie später den Halb- und Vollschatten aufsuchte (UV-B-Intensität um 11 Uhr im Halbschatten, ebenfalls direkt am Tier, nur noch ca. 20 µW/cm². Auffällig ist auch die relativ starke Zunahme der UV-B-Dosis von etwa 39 µWh/cm² zwischen 12 und 13 Uhr. Erklärung dafür: die „Hotelschildkröte“ wurde auf der Suche nach bevorzugten Futterpflanzen immer mal wieder, wenn auch nur kurz, voll von der direkten Mittagssonne beschienen, deren UV-B-Intensität an diesem Tag ein Niveau von fast 340 µW/cm² erreichte.
Niemand dürfte es anstreben, einen derartigen Verlauf im Innen-Terrarium oder in einem Schildkröten-Gewächshaus aus Glas, das die UV-B-Strahlung nicht durchlässt, auch nur annähernd zu imitieren, denn von zu vielen Zufälligkeiten hängt die Zunahme der sich auf das Tier fallenden UV-B-Gesamtstrahlung aus. Hätte die Schildkröte beispielsweise um die Mittagszeit keinen oder nur wenig Hunger verspürt, hätte sie sich entsprechend kürzer der direkten Sonnenstrahlung ausgesetzt, mit dem Ergebnis, dass die Zunahme zwischen 12 und 13 Uhr geringer ausgefallen wäre.
Doch eines macht die Grafik deutlich, und dies aufzuzeigen ist mir wichtig: die auf die Schildkröte wirkende UV-B-Gesamtdosis ist nicht etwa das Ergebnis einer Kurzzeit-Intensivbestrahlung durch die Sonne, sondern entwickelt sich im Verlauf von mehreren Stunden, also den ganzen Tag über. Da die Gesamtdosis der „Hotelschildkröte“ am 1.6.2008 während der Messperiode von 5 ½ Stunden etwa 160 µWh/cm² betrug, entspricht dies einer mittleren wirksamen UV-B-Intensität von 160 ./. 5,5 = ca. 30 µW/cm².
Theoretisch wäre zwar im Terrarium bei einer täglichen Kurzzeitbestrahlung von 30 Minuten unter einer entsprechend leistungsstarken UV-Lampe die gleiche Dosis auch mit einem Strahler mit einer UV-B-Intensität von 322 µW/cm² (direkt am Tier) zu erreichen (vorausgesetzt die verwendete Lampe weist ein ähnliches Spektrum im UV-Bereich wie die Sonne auf; Details dazu siehe frühere Kapitel). Dies wäre jedoch alles andere als artgerecht, ganz abgesehen davon, dass erst zu klären wäre, welche physiologischen Auswirkungen eine derartige Bestrahlung im Vergleich zur natürlichen UV-B-Langzeitbestrahlung hat: erstens ist die UV-B-Bestrahlung bei wild lebenden Landschildkröten, wie hier erläutert ist, ein Prozess von mehreren Stunden, zweitens setzen sich Schildkröten in ihren natürlichen Vorkommensgebieten in Südeuropa im Sommer niemals längere Zeit der direkten Mittagssonne aus.
Nun mag man mir entgegen halten, dass sich ja auch (manche) Menschen im Solarium einer intensiven Kurzzeitbestrahlung mit starken Bräunungslampen aussetzen. Ja, doch dies tun sie ganz freiwillig, auf eigene Gefahr und vor allem mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen (Eincremen, Schutzbrille, limitierte Bestrahlungsdauer usw.), um schmerzhafte Augen- und Hautschäden zu vermeiden (oft genug passieren sie trotzdem !). Für Jugendliche unter 18 Jahren ist der Besuch eines Solariums in Deutschland ganz verboten! Aber Augen und Haut von Landschildkröten bleiben ungeschützt, wenn sie, womöglich aus kurzem Abstand, mit einer extrem leistungsstarken UV-Lampe kurzzeitbestrahlt werden, vor allem wenn sie sich nicht aus dem gefährlichen Strahlungsbereich herausbewegen können. Diese Situation ist immer dann gegeben, wenn das Tier zur externen UV-B-Kurzzeitbestrahlung aus einem Terrarium in ein enges Behältnis direkt unter der Lampe gesetzt wird.
(b) Ergebnis „Parkschildkröte“ vom 2. und 4. Juni 2008
Diese Schildkröte wurde von mir so genannt, weil sie, von den Gästen offensichtlich unbemerkt, in dem weniger frequentierten Teil der Parkanlage eines großen südtürkischen Hotels am Mittelmeer lebt (Bild 22). Das Tier zeigt eine massive Panzernekrose mit Verlust lose gewordener Hornschilde. Es hatte jedoch klare Augen, war äußerst vital und kräftig, neugierig, zeigte guten Appetit, dunklen Kot und war erheblich lauffreudiger als die unter (a) vorgestellte „Hotelschildkröte“. Im Vergleich zu dieser stand ihr allerdings nur ein sehr eingeschränkter Lebensraum in Form einer ca. 20 m langen, an der engsten Stelle nur 1 m breiten Fläche zur Verfügung (Köhler, 2009).
Bild 22: Dieses etwa 1,5 kg schwere Testudo graeca ibera-Weibchen mit starker Panzernekrose, von mir "Parkschildkröte" getauft, diente mir an zwei vollen Tagen als wertvolles Beobachtungsobjekt. Zum Abschluss meiner Messungen blickt es hier interessiert in die Linse meines Fotoapparates.
Diese Schildkröte habe ich am 2. und erneut am 4. Juni 2008 jeweils ganztägig beobachtet. Die UV-B- und Zeitaufzeichnungen erfolgten wie unter (a) für die „Hotelschildkröte“ beschrieben, ebenso die Auswertung der Daten. Das Ergebnis ist in Bild 23 grafisch dargestellt.
Bild 23: Aufsummierte UV-B-Dosis in µWh/cm², die die „Parkschildkröte“ an zwei Tagen im Juni 2008 erhielt. Die blauen Balken geben die Ergebnisse für den 2.6. wieder, die roten für den 4.6.2008. Im gesamten Beobachtungszeitraum von jeweils rund 8 Stunden betrug die empfangene UV-B-Dosis ca. 190 µWh/cm² (2.6.2008) bzw. 240 µWh/cm² (4.6.2008). Grafik vom Verfasser nach eigenen Untersuchungsergebnissen.
Vergleicht man Bild 23 mit Bild 21, fällt auf, dass sich die „Parkschildkröte“ vor 10 Uhr Ortszeit am Vormittag offensichtlich keiner UV-B-Strahlung ausgesetzt hat. Der Grund dafür ist, dass das „Refugium“ des Tiers im Ostteil des Hotelparks direkt an der äußeren Begrenzungsmauer zum Nachbarhotel liegt; dort dauert bis gegen ½ 10 Uhr Ortszeit, bis die Morgensonne so hoch am Himmel steht, dass die ersten Sonnenstrahlen über diese Mauer in den Mikro-Lebensraum der Schildkröte gelangen; bis zu diesem Zeitpunkt fällt praktisch auch keine UV-B-Strahlung auf das Tier (von einer sehr geringen Intensität durch Streustrahlung abgesehen). Interessant ist auch, dass die Schildkröte nicht versuchte, durch eine entsprechend längere Sonnenexposition am späten Nachmittag das UV-B-„Defizit“ vom frühen Vormittag auszugleichen: obwohl sie noch voll von der heißen Sonne beschienen wurde, zog sie sich bereits um 16.30 Uhr zum Schlafen in den Vollschatten des Dickichts zurück. Eine Kontrolle zwei Stunden später an der von mir markierten Stelle im Unterholz ergab, dass sie immer noch an der gleichen Stelle ruhte.
Dividiert man die kumulierte Tagesdosis durch die Beobachtungszeit von 8 Stunden, ergibt sich für den 2. Juni eine durchschnittliche UV-B-Intensität von ca. 24 µW/cm² und für den 4. Juni ein Durchschnittswert von ca. 30 µW/cm². Beide Werte stimmen nicht nur gut untereinander, sondern auch mit dem UV-B-Mittelwert für die „Hotelschildkröte“ an einem anderen Standort und Tag überein.
Als Fazit dieser (und weiterer durchgeführter ähnlicher) Messungen kann festgehalten werden, dass die Maurischen Landschildkröten in dem besuchten Verbreitungsgebiet in der Südtürkei Anfang Juni bei schönem, trockenem und heißem Sommerwetter über den Tag hinweg gemittelt in ihrem Mikro-Lebensraum einer durchschnittlichen effektiven UV-B-Intensität von nur ungefähr 30 µW/cm² (am Tier gemessen) ausgesetzt sind, wobei die Einwirkzeit 8 Stunden beträgt.
Zur UV-B-Einwirkung während anderer Jahreszeiten der Landschildkröten-Saison kann ich zurzeit nur qualitative Aussagen machen, da ich selbst bisher weder im Frühjahr noch im Herbst im natürlichen Biotop gemessen habe und wohl auch noch keine vergleichbare Messungen anderer Autoren vorliegen: Im Juni und Juli ist wegen des noch höheren Sonnenhöhenwinkels die UV-B-Intensität in der direkten Sonnenstrahlung höher als ich sie Anfang Juni gemessen habe, doch die Erhöhung der Werte am Boden dürfte wegen des natürlichen Abschirmeffektes der Flora nur minimal sein; ich schätze grob, dass die durchschnittliche Tages-Intensität im Mikrolebensraum der Schildkröten an vergleichbar schönen Tagen zwischen Mitte Juni und Ende August von 30 auf vielleicht ca. 35 µW/cm² ansteigen könnte. In den Wochen und Monaten danach und ebenso im Frühjahr steht die Sonne tiefer als Anfang Juni am Himmel, d.h. die UV-B-Intensität der direkten Sonnenstrahlung ist geringer. Auch hier ist es so, dass sich dieser Effekt kaum auf die Werte am Boden auswirkt. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass die leichte UV-B-Abnahme im Mikro-Lebensraum der europäischen Landschildkröten dadurch (über- ?) kompensiert wird, weil die Tiere ihre Thermoregulationsphasen an der schwächeren Sonne im Frühjahr und Herbst etwas verlängern und dadurch relativ mehr UV-B aufnehmen.
Alle diese Angaben gelten nur für schöne und wolkenlose Sonnentage. Nun ist es aber auch in den Verbreitungsgebieten der europäischen Landschildkröten in Südeuropa im Verlauf eines Schildkrötenjahres nicht immer schön, sondern es gibt diesige und bewölkte Tage sowie Regentage mit UV-B-Intensitäten, die gegen Null tendieren.
Berücksichtige ich dies und gehe ich ferner davon aus, dass sich auch andere europäische Testudo-Arten in ihren natürlichen Lebensräumen in Bezug auf die UV-B-Aufnahme ähnlich verhalten wie die von mir beobachtete Art Testudo graeca ibera in der Südtürkei, so kann aufgrund meiner Studien die Aussage getroffen werden, dass die europäischen Landschildkröten über das gesamte Schildkrötenjahr gesehen bei einer täglichen achtstündigen Exposition nicht mehr als mit einer durchschnittlichen UV-B-Intensität von ungefähr 30 µW/cm² (gemessen am Tier) bestrahlt werden.
Was für ein gewaltiger Unterschied zu den (verallgemeinernden) Aussagen der Leuchtmittelindustrie, des Handels und praktisch aller anderen Autoren! Noch in meinem Buch (Köhler, 2008) habe ich aufgrund einer sehr groben Abschätzung (bei den Arbeiten zum Buch im Jahr 2007 gab es noch keine UV-B-Messungen an frei lebenden Landschildkröten) eine ungefähre mittlere UV-B-Intensität am Boden von etwa 90 µW/cm² angegeben (dieser Wert liegt bereits deutlich unter allen bisher publizierten Werten), doch meine Strahlungsmessungen von Juni 2008 im Biotop haben nun gezeigt, dass der tatsächliche Mittelwert sogar noch geringer ist.
Es ist unbestritten, dass Landschildkröten als wechselwarme Reptilien erst eine bestimmte Körpermindest-Temperatur durch Sonnen-Wärmebestrahlung oder, falls im Terrarium gehalten, durch entsprechende Wärmelampen benötigen, bevor sie ein Hungergefühl entwickeln und die aufgenommene Nahrung auch weitestgehend verdauen können. Es ist sowohl in der Natur als auch im Gartengehege und im Terrarium häufig gut zu beobachten, wie die Tiere derartige Wärmeplätze gezielt aufsuchen und sie erst dann verlassen, wenn diese Temperatur erreicht ist.
Doch wie sieht es bezüglich der UV-B-Bestrahlung aus? „Merkt“ eine Landschildkröte selbst, welche Tages-Dosis an UV-B sie erhalten hat? Setzt sie sich bei einem Mangel an UV-B gezielt der Bestrahlung durch eine UV-B-Quelle (Sonne bzw. UV-Lampe) aus? Oder erhält sie UV-B eher beiläufig zusammen mit der Aufnahme von Wärme?
Leider ergab eine Literaturrecherche im mir zugänglichen Fachschrifttum keine Antwort auf diese und ähnliche Fragen. Doch auch bei diesem Themenkomplex führen entsprechende Biotop- und Tierbeobachtungen zu einer Antwort.
Beobachtet man im natürlichen Habitat in der warmen Jahreszeit das Erwachen frei lebender Landschildkröten (was vom Beobachter ein entsprechend frühes Aufstehen erfordert), wird man feststellen, dass sich die Schildkröten in den frühen Morgenstunden in den meisten Fällen der noch flach einfallenden und deshalb relativ schwachen Sonnenstrahlung so aussetzen, dass ihr Körper in möglichst kurzer Zeit erwärmt wird. Dies geschieht offenbar dann, wenn sich die Tiere zur einfallenden Morgensonne so positionieren, dass möglichst viel ihrer Körperoberfläche beschienen wird. Dies wiederum ist nach meinen Feldstudien dann der Fall, wenn sich Schildkröten entweder mit der Körperlängsachse quer zur Sonneneinfallsrichtung stellen (Bild 24) oder wenn die Sonne das Tier von hinten bescheint. In beiden Fällen wird ein großer Teil der Carapaxoberfläche und damit der gesamten Körperoberfläche erwärmt. Viele Schildkrötenhalter können an ihren Tieren im Gartengehege eine noch effizientere Sonnenbestrahlung dann beobachten, wenn sich die Tiere an der Umfriedung des Geheges oder an den Flanken eines Hügels schräg platzieren (Bild 25). Doch im Schildkrötenbiotop fehlen in der Regel entsprechende Mauern oder Bretter- oder Palisadenzäune bzw. Hügel.
Bild 24: Wild lebende Landschildkröte beim Sonnenbad, aufgenommen um 8 Uhr Ortszeit am 1. Juni 2008. Es ist das Tier, das auch in Bild 20 zu sehen ist. Auch die Fliege auf dem (4.) Rippenschild scheint die Morgensonne zu genießen. Kopf, Arme und Beine der Schildkröte liegen hier völlig im Schatten, d.h. es wirkt praktisch keine UV-B-Strahlung auf die Haut ein. Die rote Farbe auf dem Carapax rührt von einer früheren Hotelmarkierung her (Details hierzu siehe z.B. Köhler 2008b, 2009). Foto vom Autor.
Bild 25: Für Verhaltensstudien bei den eigenen Schildkröten im Gartengehege gilt noch mehr als im natürlichen Lebensraum das Motto „sehen, doch ohne selbst bemerkt zu werden“, da Schildkröten bei der Anwesenheit von Personen ihr Verhalten sofort ändern (z.B. Flucht im Biotop, Futtererwartung im Gehege). Diese Aufnahme eines sich in den ersten Sonnenstrahlen wärmenden Maurischen Landschildkrötenpaares wurde um 9 Uhr aus diesem Grund mit einem Teleobjektiv gemacht. Die Sonne kommt von links: das größere Weibchen, das den Kopf hoch anhebt, hat sich so platziert, dass es von hinten beschienen wird, das kleinere Männchen hat sich seitlich zum Sonnenstrahl ausgerichtet. Foto vom Autor.
UV-B zur Vitamin D3-Synthese wird nur über die Haut (Kopf, Arme und Beine) und nicht über den Panzer aufgenommen. Bei flachem Sonneneinfallswinkel am Morgen - nur dann ist, wie an anderer Stelle dieses Artikels begründet wurde, zumindest bei wild lebenden europäischen Landschildkröten, ein längeres Sonnenbaden zu beobachten - werden diese drei Körperteile dann am vollständigsten bestrahlt, wenn sich die Tiere mit ausgestreckten Armen und Beinen so positionieren, dass sie direkt in die Sonne blicken. Doch genau diese Ausrichtung konnte ich im Habitat nur in wenigen Fällen beobachten, so dass ich davon ausgehe, dass sich die Schildkröten nach dem Aufwachen möglichst schnell aufwärmen wollen – ohne Rücksicht darauf, wie viel UV-B sie dabei über die Hautpartien aufnehmen. Ein längeres Sonnenbad dürfte dabei gar nicht im Interesse der wild lebenden Schildkröten sein, denn in dieser Phase (noch tief stehende Sonne) sitzen sie meist schutzlos und relativ leicht zu entdecken im freien Gelände. Dieser Aspekt gilt insbesondere für Schlüpflinge und Jungtiere, die noch leicht von Großvögeln erbeutet und weggetragen werden könnten.
Zum späteren Vormittag hin erreicht die Sonne einen immer höheren Stand am Himmel: Wärme- und UV-B-Strahlungsintensität am sonnenbeschienenen Boden sind im Vergleich zum frühen Morgen gestiegen. Spätestens jetzt ist die „Betriebstemperatur“ der Schildkröten erreicht: sie beenden ihr Sonnenbad und gehen nun auf Futtersuche, in der Regel im Halbschatten. Wenn sie sich dabei kurzzeitig auf sonnigen Flächen bewegen, sind sie vorübergehend weiterhin der UV-B-Strahlung ausgesetzt, doch hat für die Tiere dabei offensichtlich nicht die UV-B-Dosisvermehrung, sondern das Auffinden von Futterpflanzen oberste Priorität.
Die Mittagsstunden verbringen Landschildkröten im natürlichen Verbreitungsraum in der Regel in schattigen Versteckplätzen. Denn dort finden sie nicht nur frische Futterpflanzen, sondern auch noch eine höhere Feuchtigkeit und damit Kühlung, wie die Zahlen in Tabelle 5 zeigen. In den heißen Sommermonaten graben sie sich vorübergehend sogar ganz oder zumindest teilweise ein (Ästivation). Im Tagesgang hat nun die UV-B-Intensität der (freien) Sonnenstrahlung ein Maximum erreicht, doch die ruhenden Tiere „merken“ davon in ihren geschützten Versteckplätzen nichts. Hätten die Tiere ein UV-B-Defizit, könnte dies zu dieser Tageszeit im Sommer durch einen nur wenige Minuten dauernden Aufenthalt an der direkten Sonne ausgeglichen werden – ein Vorgang, der nach meinen Beobachtungen jedoch so ebenfalls nicht erfolgt.
Tabelle 5: Lufttemperatur und Feuchtigkeit am Mittagsruheort einer Landschildkröte Testudo graeca und 2 m davon entfernt an der Sonne (Messungen 1.6.2008, 12 Uhr Ortszeit, Südtürkei)
Messort | Vollschatten | an der Sonne |
Temperatur; °C | 30 | 45,5 |
Relative Feuchte; % | 57 | 27 |
Die Nachmittagsstunden – Umgebungstemperatur und UV-B-Intensität sind bereits wieder am Abfallen – durchstreifen Schildkröten eher lichtes Gehölz, legen dabei aber auch immer wieder Ruhepausen ein. Ein Sonnenbad zu dieser Tageszeit ist wegen der immer noch relativ hohen Umgebungstemperatur von beispielsweise deutlich über 30 °C an der Sonne eher selten zu beobachten. Bild 26 zeigt als Beispiel eine Dalmatinische Landschildkröte (Testudo hermanni hercegovinensis) an einem für europäische Landschildkröten typischen Aufenthaltsort: die Lichtflecke auf dem Rückenpanzer lassen erkennen, dass das Tier nur wenig Sonnenstrahlung und damit auch wenig UV-B erhält. Dennoch könnte sich die Situation minütlich ändern: schon eine Bewegung der Schildkröte um nur 1-2 cm kann je nach dem Pflanzenbewuchs über ihr eine höhere UV-B-Einstrahlung auf Kopf sowie Arme und Beine bewirken. Doch solche Bewegungen erfolgen nach meinen Beobachtungen primär zur Steuerung des Wärmeeinfalles auf den Carapax.
Bild 26: Eine männliche Dalmatinische Landschildkröte in Licht und Schatten im Pflanzengewirr am Rand einer Macchia in Kroatien südlich von Zadar. Diese Szene ist typisch für den Hauptruheort von europäischen Landschildkröten. Das Bild gibt auch einen guten Eindruck von der hervorragenden Tarnfärbung des Tiers. Foto von Ricarda Schramm.
Die Zeit zwischen dem spätem Nachmittag und dem Abend ist gekennzeichnet durch weiter abfallende Temperaturen und einem rapiden Rückgang der UV-B-Intensität der Solarstrahlung. Nun wagen sich die Tiere zum Tagesabschluss noch einmal auf Futtersuche (die Männchen auf die Suche nach paarungsbereiten Weibchen) und gelangen dabei vermehrt auch wieder ins offene Gelände. Doch je später der Nachmittag wird, desto rascher fallen die UV-B-Werte im Gelände gegen Null, wie die Grafiken in diesem Artikel in verschiedenen Regionen deutlich zeigen. Selbst wenn eine Schildkröte um 18 Uhr noch auf einem sonnenbeschienenen Platz ruht, erfährt sie keine nennenswerte UV-B-Dosiserhöhung mehr.
Aus all diesen Beobachtungen folgere ich, dass Landschildkröten ihre täglichen Aktivitäten nicht gezielt zur UV-B-Dosiserhöhung durchführen, sondern dass die UV-B-Bestrahlung das zufällige Ergebnis von vielen kurz- und langzeitigen Aufenthalten an der Sonne beim morgendlichen Erwärmen und bei der Futtersuche sind.
Im Frühjahr und im Herbst sind die Aufenthaltszeiten von Landschildkröten an der Sonne wegen der geringeren Tagestemperaturen länger als im Sommer, doch es kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die UV-B-Bestrahlung in diesen Jahreszeiten intensiver ist: im Frühjahr und im Herbst ist die UV-B-Intensität der Sonnenstrahlung geringer als im Sommer.
Sollten wild lebende Landschildkröten bei ungünstigen Witterungsverhältnissen oder ausgesprochen schlechtem und kaltem Wetter ihre Verstecke nicht verlassen, können sie auch kein UV-B aufnehmen.
Durch ein einfaches Experiment mit von mir gepflegten indischen Sternschildkröten (Geochelone elegans) stellte ich die - vorläufigen - Ergebnisse meiner Freilandbeobachtungen auf den Prüfstand. In einem oben offenen Zimmer-Holzgehege befestigte ich die beiden Strahler für die Wärme- und die UV-B-Bestrahlung in einem Abstand von gut 40 cm voneinander. Direkt unterhalb der UV-B-Lampe war die Futterplatte. Den Zugang zum Lichtkegel der Wärmelampe, also zum wärmsten Bereich im Terrarium, erschwerte ich für den Versuch durch einige Holzwurzeln. Nun fütterte ich die Tiere und beobachtete, welche Strahlungsquelle sie bevorzugen würden. Würden sie nach dem Fressen am Fressplatz, also direkt unter der UV-B-Leuchte, verweilen, wäre dies ein Indiz für eine gewollte UV-B-Aufnahme. Würden sie sich nach dem Fressen dagegen zur Wärmelampe bewegen, würde dies bedeuten, dass Landschildkröten primär an der Wärmeversorgung und nicht an einer UV-B-Versorgung interessiert sind (wobei letzteres natürlich nicht heißt, dass Schildkröten auf UV-B-Strahlung verzichten).
Versuchsergebnis:
Das Ergebnis des Versuches, den ich mehrere Tage lang hintereinander wiederholte, war wie folgt: sofort nach dem Fressen verließen die Schildkröten ihren Fressplatz unter der UV-B-Lampe und suchten sich über die Holzwurzeln hinweg einen Platz unter dem Wärmestrahler (Bild 27). Dies zeigte mir, dass kein ausgesprochenes UV-B-Defizit vorliegen kann.
Bild 27: Wärme- und UV-B-Bestrahlung in einem oben offenen Holzterrarium für eine Gruppe Indischer Sternschildkröten (Geochelone elegans): unter der UV-B-Leuchte (rechts) befindet sich der Fressplatz (auf dieser Aufnahme nicht mehr zu sehen). Jedesmal wenn die Tiere gefressen hatten, verweilten sie nicht länger unter der UV-B-Lampe, sondern bewegten sich zielstrebig zum Lichtspot des Wärmestrahlers (links oben). Die beiden Lampen waren 45 cm voneinander entfernt. Später versetzte ich die UV-Lampe so, dass ihr Strahl ungefähr zusammen mit dem der Wärmelampe auf den bevorzugten Ruheplatz der Schildkröten fiel.
Öfters habe ich Schildkröten in Verkaufsterrarien mit an unterschiedlichen Stellen angebrachten Wärme- und UV-Lampen beobachtet. Auch hierbei konnte ich sehen, dass die Tiere meist nicht unter dem UV-B-Strahler, sondern unter der Wärmelampe sitzen. Bei einer größeren Messe hatte ich eines Tages Stand- und Infodienst neben einem 16 m2-Schildkrötengehege, das mit sieben semi-adulten südamerikanischen Köhler- und Waldschildkröten (Chelonoides carbonaria bzw. Chelonoides denticulata) besetzt war (siehe die Notiz "Köhler- und Waldschildkröten auf der Aqua-Fisch 2008" in der Rubrik "Besucher-Fotos" dieser Website). Ausgestattet war das oben offene Gehege mit mehreren leistungsstarken Wärme- und UV-B-Hängeleuchten. Innerhalb von acht Stunden sah ich nur ein einziges Mal eine der acht Schildkröten etwa 15 Minuten lang unter einem der UV-Strahler verweilen. Aber auch der Lichtstrahl der Wärmelampen wurde erstaunlicherweise kaum aufgesucht; ich vermute, dass wegen der (über-) starken Leuchten die am Boden erzeugte Temperatur für diese Tiere viel zu hoch war (Köhler, 2008).
Diese Beobachtungen in Zimmergehege, Terrarien und im Freiland zeigen mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Landschildkröten nicht registrieren, ob und wie viel UV-B an einem Tag auf ihre Haut wirkt und ob dies für die vollständige Vitamin D3-Synthese ausreicht oder nicht. Maßgebend ist für sie eine möglichst rasche Erwärmung. In der Natur liefert die Sonne Wärme und UV-B gleichzeitig und die Schildkröten im freien Lebensraum sind seit vielen Jahrmillionen an diese Situation angepasst.
Im Terrarium ist die Situation deswegen unterschiedlich, weil fast alle bisher verfügbaren Wärmelampen kein oder nur sehr wenig UV-B-Strahlung abgeben. Der Pfleger muss also bei der (überwiegenden) Innenhaltung zusätzlich zu Helligkeit und Wärme auch für UV-B sorgen. Doch wie diese Veröffentlichung, insbesondere das Kapitel 5, zeigt, wurde bisher der UV-B-Bedarf von (europäischen) Landschildkröten überschätzt, sowohl vom Handel, von den Herstellern und vor allem auch von den Haltern selbst.