von Ludwig Kalt, Österreich


Oft wird behauptet, dass Pflanzen, die Oxalsäure enthalten, für die Ernährung von Landschildkröten ungeeignet wären, da sie dem Körper Kalzium entziehen. Kommen nämlich in der Zellflüssigkeit Oxalationen und Kalziumionen zusammen, reagieren sie zu unlöslichem Kalziumoxalat. Das bedeutet, dass ein Teil der Kalziumionen für den Stoffwechselprozess fehlt und der Blutkalziumspiegel sinkt.
Doch diese Annahme ist für viele relevante Schildkröten-Futterpflanzen falsch. Enthält eine Pflanze nämlich genug Kalium - was bei vielen Futterpflanzen der Fall ist - kann dieses die Oxalsäure binden, bevor sie dem Körper Kalzium entziehen kann. Denn die Oxalsäure bindet sich lieber mit einfachen, kleinen Ionen, als mit denen von Kalium, bevor sie eine Bindung mit größeren Ionen, wie denen von Kalzium, eingeht.
Wissenschaftler zeigen, dass - zumindest beim Menschen - nicht einmal der stark oxalsäurehaltige Spinat (800 mg Oxalsäure pro 100 g und nur 633 mg Kalium pro 100 g frischen Spinat) als so genannter Kalziumräuber gelten kann [1]. Zumindest Ähnliches sollte auch für Landschildkröten gelten, wobei Spinat für die Landschildkrötenernährung ohnehin keine große Rolle spielen sollte. Pflanzen, von denen wegen ihres Oxalsäuregehalts abgeraten wurde, scheinen in Wirklichkeit durchaus als Futtermittel geeignet, weil sie deutlich mehr Kalium als Oxalsäure enthalten. So enthält z.B. Petersilie nur 0 – 185 mg Oxalsäure je 100 g Frischfutter, doch gleichzeitig 1.000 mg Kalium. Löwenzahn, der ca. 250 mg Oxalsäure pro 100 g Frischfutter enthalten kann (was viele Schildkrötenpfleger überhaupt nicht wissen), enthält 440 mg Kalium pro 100 g Frischfutter. Gerade Löwenzahn hat sich als Schildkrötenfutter bewährt und ist für viele Schildkrötenhalter seit langem ein Hauptfutter, ohne dass dabei Schäden für die Tiere entstanden sind. So sollte man meiner Meinung nach aufhören, Pflanzen, von denen man gehört hat, sie enthielten Oxalsäure, nur deshalb nicht zu verfüttern.
(Die hier angegebenen Oxalsäure- und Kaliummengen sind nur Richtwerte, da der tatsächliche Gehalt von der Pflanzensorte, der Jahreszeit und den Kulturbedingungen abhängt; demzufolge finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben.)

In bezug auf Oxalsäure scheint sich ein Missverständnis, das sich wohl in der Humanmedizin gebildet hat, auf die Wahl des Schildkrötenfutters übertragen zu haben. Denn Humanmediziner warnen zwar vor Oxalsäure als Kalziumräuber in Lebensmitteln, doch ist es unter ihnen auch bekannt, dass dies nicht für Lebensmittel gilt, die viel mehr Kalium als Oxalsäure enthalten bzw. dass eine kaliumreiche Ernährung es verhindert, dass die Oxalsäure dem Körper Kalzium oder andere Mineralstoffe entzieht.

Probleme mit Oxalsäure als Kalziumräuber können zwar relativ leicht beim Menschen vorkommen, aber nicht so häufig bei den Landschildkröten, da der Mensch weniger kaliumreiche Nahrung zu sich nimmt als eine artgerecht ernährte Landschildkröte. Die gesamte verdaute Mahlzeit spielt bei der Ausscheidung der Oxalsäure eine Rolle. So auch der Anteil an Kalium in der gesamten Mahlzeit, der durch die relative Kaliumarmut vieler Lebensmittel  - wie Süßwaren - noch niedriger wird. Nimmt man z.B. weitere Kalziumräuber, wie Salz oder Alkohol, im Übermaß zu sich, verschlechtert sich der Kaliumwert weiterhin und die Oxalsäure beginnt dann damit, auch Kalzium zu rauben.

 

BildKalt1Bild 1: Eine juvenile Spaltenschildkröte (Malacochersus tornieri) beim Fressen von Sedum. Diese oxalsäurehaltige Pflanze ist ein beliebtes Futter und steht auch im Winter als Futterpflanze zur Verfügung.

Landschildkröten, die sich bei artgerechter Ernährung hauptsächlich von kaliumreichen Pflanzen, wie Wildkräutern und Blattgemüsen oder z.B. Sukkulenten ernähren, scheinen in ihrer Nahrung immer genug Kalium vorzufinden, um die Oxalsäure ohne Kalziumverlust ausscheiden zu können. Folgende Tabelle zeigt, wie viel Milligramm Kalium 100 Gramm Frischfutter ausgewählte Pflanzen enthalten. Umso höher der Kaliumanteil ist, desto mehr von der vorhandenen Oxalsäure wird gebunden.

 

Kaliumgehalt  pro 100 g Frischfutter.

 

Radicchio                                                             240 mg

Petersilie                                                            1000 mg

Brennessel                                                          400 mg

Löwenzahn                                                          440 mg

Brunnenkresse                                                     276 mg

Gartenkresse                                                       550 mg

Spinat                                                                 633 mg

 

Alle in der Tabelle aufgeführten Pflanzen enthalten, einmal mehr, einmal weniger, Oxalsäure. Spinat enthält, wie bereits erwähnt, sehr viel, die anderen deutlich weniger. Weitere Pflanzen mit (zum Teil geringem) Oxalsäuregehalt sind z.B. Luzerne, Portulak, Brennessel, Rotklee und Sedum-Arten [2]. Viele Wüstenpflanzen sind besonders kaliumreich [3] und enthalten oft auch Oxalsäure. Hat eine ansonsten geeignete Futterpflanze einen relativ geringen Oxalsäuregehalt, enthält dabei aber viel Kalium, ist sie als Futterpflanze durchaus geeignet.

 

BildKalt2Bild 2: Sauerampfer (Rumex acetosa) enthält sehr viel Oxalsäure: je nach Literatur werden bis zu 1,5 g je 100 g Frischpflanzengewicht angegeben. Damit ist er wohl als wirklicher Kalziumräuber anzusehen, zumal er sehr viel weniger Kalium enthält als z.B. Spinat. Außerdem weist er aufgrund seines relativ hohen Phosphorgehaltes ein ungünstiges Ca/P-Verhältnis auf. Sauerampfer sollte deshalb nicht als alleiniges Hauptfutter angeboten werden. Beide Fotos stammen vom Verfasser.

 



 

 

 


Somit lässt sich aussagen, dass eine kaliumreiche Ernährung - wie sie jede Landschildkröte, die zum Großteil mit Wildkräutern, Blattgemüse, Sukkulenten und Ähnlichem ernährt wird, erfährt - einen eventuellen merklichen Kalziumverlust durch Oxalsäure verhindern kann. Ernährt der Pfleger seine Landschildkröte(n) abwechslungsreich und nicht gerade mit Sauerampfer als alleinigem Hauptfutter, spielt der Oxalsäuregehalt einzelner Wiesenkräuter nur eine untergeordnete Rolle.

 

Literatur
[1] Anonym: Eisenmangel - Vegetarier haben es schwer. Medic. Trib. 2006; 39 (33), S. 4-5
[2] www.liberherbarum.com
[3] Dennert, C.: Ernährung von Landschildkröten. NTV, Münster 2005
Weitere Quellen:

Hess, B.: Nephrolithiasis. Med. Forum 2001; 1:1119-27
http://www.dialyse.de/bls/
http://www.gesund-durch-essen.ch/Nierensteine.html

 

Dieser Beitrag wurde am 18. Oktober 2010 online gestellt.

Terrapene carolina triunguis

 

von Werner Pieper

 

Die Terrapene-Dosenschildkröte oder Dreizehen-Dosenschildkröte (Terrapene carolina triunguis)  ist eine (in weiten Gebieten der USA) auf dem Land lebende terrestrische Sumpfschildkröte, die immer in der Nähe von seichten Wasserstellen, Waldrändern und Feuchtwiesen vorkommt. Den deutschen Namen Dosenschildkröte hat sie wegen ihres am Bauchpanzer beweglichen Scharniers bekommen, mit dem sich die Schildkröte zum Schutz verschließen kann. Wegen ihrer geringen Größe und dem neugierigen Verhalten, wenn sie den Pfleger mal kennen, sind sie beliebte Pfleglinge geworden.

 

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Bild 1: Zuchttiere im gut strukturierten Gehege: links Männchen, rechts ein Weibchen

 

Die von mir gepflegten Terrapene carolina triunguis sind eine klein bleibende Art, die Weibchen werden ca. 500 gr. und die Männchen ca. 350 gr. schwer (Bild 1).

Im Sommer sollten die Tiere unbedingt in einem gut strukturierten Freigehege mit Baumwurzeln als Unterschlupf, unter die sie sich dann eingraben können, und einer Badegelegenheit gehalten werden. Das Freigehege sollte so angelegt werden, dass die Schildkröten, wenn man mehrere pflegt, sich auch mal aus dem Weg gehen können. Ideal ist ein Geschlechterverhältnis von einem Männchen und zwei Weibchen.

Wichtig ist, dass bei schlechtem Wetter eine mit Laub, Stroh oder Heu gefüllte Schutzhütte vorhanden ist. Bei zu kühler Haltung neigen die Schildkröten gerne zu Ohrabzessen; das sieht man dann an einer Ausbuchtung einseitig oder sogar beidseitig am Kopf.

 

Die Paarung erfolgt bei meinen Schildkröten gleich nach der Winterruhe, so gegen Ende März, und die Eiablage ca. 4-5 Wochen später, meistens noch im Zimmerterrarium. Die Eiablage erfolgt in der Regel am späten Abend und kann sich über mehrere Stunden hinziehen. Bei der Ablage sind die Weibchen sehr vorsichtig, bei der geringsten Störung hören sie auf zu graben. Die Ei-Grube hat die Form einer Birne; die von mir gehaltenen Schildkröten haben je Saison 2-3 Gelege mit ca. 2-4 Eiern.

 

Beim Ausbrüten im Inkubator wird das Brutsubstrat (Vermiculit) feuchter gehalten, als bei Landschildkröten. Die Jungen schlüpfen in der Regel nach ca. 55 Tagen +/- 2 Tage (gemäß Aufzeichnung seit 8 Jahren), es gibt aber auch Ausnahmen, siehe Foto (Bild 2): die drei schlüpften mit vollständig resorbiertem Dottersack.

 

PieperBild2kleinBild 2: Die Ausnahme von der Regel: diese drei schlüpften bereits nach weniger als 55 Tagen Inkubationsdauer. In der Literatur werden sogar bis zu 60 Tage genannt, bei schwankenden Temperaturen zwischen 28 und 30 °C sogar bis zu 80 Tage.

 

 

 

 

 

 

 

Die Aufzucht der Jungtiere macht eigentlich keine Probleme. Nach der ersten Eiablage richte ich schon mal ein kleines Terrarium her, das mit Erde und Moos ca. 5 cm hoch aufgefüllt wird; das Moos wird immer gut angefeuchtet. Bis zum Schlupf der ersten Jungtiere wird jeder kleine Wurm, oder jede Kellerassel, die ich im Garten finde, ins Terrarium gegeben. So haben die Schlüpflinge (Bild 3) immer ein natürliches Futter zur Verfügung. Das ist wichtig, denn die ersten 1-2 Monate nach dem Schlupf vergraben sie sich unter dem Moos. Erst wenn sie sich auch tagsüber aus ihrem Versteck trauen, bekommen sie auch kleine Babymäuse.

Bei mir fressen meine Nachzuchten erst im dritten Jahr außer Insekten auch Salat.

 

PieperBild3kleinBild 3: Schlüpfling im Alter von 10 Tagen. Alle Fotos stammen vom Autor.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum Überwintern im ersten Jahr stelle ich das Aufzucht-Terrarium für ca. 6 - 8 Wochen in einen kühlen Kellerraum. Wichtig dabei ist, dass das Moos, unter dem sich die kleinen Schildkröten aufhalten, immer gut feucht ist, sonst droht Austrocknung.

 

Dieser Beitrag wurde am 19. August 2010 online gestellt.


Nachtrag von  Horst Köhler (Juli 2021):
Ob die Art, insbesondere Jungtiere davon wie im Artikel erwähnt, ausgerechnet mit Babymäusen gefüttert werden muss, ist zumindest diskussionswürdig. Geeignetes alternatives Futter gibt es nämlich reichlich, z.B. reife Früchte, Schnecken, Heimchen, Grillen bis hin zu kleinen Fischen. 

 

von Horst Köhler, Friedberg
 

Als Orientierungshilfe für die Halter von Indischen und Sri Lanka-Sternschildkröten (Geochelone elegans) wäre es hilfreich, die Gewichte von frei lebenden Tieren zu kennen. Sternschildkröten (Bild 1) kommen im Südosten Pakistans (Provinz Sind), Nord- und Südindien und auf Sri Lanka (früher: Ceylon) vor. Doch leider gibt es bis heute keine sicheren Unterscheidungsmerkmale zwischen den einzelnen Standort-Formen, und ebenfalls keine verwertbaren Gewichtsangaben. Sri Lanka-Tiere (Bild 2) werden bekanntlich größer und schwerer als die südindischen Vertreter und nordindische und pakistanische Schildkröten wiederum größer als die von Sri Lanka. Doch Rückschlüsse auf die Herkunft eines bestimmten Tieres sind nur dann möglich, wenn man ausgewachsene und etwa gleichaltrige Tiere vergleicht, die alle artgerecht ernährt wurden und bei denen es keine Wachstumsverzögerung durch eine frühere Erkrankung gab.
Wer also mehrere etwa gleichaltrige Sternschildkröten besitzt, von denen eine oder auch zwei kleiner sind, muss sich bei Fehlen von Krankheitssymptomen keine Sorgen um deren Gesundheitszustand machen: es könnte sich bei den kleineren Tieren auch um die südindische und bei den größeren um die Sri Lanka-oder die Nordindienform handeln. Es ist durchaus möglich, dass bei einem Paar das Weibchen deutlich kleiner als das Männchen bleibt. Erklärung dafür: das Weibchen ist eine südindische Variante, das Männchen z.B. eine aus Sri Lanka.

 

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Bild 1: Zwei zum Zeitpunkt der Aufnahme fast 2 ½-jährige Sternschildkröten, gesehen auf einer Reptilienmesse. Handelt es sich um die südindische Form, könnten die Tiere zu zweit weiterhin noch für eine geraume Zeit in einem Terrarium aufgezogen werden. Sri Lanka-Sternschildkröten erreichen aber im Normalfall Carapaxlängen um 25 cm (Weibchen), benötigen also bei einer Haltung in der Gruppe zimmergroße Terrarien. Wichtig für Schildkröten-Neueinsteiger: Sternschildkröten halten wie alle tropischen Landschildkröten keine Winterruhe. Foto: Horst Köhler

 

 

 

 

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Bild 2: Jedem Freund von Sternschildkröten dürfte das Herz beim Anblick dieser Aufnahme schneller schlagen: es handelt sich um die Sri Lanka-Form von Sternschildkröten, die als Babys großgezogen wurden. Die hier abgebildeten Tiere haben Carapaxlängen zwischen 10 und 20 cm. Man beachte die teilweise unterschiedlichen Carapaxzeichnungen. Foto: Jerry Fife, USA

 

Um wenigstens einen Überblick über die Gewichte von in Menschenobhut befindlichen Sternschildkröten zu erhalten, wurden fünf verschiedene deutsche Halter und Züchter gebeten, ihre Sternschildkröten zu wiegen (und zu vermessen). Da das Alter von Sternschildkröten aus verschiedenen Gründen mitunter sehr unsicher ist, wurde das ermittelte Gewicht zur Körpergröße der Schildkröten in Beziehung gesetzt. Da es sich bei ähnlichen früheren Messungen des Autors an frei lebenden europäischen Landschildkröten gezeigt hat, dass die ermittelten Gewichte dann am wenigsten streuen, wenn man sie nicht über die Carapaxlänge (CL), sondern über dem Produkt aus Längs- und Querumfang aufträgt [Köhler, 2007], wurde dies auch für die vorliegende Aufgabe übernommen. Deshalb lieferten die angefragten Personen neben dem Gewicht
den (bei eingezogenem Kopf und Schwanz) über Rücken- und Bauchpanzer mit einem Maßband gemessenen Umfang Ul und den quer dazu gemessenen Querumfang, Uq.

Das Ergebnis der kleinen Studie zeigt die Grafik in Bild 3, in die auch das Geschlecht (w = weiblich, m = männlich) mit aufgenommen ist. Wie bei den vermutlich ganz unterschiedlichen Ernährungsmethoden der befragten Halter nicht anders zu erwarten ist, streuen die Werte etwas; sie sind in der Grafik durch eine obere und eine untere Hüllkurve begrenzt. Die Streuung ist allerdings relativ gering, so dass mit Hilfe von Bild 3 durchaus geprüft werden kann, ob das Gewicht der eigenen Sternschildkröte(n) etwa vergleichbar ist.

 

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Bild 3: Gewichts-Größenzusammenhang von in Deutschland gehaltenen Sternschildkröten von fünf verschiedenen Besitzern nach der Studie des Verfassers. Die unterschiedlichen Symbole stehen für die verschiedenen Besitzer. Insgesamt wurden die Daten von 20 Tieren ausgewertet.

 

Dazu ein Beispiel: ist der Längsumfang einer Sternschildkröte Ul = 40 cm und der Querumfang Uq = 32 cm, ist Ul x Uq = 1.280 cm2 und das Gewicht des betreffenden Tieres sollte nach Bild 3 zwischen 700 und 900 Gramm liegen. Wiegt es deutlich mehr, z.B. 1,2 kg, sollte eine Futterumstellung bzw. -reduzierung ins Auge gefasst werden [Köhler, 2008], wiegt es dagegen beispielsweise nur 500 Gramm, dürfte es im Vergleich zur Größe etwas zu leicht sein.

Literatur:
Köhler Horst (2007): Betrachtungen zu Gewichten von Testudo graeca ibera aus der Südwest-Türkei. Schildkröten-Im-Fokus 4 (3), S. 11-17
Köhler Horst (2008): Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys, Schildi-Verlag Augsburg, 176 Seiten

 

Der Artikel wurde am 16. Mai 2010 online gestellt.

2. Teil (Fortsetzung des 1. Teils zum gleichen Thema siehe Beitrag unterhalb des nachfolgenden)

von B.B. (Name auf eigenen Wunsch nicht genannt) und Horst Köhler

 

Im Artikel „Erwachen frei lebender europäischer Landschildkröten aus der Winterstarre“ (unmittelbar darunter stehender Bericht) wurde die Schildkrötenfreundin B.B. zitiert, die die ersten Schildkröten Testudo graeca nach der Winterruhe einige Kilometer östlich von Antalya schon am 20. Februar 2008 beim Fressen beobachten konnte. Auch in den Jahren davor fand sie etwa zur gleichen Jahreszeit vereinzelt juvenile Tiere; sie waren immer besonders zutraulich.

In diesem Jahr (2010) suchte B.B. das gleiche Gebiet bereits eine Woche früher zur Schildkrötensuche auf, und zwar vom 7. bis 14. Februar. In den ersten Tagen ihres Aufenthaltes regnete es noch sintflutartig und es war relativ kühl. So stieg das Thermometer am Ankunftstag (7.2., einem Sonntag) nur bis auf 11 °C, zwei Tage später wurden dann immerhin schon 16 °C erreicht – mit einem allerdings wieder sehr kühlen Tag danach. In der Nacht war der Tiefstwert am 7.2. ungefähr 5 °C, zwei Tage später 7 °C. Die Niederschläge wären am 7. und 8.2. mit je 65 bis 70 mm Regen sehr hoch, doch danach wurde es trocken - und zunehmend wärmer. Am  Abreisetag (14.2.) wurden 19 °C erreicht, mit steigender Tendenz.

B.B. schreibt: „Tatsächlich haben wir ab dem 11.2. bis zu unserem Abreisetag die ersten Schildkröten nach ihrer Winterstarre außerhalb ihrer Verstecke gefunden. Die Temperaturen erreichten am Tag 18 - 20 °C, nachts gingen sie aber auf etwa 10 - 12 °C zurück. Einmal maßen wir auch die Bodentemperatur in 10 cm Tiefe: sie betrug 15 °C.

Bis auf wenige Ausnahmen ist die Bodenfeuchte in der Gegend sehr hoch, da die Regenzeit von November bis Januar dauert. Wir fanden in dem Dünengelände direkt am Meer viele Wasserlachen und kleine Tümpel“.

Von einer trockenen Winterstarre kann also zumindest in diesem Vorkommensgebiet von Testudo graeca keine Rede sein.

 

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Bild 1: Adulte Testudo graeca, aufgenommen am 13. Februar 2010, unmittelbar nach dem Erwachen aus der Winterstarre. Im Hintergrund eine typische Strand- und Dünenlandschaft direkt am Mittelmeer (rechts hinten als diffuser Streifen gerade noch zu erkennen). Solche Biotope zählen wohl zu den extremsten Vorkommensgebieten von europäischen Landschildkröten.

 

Frau B.B. fand in der Zeit zwischen dem 11. und 14.2.2010 nur Schlüpflinge aus dem Vorjahr (Bild 1), ein einzelnes Jungtier wahrscheinlich aus 2008 und etliche ältere Schildkröten mit Gewichten zwischen 1,2 und 1,7 kg (Bild 2). Juvenile Schildkröten im Gewichtsbereich zwischen 50 g und 1 kg sah sie während ihres Aufenthaltes in der Region nicht. Ob die Tiere dieser Gewichtsklasse erst später aus der Winterstarre erwachen oder ob es größere Verluste gegeben hat (zu dieser Ansicht neigt B.B.), kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, da für eine solche Aussage der Aufenthalt von Frau B. um mindestens eine Woche zu kurz war.

 

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Bild 2: Trotz des relativ mageren Nahrungsangebotes in dem Dünenbiotop leben in ihm zahlreiche Landschildkröten unterschiedlichen Alters (sowie Schlangen). Diese Dreiergruppe entdeckte Frau B. am 14.2. um die Mittagszeit. Der kleinste in dieser Zeit gefundene Schlüpfling wog gerade mal 8 Gramm. Beide Fotos von B.B.

 

Aussage von B.B. über die Dauer der Winterruhe in dem von ihr vielfach besuchten Gebiet: „Nach unseren Beobachtungen der letzten sechs Jahre halten frei lebende Schildkröten in der Südtürkei einen Winterschlaf von 2 ½ bis 3 ½ Monaten.“

 

Dieser Artikel wurde am 16. Mai 2010 online gestellt.

 

1. Teil (der 2. Teil des Beitrages findet sich darüber)

von Horst Köhler, Friedberg

Dauer der Winterruhe
Das Erwachen von europäischen Landschildkröten im Frühjahr beendet die Winterstarre (Winterruhe, Hibernation), die bei ausgewachsenen Tieren mehrere Monate betragen kann. In der populärwissenschaftlichen Literatur sind allerdings unterschiedlich lange Dauern der Winterruhe zu finden, wobei die meisten Autoren für Alttiere bis zu fünf Monate angeben, einige sogar noch mehr. Einige Beispiele: so empfiehlt R. Zirngibl [1] eine 5 ½ Monate lange Hibernation (die Zahlen in eckigen Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis am Ende des Beitrages) und auch W. Adam überwintert seine Tiere fünf bis sechs Monate lang [2]. Dies würde bedeuten, dass bei einem Beginn der Winterruhe Anfang November das Auswintern erst im darauffolgenden April erfolgt. Derart lange Überwinterungszeiten dürfen allerdings meiner Meinung nach nicht für alle Arten und Standortvarianten verallgemeinert werden. Schon P. Kölle wies 1999 darauf hin, dass im natürlichen Habitat die Winterruhe der europäischen Landschildkröten je nach Art und geographischer Verbreitung zwischen fünf Monaten (Vierzehenschildkröte, Agrionemys horsfieldii) und nur wenigen Wochen (Nordafrikanische Unterarten der Maurischen Landschildkröte, z.B. Testudo graeca graeca) dauern kann [3]. Von Breitrandschildkröten (Testudo marginata) ist bekannt, dass sie in der Natur später als andere Arten in die Winterstarre verfallen und auch früher wieder wach werden. Ihre Winterruhe ist somit kürzer als die von Griechischen oder Maurischen Landschildkröten. Auch der bekannte Schildkröten-Experte Andy C. Highfield aus Wales (UK) spricht sich gegen (zu) lange Überwinterungen aus: seine Empfehlung für die Schildkrötenhaltung lautet für gesunde Tiere maximal 20 Wochen (also höchstens fünf Monate), für Schildkröten mit suboptimalem Gesundheitszustand und/oder Gewichtsdefizit aber in jedem Falle weniger [4]. Er warnt davor, europäische Landschildkröten länger als höchstens bis Ende März in der Winterstarre zu halten; ansonsten drohen deutlich zunehmende Verluste.

 

Situation im natürlichen Lebensraum
Es ist wichtig, dass die Empfehlungen für die Pflege von Landschildkröten, und dazu gehört auch die Hibernation, durch verlässliche Beobachtungen im natürlichen Lebensraum abgesichert sind, ein zentrales und wichtiges Anliegen dieser Website. Doch es scheint hier an entsprechenden Tier- und Biotopbeobachtungen zu fehlen. Der Grund: weder zu Beginn der Hibernation im November noch zum Zeitpunkt des Erwachens der Tiere im zeitigen Frühjahr ist Saison für Reisen nach Südeuropa. Entsprechend selten sind in der Literatur aussagekräftige, ernst zu nehmende Beobachtungsberichte von Schildkröten-Beobachtern vor Ort. Highfield schreibt weiter, dass im Biotop „unserer Schildkröten" die Hibernation selten über 10 bis 12 Wochen hinausgeht. Allerdings erwähnt er leider nicht, welches Biotop in Europa er dabei meint.

Also, stimmen solche Angaben? Sollen oder müssen wir die Hibernation unserer Pfleglinge auf höchstens drei Monate begrenzen? Ich möchte versuchen, dieser Frage anhand von zwei gesicherten Beobachtungen nachzugehen und zumindest eine Teilantwort zu finden.

 

Beispiel 1: Hibernation und Erwachen europäischer Landschildkröten in Bulgarien
Eine sehr umfangreiche und aussagekräftige Arbeit mit zahlreichen instruktiven Aufnahmen zu diesem Thema stammt von I. E. Ivanchev aus Sofia, Bulgarien [5]. In einem eingegrenzten etwa 2.000 m2 großen Schutz- und Forschungsgelände innerhalb eines 80 km2 großen Schildkrötenhabitats, etwa in der Mitte der bulgarischen Schwarzmeerküste, rund 450 km östlich von Sofia in der Nähe der Stadt Burgas gelegen, leben wilde Griechische und Maurische Landschildkröten ganzjährig, also auch im Winter, im Freien und in engster Nachbarschaft (Bild 1). Der bulgarische Autor hat 46 Exemplare aus beiden Arten während vier aufeinanderfolgenden Überwinterungsperioden beobachtet und dabei die Gewichte der Tiere und die Temperaturen in den Überwinterungshöhlen mit Hilfe von Thermologgern registriert. Alle drei Stunden wurden Temperaturen gemessen: die Innentemperaturen etwa auf Schwanzhöhe der vergrabenen Tiere, die Umgebungstemperaturen über dem Überwinterungsquartier am Boden. Das Ergebnis: die mittlere Überwinterungsdauer von Testudo hermanni boettgeri innerhalb eines Winters war 147 Tage (21 Wochen), wobei der früheste beobachtete Hibernationsbeginn der 31. Oktober und der späteste der 13. Dezember war. Die ersten T. h. boettgeri wachten am 3. April, die letzten am 29. April auf.

 

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Bild 1: Eines der wenigen Bilddokumente die zeigen, wie eng im freien Lebensraum Griechische und Maurische Landschildkröten zusammenleben können. Es handelt sich hier nicht um ein gestelltes Bild oder um Tiere in einem eingegrenzten Gehege, sondern um einen offenen Schildkrötenbiotop in Bulgarien am Schwarzen Meer. Fast ein halbes Hundert Tiere aus diesen beiden Arten gingen in die angesprochene Winterstarre-Studie ein. Foto: Ivo Ivanchev, Gea Chelonia Foundation, Bulgarien.


Die durchschnittliche Hibernationsdauer von Testudo graeca ibera im gleichen Aufzeichnungsjahr war mit 139 Tagen (ca. 20 Wochen) um eine Woche kürzer, das früheste Hibernationsende wurde am 19. März und das späteste am 20. April verzeichnet. Interessant auch das Ergebnis der Temperaturaufzeichnungen: die mittleren Temperaturen in den Überwinterungsgruben lagen bei 4,3 bis 6,1 °C bei durchschnittlichen Bodentemperaturen (außen) von 0,4 bis 5,5 °C. Bemerkenswert dabei ist, dass es in den teilweisen sehr strengen bulgarischen Winterwochen in den Überwinterungshöhlen zu Minustemperaturen kam, wobei die Werte bis zu 13 Tage lang konstant unter Null lagen.

Die beobachteten Hibernationsdauern von 147 bzw. 139 Tagen bedeuten, dass die bulgarischen Landschildkröten in ihrem bei etwa 44 Grad südlicher Breite gelegenen Freigelände eine durchschnittliche Winterstarre von 4 ½ bis fast 5 Monaten einhalten, gerechnet ab dem Tag, an dem die Tiere permanent unter der Oberfläche eingegraben bleiben. Haben also, wenn wir uns an die obigen Ausführungen erinnern, unsere (deutschen) Autoren Recht, wenn sie in ihren Schildkrötenbüchern und -Aufsätzen Winterruhen in dieser Länge für die in menschlicher Obhut gehaltenen europäischen Landschildkröten vorschlagen? Wenn ja, wie steht es aber dann mit der Aussage von A. C. Highfield, nach der die Winterruhe wild lebender Schildkröten angeblich selten über 8-12 Wochen hinausgehen soll?

 

Beispiel 2: Hibernation und Erwachen türkischer Landschildkröten (Testudo graeca ibera)
Dank einer mir gut bekannten schildkrötenbegeisterten Türkei-Reisenden, Frau B. (sie hat gebeten, ihren Namen hier nicht zu nennen), die wegen ihres Hobbys bewusst außerhalb der üblichen Touristen- und Badesaison wiederholt im Spätherbst (z.B. November 2009) und im sehr zeitigen Frühjahr (im Februar 2008 und - aktuell - Anfang Februar 2010) Schildkrötenpopulationen sowohl bei der Vorbereitung zum Winterschlaf als auch beim Erwachen aus der Winterstarre studiert, sind interessante Aussagen zumindest für die Unterart Testudo graeca ibera in einem Vorkommensgebiet etwas östlich von Antalya (bei etwa 37 ° nördlicher Breite) möglich.

Im Oktober sind dort zahlreiche Schildkröten, vorzugsweise die älteren, noch den ganzen Tag über aktiv und ziehen sich erst gegen 16 Uhr in ihre Schlafplätze zurück. Im November kann es an der Türkischen Riviera wegen des noch warmen Mittelmeeres tagsüber recht mild sein. So stiegen die örtlichen Tages-Höchsttemperaturen in der letzten Novemberwoche 2009 bis auf 22 °C - wenige Tage zuvor wurden sogar 26 °C registriert. Die nächtlichen Tiefsttemperaturen lagen zur gleichen Zeit jedoch nur noch bei 8 °C. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass Frau B. in den letzten Novembertagen 2009 in der Schildkröten-Region keine Schildkröte mehr auffinden konnte. Allerdings bemerkte sie zahlreiche, noch relativ frische Kriechspuren, die vermutlich von der wärmeren Vorwoche stammten.

Im Jahr zuvor hatte Frau B. „ihr" südtürkisches Schildkröten-Biotop eine Woche früher besucht. In der Woche zwischen dem 15. und 23. November 2008 kletterte das Thermometer tagsüber nur noch auf 12 °C. In dieser Zeit fand die Beobachterin in den Mittagsstunden vereinzelt ältere Tiere - und nur noch zwei Schlüpflinge, die allerdings noch sehr aktiv und jeden Tag mindestens zwei Stunden lang zu beobachten waren (Bild 2). Jüngere Schildkröten und Schlüpflinge scheinen sich in der Regel früher als ältere Tiere in ihre Überwinterungsgruben zurückzuziehen. Dies zeigt sich auch daran, dass man im Dezember, wenn überhaupt, ausschließlich nur vereinzelte, sehr große und damit entsprechend alte Schildkröten sichtet.
Dass in einem Jahr trotz eines etwas früheren Beobachtungszeitpunktes im November bei kühler Witterung noch Tiere zu sehen waren, im anderen Jahr eine Woche später trotz milder Außentemperaturen aber nicht mehr, zeigt, dass für den Beginn der Winterruhe neben den Temperaturen noch andere Faktoren (Tagesdauer, Sonneneinfallswinkel, auch hormonelle Vorgänge) eine entscheidende Rolle spielen.

 

BognerBild2Bild 2: Vom 20. November 2008 stammt diese Aufnahme der beiden Schlüpflinge, die Frau B. trotz herbstlicher Temperaturen von maximal nur noch 12 °C in den Mittagsstunden jeden Tag auf ihrem sanddünenartigen Gelände wiederfand und beobachtete. Die Nabelöffnung der beiden war bereits völlig geschlossen, d.h. man kann von einem Schlupf im Zeitraum Ende September/Mitte Oktober ausgehen. Foto: B.B.

 

 

 

 

 

 

 

 

Auswinterung der Maurischen Landschildkröten bei Antalya
Am Ende der Winterruhe sind die Temperaturen entscheidend dafür, wann die ersten Schildkröten ihre Winterquartiere verlassen. Bei mildem Wetter hat Frau B. schon am 20. Februar Tiere bei der Futteraufnahme beobachten können, zumindest in den Mittagsstunden. Wird es dann in den folgenden Tagen nochmals kühler, ziehen sich die Schildkröten wieder in ihre Verstecke zurück. Im Allgemeinen steigen die Temperaturen in der zweiten Februarwoche im Raum Antalya auf 16 °C, nachts liegen die Tiefstwerte um 6 °C (beides sind langjährige Mittelwerte). Der Monat Februar ist in der Region mit ca. 170 mm Niederschlag (langjähriges Mittel) nach dem Dezember (270 mm) und dem Januar (250 mm) der dritt feuchteste Monat des Jahres, doch von Jahr zu Jahr können teilweise markante Abweichungen auftreten. So hat es nach den Berichten von Frau B. bei ihren letzten Februar-Besuchen zum Beispiel kaum geregnet, dafür kann ein kalter Wind aus dem Norden blasen: dann sind die Maurischen Landschildkröten dieser Region selbst bei Sonnenschein nur an entsprechend geschützten Stellen zu sehen.

 

BognerBild1Bild 3: Schlüpfling von Testudo graeca ibera, aufgenommen am 1. März 2008 im Schildkrötenbiotop östlich von Antalya, Südtürkei. Die Nabelöffnung ist vollständig geschlossen; dies spricht dafür, dass dieses Jungtier bereits Ende des Vorjahres geschlüpft ist und auch erste Nahrung zu sich genommen hat. Aber auch eine Überwinterung in der Nisthöhle kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Foto: B.B.

 

 

 

 

 

 

 

 

In der ersten Märzhälfte, wenn im Raum Antalya die regenarme Zeit beginnt, scheint die Winterruhe der dortigen Schildkröten wohl endgültig beendet zu sein. So fand die Beobachterin in dieser Zeit in ihrem nicht allzu großen Beobachtungsgebiet im Jahr 2008 etwa zehn Tiere im Alter von etwa 6 bis 12 Monaten, fünf zweijährige Schildkröten und mindestens 100 (!) ältere Tiere (siehe das von Frau B. am 1. März aufgenommene Schildkrötenfoto einer älteren Testudo graeca ibera im Bericht „Nochmals zum Thema Standorttreue" in der Rubrik „Interessante Publikationen" dieser Website. Schlüpflinge führen immer ein verstecktes Dasein: sie sind um diese Zeit allenfalls zwischen 11 und 13 Uhr zu sehen, aber dafür immer an den gleichen Stellen. Auffällig ist, dass im zeitigen Frühjahr Tiere zwischen 3 und etwa 10 Jahren kaum vertreten sind. Sollte vielleicht die natürlich Auslese in dieser Altersgruppe (durch Tod während der Winterstarre, Beute von Wildschweinen, verwilderten Hunden, Schlangen, Greifvögeln usw.) besonders stark sein?

 

Beobachtungsergebnis und Fazit für die häusliche Schildkrötenpflege
Bei der gleichen Schildkröten-Unterart (T. graeca ibera) beträgt die beobachtete Hibernationsdauer der Tiere in Bulgarien bei Burgas am Schwarzen Meer 5 Monate, die ihrer Artgenossen sieben Breitengrade südlicher im Raum Antalya jedoch nur etwa 3 1/2 Monate (Mitte November bis Ende Februar). Das heißt, wenn spätestens Mitte März alle Maurischen Schildkröten im südtürkischen Biotop ihre Winterruhe endgültig beendet haben, befinden sich praktisch alle bulgarischen T. graeca ibera noch in der Winterstarre (das sehr unterschiedliche Formenreichtum von T. graeca ibera gilt als bisher noch nicht ganz geklärt; durchaus möglich, dass darunter auch Unterarten sind, die erst noch beschrieben werden müssen). Hauptausschlaggebend für das frühere Erwachen der Tiere in der Südtürkei dürfte meiner Meinung nach das feuchtere und gleichzeitig wärmere Klima bei Antalya sein. Dies zeigen die meteorologischen Langzeit-Mittelwerte für den Monat März sehr deutlich:
Antalya: Temperaturen max. 16 °C, min. 8 °C, 100 mm Regenfall
Burgas: Temperaturen max. 9 °C, min. 2 °C, 50 mm Regelfall.

Einschränkend muss dazu freilich gesagt werden, dass offizielle meteorologische Langzeitwerte nicht unbedingt repräsentativ für die Situation im oft geschützten Schildkröten-Mikrolebensraum sind. Der von Meteorologen im Freien gemessene Regenfall wird im Schildkröten-Biotop durch die über den Überwinterungshöhlen befindlichen Pflanzen, Büschen und Bäumen zumindest teilweise abgehalten, so dass es in den Überwinterungshöhlen der Schildkröten nicht so feucht ist, wie man aus den Zahlen für den Regenfall in einer Region folgern könnte. Andererseits sind offensichtlich nicht alle Schildkröten-Überwinterungsgruben von den klimatischen Winter-Kapriolen geschützt. So hat der oben erwähnte bulgarische Herpetologe Ivan Ivanchev bei gelegentlichen Feuchtigkeitsmessungen am Boden direkt über hibernierenden Landschildkröten rund 50 % registriert. In den Höhlen selbst wurde meines Wissens leider noch nie kontinuierlich die Winter-Feuchtigkeit gemessen, doch Ivanchev berichtete mir, dass er bei Kontrollen mitten im Winter viele schlafende Schildkröten vorgefunden hat, die derart nass waren, dass er sich wunderte, dass sie noch lebten [6]. Vor allem dann, wenn die Überwinterungsverstecke auf ebenem Boden oder gar in Mulden und nicht in einem leichten Hügel liegen, droht manchen Schildkröten, vor allem bei starken Regenfällen oder bei den Schnellschmelzen, der Tod durch Ertrinken.

Was können wir aus all dem für den Zeitpunkt des Auswinterns unserer europäischen Landschildkröten lernen? Eine sicherlich nicht einfache Frage, zumal die beiden hier ausgewerteten Beobachtungen an nur zwei Standorten von der Zahl her nicht repräsentativ sein können.
Da die meisten Schildkrötenfreunde ihre Tiere kühl und dabei gleichzeitig relativ trocken überwintern, ähneln die Verhältnisse etwa denen in Bulgarien. Das heißt, eine Auswinterung von 4 ½ bis höchstens 5 Monaten nach Beginn der Winterstarre erscheint durchaus artgerecht.

 

WinterstarreBild4Bild 4: Griechische Landschildkröte aufgenommen am 14. April 2007, die sich gerade aus ihrer Überwinterungsgrube imheimischen Garten in Augsburg-Friedberg, also im Freien, herausgearbeitet hatte. Obwohl die Region um diese Zeit ein ungewöhnlich warmes Frühjahr verzeichnete, ließ sich dieses Tier mit dem Erwachen sehr viel Zeit. Zum gleichen Zeitpunkt befanden sich meine eigenen Zuchttiere, die den Winter im kalten Keller verbracht hatten, bereits etwas mehr als 3 Wochen in ihrem Freigelände und hatten sich schon gepaart. Foto von Horst Köhler aus dem Buch „Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys".

 

 

 

Doch gleichzeitig erhebt sich die viel interessantere Frage, ob bei einer etwas wärmeren und feuchteren Überwinterung, wie sie für die Südtürkei mit ihren sehr regenreichen Wintermonaten Dezember und Januar typisch ist, die Hibernationsdauer verkürzt und damit das Auswintern in den Zeitraum Anfang März oder sogar Ende Februar vorgeschoben werden könnte – ohne bei diesen Bedingungen das Risiko eines Schildkrötenverlustes während der Hibernation zu erhöhen. Es ist auffällig, dass diese Frage im dem mir zugänglichen, auch englischsprachigen Fachschrifttum fast nicht diskutiert wird. Werden die 4 ½ bis 5 Monate als Hibernationsdauer für europäische Landschildkröten „der Einfachheit halber" als Richtschnur nur vom einen zum anderen Autor kritiklos übernommen? Oder spielt bei diesen Empfehlungen auch eine Rolle, dass Liebhaber im Allgemeinen für ihre (älteren) Tiere im Spätwinter bzw. im zeitigen Frühjahr noch keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit haben? Nicht jeder hat schließlich im Garten ein beheizbares Schildkröten-Gewächshaus stehen, in das die Tiere schon im März verbracht werden können.

Unbefriedigend ist nach wie vor der Fragenkomplex, was die optimale Feuchtigkeit im Überwinterungssubstrat angeht. Warum gehen bei uns so manche Schildkröten während ihrer Winterruhe ein (oft und gerade auch im Kühlschrank), wenn sie in Bulgarien teilweise in halb mit Wasser gefüllten Gruben überleben? Und in der Südtürkei ist es im Winter noch feuchter... Ich möchte keineswegs dazu verleiten, das Substrat in den Überwinterungskästen per Gießkanne zu wässern, aber nachdenken und diskutieren sollte man über diesen Punkt durchaus. Ist die üblicherweise empfohlene Winterstarre bei 4 – 6 °C und relativ trockenem Substrat wirklich ideal, oder liegt die Situation im natürlichen Lebensraum der Tiere eher bei etwas höheren Temperaturen und etwas höherer Feuchtigkeit? Denken wir daran, im Raum Antalya hat es den ganzen Winter über kaum weniger als 10 °C und die Monate Dezember bis Februar sind die feuchtesten des ganzen Jahres.

Ich würde mich freuen, Rückmeldungen über Erfahrungen von jenen Schildkröten-Besitzern zu bekommen, die ihre Tiere (vielleicht auch nur versuchsweise) bei etwas höheren Temperaturen (z.B. bei 8-12 °C) in einem etwas feuchteren Substrat überwintert haben. Wenn ja, wie lange war die Hibernationsdauer und der Gewichtsverlust während der Winterruhe?

Anmerkung
Die in diesem Beitrag angegebenen Hibernationsdauern sowie Ein- und Auswinterungszeitpunkte gelten nur für semi-adulte und adulte Schildkröten mit einem Alter von mehr als fünf Jahren. Für Schlüpflinge und juvenile Tiere sind die Hibernationasdauern kürzer [7].

Literaturverzeichnis
[1] Rainer Zirngibl (2000): Griechische Landschildkröten, 1. Auflage.Ulmer/bede-Verlag Stuttgart
[2] Wolfgang Adam (1996): Überwinterung europäischer Landschildkröten im Kühlschrank. DATZ Nr. 8, S.583-584
[3] Petra Kölle (1999): Die Winterruhe gehört zur artgerechten Haltung. konkret - kleintier, Enke-Verlag, Nr. 5, S.22-23
[4] Andy C. Highfield (1998, 2010): Hibernation & Varieties of Tortoise. Tortoise Trust Web/Internet
[5] Ivo Evstatiev Ivanchev (2007): Überwinterung von Testudo hjermmanni und Testudo graeca in der Natur unter sehr naturnahen Bedingungen in Bulgarien. Schildkröten-Im-Fokus 4 (2), S.3-21
[6] persönliche Mitteilung Ivo Ivanchev vom 1.2.2010
[7] Horst Köhler (2008): Aufzucht europäischer Landschilden-Babys: vom Ei zum robusten Jungtier. Schildi-Verlag Augsburg

 

Der Beitrag wurde Anfang Februar 2010 online gestellt.