Buchbesprechung Wagemann kleinvon Marco Wagemann

96 Seiten, 130 Farbfotos, geb., Format 17,5 x 22 cm, Dähne Verlag GmbH, Ettlingen, 2014,  ISBN 978-3-935175-96-8, Preis € 14,80

Wieder ist ein reich und gut illustriertes kleines Schildkröten-Einsteigerbuch zum erschwinglichen Preis und in einem praktischen, handlichen Format erschienen – offensichtlich muss jeder Verlag einen solchen Titel in seinem Portfolio haben. Insofern darf man von diesem Band auch nicht sensationell Neues erwarten, zumal fast alle Schildkrötenbücher der letzten 10 Jahre ähnlichen Inhalts sind und neuere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Schildkröten-Herpetologie, die es durchaus gibt, kaum oder gar nicht berücksichtigen - leider, muss man sagen.

Die Hauptkapitel des Bandes lauten: Die Gattung Testudo; Vor dem Kauf; Artgerechte und naturnahe Haltung; Was fressen Schildkröten? Überwinterung; Fortpflanzung und Zucht. Dazu kommt noch ein kurzer Anhang über Meldepflicht und Fotodokumentation sowie eine  Seite mit weiterführender Literatur (hier fehlt u.a. das Buch „Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys“) und hilfreiche Websiten (wobei die populäre Website www.schildi-online.eu ebenfalls nicht aufgeführt ist).

Der Text von Herrn Wagemann ist nachvollziehbar und verständlich geschrieben und wird durch die vielen Abbildungen in angenehmer Weise aufgelockert. Nur die freigestellten Schildkröten-Aufnahmen vermögen den Rezensenten nicht ganz zu überzeugen. Für Schildkröten-Liebhaber, die vor der Anschaffung einer europäischen Landschildkröte stehen und noch kein Schildkrötenbuch besitzen, ist dieses Druckwerk eine lohnenswerte Anschaffung, auch wenn sich der Schildkrötenfreund mehr brauchbare Ratschläge im Falle des Auftretens von Krankheiten wünschen dürfte. Denn man muss durchaus nicht wegen jeden Niesens einer Schildkröte gleich zum Tierarzt gehen. Und: viele Tierärzte sind keine Spezialisten für Reptilien.

Auch wenn das Buch einen guten Gesamteindruck hinterlässt, trotzdem an dieser Stelle einige Anmerkungen: Die auf S. 7 abgebildete Riesenschildkröte ist nach Auffassung des Rezensenten keine Galapagos-Schildkröte. Eine Höckerbildung ist nicht immer die Folge einer falschen Haltung, sondern oft einer zu trockenen Aufzucht der Schlüpflinge in den ersten Lebenswochen und –Monaten geschuldet (S. 26), also primär ein Fehler des Züchters. Dass Schildkröten im natürlichen Verbreitungsraum durchschnittlich 80-85 m täglich zurücklegen (S. 31), ist eine nicht belastbare Aussage, siehe z.B. bei H. Köhler: „Über Bewegungsradien und Ruhepausen wild lebender maurischer Landschildkröten“, Schildkröten Im Fokus 6 (1), 2009; siehe auch nebenstehendes Bild.

Wegstrecke kleinErgebnis der Vermessung der zurückgelegten Wegstrecke einer wild lebenden Maurischen Landschildkröte (Testudo graeca ibera) in der Südtürkei Anfang Juni nach H. Köhler, hier mit Signalband und einem 2 m langen Meterstab gekennzeichnet. Das ausgewachsene Weibchen legte zwischen 7.30 und 12.40 Uhr Ortszeit, also innerhalb von 5 Stunden, insgesamt nur etwas über 3 m zurück, wobei die direkte Laufstrecke sogar nur 2,5 m betrug. Ab 12.40 Uhr ruhte die Schildkröte dösend bei 35 °C im Schatten. Die Beobachtung wurde daraufhin abgebrochen. Foto von Horst Köhler.

Die auf S. 40 empfohlenen äußerst intensiven UVB-Strahler sind nicht unbedingt ideal für die Schildkrötenpflege (und übrigens auch nicht dafür entwickelt), und dass im (Innen-) Gehege Sonnenplätze mit Temperaturen bis 45 °C bereitgestellt werden sollen, wird zwar in der allgemeinen Schildkrötenliteratur seit vielen Jahren fast überall propagiert, ist aber angesichts der Tatsache, dass damit bereits letale Temperaturbereiche zumindest für europäische Landschildkröten erreicht werden, unverständlich und widerspricht vor allem den Beobachtungen in der Natur. Auch die Überwinterung von Schildkröten im Kühlschrank (S. 65) ist lange nicht so artgerecht und so sicher wie im Text angegeben, weil sie oft zu kalt und zu feucht erfolgt.

Auf S. 78 findet sich die Empfehlung, geborgene Schildkröteneier im heimischen Gehege sofort an der obersten Stelle zu markieren und in keinem Fall zu verdrehen. Da im Mai und Juni einstellige Nachttemperaturen nicht selten sind, wird der Züchter in der Regel die vergrabenen Eier noch am Tag des Ablegens ausgraben, um sie in den Inkubator zu überführen. In diesem Fall spielt es keine Rolle, wenn die Eier verdreht werden, sind sie doch erst wenige Stunden zuvor regelrecht in die Nisthöhle gekullert. Und noch ein Hinweis zur abgebildeten Fotodokumentation auf S. 95: die für den Rezensenten zuständige Untere Naturschutzbehörde würde derart unscharfe Nahaufnahmen nicht akzeptieren! Auch wenn der bearbeitende Beamte einen gewissen Entscheidungsspielraum hat, sollte der Züchter derartige Fotos nicht unbedingt mit dem Handy machen.

Horst Köhler

 

Dieser Beitrag wurde am 8. Juni 2014 online gestellt.