Ich traute meinen Augen nicht, als ich in der aktuellen Ausgabe der Augsburger bzw. Friedberger Allgemeinen vom 10./11. Oktober 2015 die hier im Ausriss wiedergegebene Kleinanzeige in der Kleinanzeigen-Rubrik „Tiermarkt“ las. Um 35 Euro inclusive EU-Bescheinigung bot ein Züchter aus meiner Region seine Landschildkröten-Nachzuchten aus dem aktuellen Jahrgang 2015 an. Dabei darf angenommen werden, dass beim (zu empfehlenden) Erwerb von mehr als nur einem Tier noch ein Nachlass gegeben wird. Dann liegt der Preis je nach abgegebener Menge bei rund 30 Euro und noch weniger.
Die Preisangabe ist nicht etwa ein Tipp- oder Schreibfehler, sondern schon so gemeint.
Zunächst einmal: ich weiß nicht, was andere Schildkrötenzüchter denken, aber ein streng geschütztes Wildtier mit der großartigen Faszination, Symbolik und einer derart alten Kulturgeschichte wie die der Landschildkröte hat es nicht verdient, wie auf einem Flohmarkt verramscht zu werden, und damit zu verkommen. Wenn dies Schule macht und dem schlechten Beispiel andere Züchter folgen, ist die Landschildkröte bald ein Tier ohne Wert, um das man sich nicht viel kümmern und sorgen muss, denn für wenig Geld gibt es ja nunmehr Ersatz. An solche Zeiten erinnern sich die Älteren unter uns, als vor etwa 60 Jahren die Zoohandlungen ausgewachsene, frisch aus den südeuropäischen Herkunftsländern exportierte Landschildkröten für einen Preis von 3 bis 4 Mark (heute: 1,50 bis 2 €) verkauften.
Schildkröten-Anzeige aus der Rubrik „Tiermarkt“ der Augsburger Allgemeinen vom 10./11.10.2015. Die Telefonnummern der Kleinanzeigen für Schildkröten sind von mir unkenntlich gemacht.Im Internet bietet dieser Züchter seine Nachzuchten sogar für 30 € an und verkauft sie auch noch im Dezember und Januar.
Foto von Horst Köhler.
Zweitens, ich wundere mich sehr, wie der inserierende Züchter auf seine Kosten kommt – und frage mich schon, ob er nicht an irgendeiner Stelle "trickst", um einen härteren Begriff zu vermeiden. Wenn ich für meine Nachzuchten nur 35 Euro verlangen würde, würde für mich folgende Rechnung gelten:
Von den 35 € gehen zunächst 19 % Umsatzsteuer an das Finanzamt, bleiben noch 29,41 €.
Davon muss ich 5 - 6 € für die EU-Bescheinigung abziehen, Rest also noch etwa 24 €.
Bei meinen Steuersatz von rund 30 % verbleiben mir nach Abzug der Einkommensteuer 18,46 Euro je Tier an Nettoeinnahmen. Verkaufe ich mehr als eine Jungschildkröte an einen Käufer, ist es noch weniger.
Auf der Gegenseite der Rechnung stehen die Aufwendungen. Dies sind Strom- und Futterkosten, Tierarztkosten (z.B. für den Nachweis, dass der Kot der Jungtiere frei von Parasiten ist), Fotokosten, Portokosten, Telefonkosten und die nicht gerade billigen Anzeigenkosten in der örtlichen Tageszeitung. Manche mögen finanztechnisch auch noch die Elterntiere abschreiben, aber das widerstrebt mir: Tiere sind für mich keine Sachen und die Schildkrötenzucht keine Einnahmequelle zur Lebenssicherung, sondern ein schönes Hobby.
Selbst wenn ein Züchter nur eine eher überschaubare Zahl von jährlich geschlüpften Landschildkröten anbietet und aus Platzgründen verkaufen muss, wird dies bei einem Preisverfall nicht einfach, weil viele Käufer leider ausschließlich nach dem Preis kaufen und am liebsten noch weniger zahlen würden als 35 €. Im Bild die aktuelle Jahresnachzucht des Autors dieses Beitrags, aufgenommen MItte September. Es versteht sich von selbst, dass so viele Tiere vom Züchter nur vorübergehend für eine Zeitdauer von wenigen Monaten in einem Katzen-WC gehalten werden - und ab März durch den Verkauf ständig weniger werden. Foto: Horst Köhler.
Ich werde es mir in den nächsten Monaten sehr gut überlegen, ob ich mir den Aufwand für meine Zucht (siehe obiges Bild) und den Verkauf bei diesem (zumindest in meiner Region) verfallenden Preisen noch länger zumuten soll. Wohin außerdem mit den aus Preisgründen unverkäuflichen Nachzuchten?
Ob dem erwähnten Züchter bewusst ist, dass er mit seinen Schleuderpreisen nicht nur seine viele Züchterkollegen vor den Kopf stößt und ihnen schadet, sondern auf lange Sicht selbst jenen Schildkrötenfreunden, die sich Jungtiere kaufen? Klar, die Kunden freuen sich, dass sie so günstig zu Schildkröten kommen, doch wie entwickelt sich der Markt auf lange Sicht weiter?
Wenn weitere Züchter wegfallen, was dann? Die Käufer müssen längere Anfahrtstrecken zum nächsten Züchter auf sich nehmen, haben also weniger Auswahl. Bei einem solchen Szenario dürfte sich der Preis bald wieder nach oben entwickeln. Aber dann ist es zu spät, weil viele Züchter die Gelege nicht mehr ausbrüten und möglicherweise ihre Zuchttiere abgegeben haben.
Wollen wir das alles wirklich?
Dieser Beitrag von Horst Köhler wurde am 11. Oktober 2015 online gestellt.
Seit dem 16. Oktober 2015 ist er außerdem im Internetportal Testudowelt zu lesen.
Nachtrag:
Aufregung um obigen Artikel
Seit dem 11. Oktober 2015 ist mein oben stehender Beitrag online. Obwohl ich ausdrücklich um Kommentare hierzu eingeladen hatte, ist bis heute kein einziger eingetroffen. Ich habe deshalb heute den Hinweis auf Diskussionsbeiträge wieder entfernt.
Ganz anders waren die Reaktionen im Netz. Der gleiche Beitrag erschien eine Woche später im Internet-Medium TestudoWelt.de mit der Möglichkeit für Leser, Kommentare dazu sofort online zu stellen. Das wurde auch getan, doch mit welchem Niveau ! Da wurde mir beispielsweise von Personen, die weder mich persönlich noch offensichtlich meine Publikationen kennen und noch nie mit mir korrespondiert haben, vorgeworfen, ich würde mich am Verkauf meiner Nachzuchten bereichern – als ob man beim Verkauf von 20 – 25 Nachzuchten im Jahr zu angebrachten Preisen bei den anfallenden Ausgaben einen hohen Gewinn machen kann, zumal wenn, wie bei mir, noch Steuern abzuführen sind. Mehrere Züchter, musste ich erfahren, geben ihre Tiere für weniger als € 35 ab oder verschenken sie sogar. Ich halte dies nach wie vor für falsch und, wie bereits in meinem Artikel begründet, dem Hobby undienlich und den Landschildkröten unwürdig.
Ich muss es hinnehmen, dass Schildkröten-Nachzuchten zu Schleuderpreisen abgegeben („verramscht“) oder gar verschenkt werden. Aber genauso erwarte ich, dass auch meine Auffassung von einem Mindestpreis um 50 € toleriert wird. Schließlich leben wir hier in einem freien Land mit Meinungsfreiheit.
Bild 1: Harmonisches Bild "auf Tuchfühlung": bis auf das Jungtier rechts haben sich alle übrigen Nachzuchten die gleiche Ecke in der Hälterungsschale zum Schlafen ausgesucht. Verstoß gegen das Tierschutzgesetz?
Kritisiert wird auch, dass ich meine zum Verkauf gedachten Nachzuchten in einem Katzen-WC aus Plastik und auf Holzschnitzeln (letzteres stimmt übrigens nicht) halte. Deswegen wird mir sogar ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz unterstellt.
Ja, warum denn kein leicht zu reinigendes und damit hygienisches und überdies jederzeit für eine Stunde oder zwei an die spätherbstliche Sonne zu bringendes Plastikbehältnis, solange die Temperatur stimmt? Dies ist besser als die Verkaufstiere in einem Terrarium mit überhitztem, ungesunden Klima und womöglich bei überstarker UVB-Bestrahlung unterzubringen. An Platzmangel leiden selbst 20 Schlüpflinge in einer z.B. 50 oder 60 cm großen Kunststoff-Wanne nicht; sie würden sich sonst nachts in der Wanne verteilen und nicht alle ausgerechnet in der gleichen Ecke schlafen (Bild 2). Es handelt sich schließlich nicht um ein Set-up auf Dauer, da die Tiere vor ihrer Einwinterung, und dann gleich wieder danach, ständig verkauft und damit immer weniger werden. Natürlich empfehle ich meinen Kunden nicht, auf Dauer mehrere Tiere auf diese Weise unterzubringen, aber für zwei oder drei Schlüpflinge ist diese Lösung für die ersten Lebensmonate völlig ausreichend - bis dann, um einige Haltungserfahrungen reicher geworden, ein - hoffentlich nicht zu kleines - Terrarium oder, besser, ein oben offenes Holz-Innengehege angeschafft wird.
Bild 2: Wild lebender Schlüpfling von Testudo graeca (Maurische Landschildkröte), gefunden und fotografiert am 20. November im natürlichen Lebensraum. Die paar sonnigen Mittagsstunden nutzte das Tier zum Aufwärmen, bevor es wieder im Pflanzendickicht verschwand.
Meine Kritiker werfen mir weiterhin vor, noch im Oktober Schlüpflinge zu verkaufen. Auch hier die Frage: warum eigentlich nicht? Wer die Mühe und vor allem die Kosten nicht scheut, lange nach der Saison in die natürlichen Vorkommensgebiete zu reisen, wird dort bei genauem Hinsehen nicht nur im Oktober, sondern noch im November und Anfang Dezember Jungtiere finden, selbst wenn sie nur einige Stunden am Tag aus ihren Verstecken kommen (Bild 2). Es ist doch ein Vorteil, wenn Jungtiere im ersten Schlupfjahr durch eine Haltung bis in den Dezember hinein noch das eine oder andere Gramm an Gewicht zunehmen und dadurch besser für die Winterpause gerüstet sind. Also, wenn meine Kunden damit nicht unzufrieden sind, wenn ihre im Oktober gekauften Jungschildkröten nur zwei oder drei Stunden am Tag aktiv sind - dies muss man natürlich den Neueinsteigern erklären und sie auch noch später beraten - dann steht einem Kauf im Oktober nichts, aber auch gar nichts entgegen. Selbst heute, immerhin am 6. Dezember, entdecke ich in der Augsburger Allgemeinen noch Verkaufsanzeigen für Schlüpflinge, im Internet ohnehin „ganzjährig“. Zur Beruhigung meiner Kritiker: ich selbst habe seit Ende Oktober keine Schildkröten mehr verkauft und werde dies erst wieder Anfang März tun. Aber, und das wird sicherlich wieder einen Aufschrei in der Internet-Schildkrötenszene nach sich ziehen: ich hatte meine Schlüpflinge in ihrer Kunststoffschale auch heute (6. Dezember) wieder für ca. 1 1/2 Stunden an der spätherbstlichen Sonne auf unserem Terrassentisch im Freien. Denn keine noch so teure Bestrahlungslampe kann das für Schildkröten so wertvolle Sonnenstrahlungsgemisch erzeugen...
Ein Anrufer informierte mich vor einigen Tagen, dass in einem Internet-Forum, natürlich anonym, mit Halbwahrheiten und Erfundenem gegen mich aufgewiegelt wird. Auch da ist wieder von „Gewinnmaximierung“ beim Verkauf von Schlüpflingen die Rede (siehe oben) und von der angeblich unzulässigen Haltung in flachen Plastikbehältern - wo ich doch eine Vorbildfunktion hätte. Bedenklich findet man dort außerdem, dass ich als Züchter ein Schildkrötenbuch über die Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys geschrieben habe und im Eigenverlag vertreibe. Im Ernst: wer sonst als ein erfahrener Schildkrötenzüchter, der nicht nur einfach seine Nachzuchten los werden will, sondern gründlich nachverfolgt hat, warum (nach einer früheren Information der Unteren Naturschutzbehörde) bei den Haltern die meisten Schlüpflinge nicht älter als drei Jahre werden, hat die Authorität, ja sogar die Pflicht, ein derartiges Buch mit zahlreichen Ratschlägen zu verfassen? Wer bei mir beim Erwerb eines Schlüpflings das für seinen Umfang und seine Ausstattung ohnehin schon preisgünstige Buch nicht zu Sonderkonditionen kaufen kann oder möchte, wird von mir gründlich beraten und erhält die Zusicherung, mich bei etwaigen Problemen auch noch lange nach dem Kauf anrufen zu dürfen.
Konsequenzen:
Ich nehme all die überflüssigen und falschen Anschuldigungen in der Internet-Öffentlichkeit, die teilweise auch noch unfreundlich und beleidigend formuliert sind, hin, wenn auch mit gewisser Erschütterung. Ich werde meine noch vorhandenen Nachzuchten aus 2015 weder zu Niedrigstpreisen verschleudern, noch verschenken und auch nicht für einen Stückpreis von 35 € oder noch weniger verkaufen, sondern zu einem angemessenen Preis. Wenn aber unüberlegte Kritik und Beleidigungen typisch für die heutige Schildkrötenszene sind, möchte ich ihr nicht länger angehören und mehr noch, nichts mehr mit Schildkröten zu tun haben. Ich werde deshalb meine Schildkrötenzucht einstellen und meine Zuchttiere ab dem Frühjahr gegen eine Spende für Anzeigen und Futter an einen guten Platz abgeben, weil sonst doch nur wieder der unberechtigte Vorwurf des angeblich unseriösen Geschäftsgebarens aufkommt. Meine mir sehr lieb gewordenen Sternschildkröten stehen bereits seit einigen Tagen zum Verkauf an einen Schildkrötenfreund, der nicht unbedingt Züchter sein muss (siehe die Rubrike „Startseite“ und der obige Beitrag in dieser Rubrik). Ich stelle sogar die Existenz meiner beliebten, nicht-kommerziellen Schildkröten-Website infrage, die mit viel Liebe, Zeit- und finanziellem Aufwand verbunden war und ist und allein den Zweck hat, Schildkrötenbesitzer bestmöglich zu informieren, und zwar völlig kostenlos und ohne sich einloggen oder anmelden zu müssen. Hier lesen Schildkrötenfreunde zum Teil interessante Beiträge, die sie sonst kaum finden.
Von meinen Kritikern (gibt es eigentlich noch ähnlich Denkende wie mich ?) wünsche ich mir mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Anderswissenden – vor allem weniger Aufgeregtheit und weniger Unfreundlichkeiten. Im Vordergrund sollte doch die Bereitschaft zum persönlichen Dialog und zum Austausch von Erfahrungen stehen, auch wenn die bei den verschiedenen Züchtern naturgemäß konträr sein können, und nicht fragwürdige anonyme Angriffe.
Weder meine Email-Adresse noch meine Telefon- und Faxnummern sind geheim. Wer mit mir korrespondieren möchte, findet die Kontaktdaten sehr leicht in der Rubrik „Impressum & Kontakte“.
Dieser Beitrag wurde am 6. Dezember 2015 online gestellt.