von Horst Köhler, Friedberg


Jedes Jahr seit 2006 besuche ich meine Lieblings-Schildkröteninsel Changuu Island (Prison Island) in der Nähe von Sansibar, im Indischen Ozean gelegen. So durfte auch anlässlich unserer diesjährigen privaten Charity-Reise nach Tansania am Fuß des Kilimandscharo (Höhe 5.895 m), in dessen Nähe meine Frau und ich ein AIDS-Kinderheim unterstützen, im März 2011 ein Abstecher per Flugzeug nach Sansibar und von dort per Fischerboot zur Riesenschildkröteninsel nicht fehlen (Bild 1). Ich liebe diese Insel, nicht nur weil sie eine der größten Riesenschildkrötenherden weltweit beherbergt, sondern weil man nicht den Eindruck hat, in einem Zoo zu sein, weil die klimatischen Bedingungen fast identisch sind mit denen auf dem Aldabra-Atoll, dem ursprünglichen Herkunftsgebiet der Tiere, und schließlich weil Changuu Island auf ähnliche Weise entstanden ist wie Aldabra auch.
Die nur etwa 30 Minuten dauernde Bootsüberfahrt von Stonetown auf Sansibar zu Changuu Island war mit 35 US$ (nach entsprechender Verhandlung) etwas teurer als im Jahr 2010, was mit den stark gestiegenen Kraftstoffpreisen in Tansania zusammenhängt: Man mag es als Europäer nicht glauben, aber 1 l Benzin kostet in Tansania nahezu 1 Euro, und dies bei einem Durchschnitts-Monatsverdienst im Land von nur 50 Euro! Das wäre etwa so, als wenn wir in Deutschland (bei einem angenommenen Monats-Durchschnittsverdienst von 1.500 Euro) ca. 30 Euro je Liter Benzin bezahlen müssten! Diesel-Kraftstoff ist in Tansania kaum billiger. Die Taxifahrer warten mit fast leerem Tank auf Kundschaft. Sobald sie einen Fahrgast haben, erbitten sie einen Vorschuss auf den Fahrpreis, fahren als Erstes zur nächsten Tankstelle und tanken 5 oder 6 l Diesel.

 

Bild1ChanguuBild 1: Nur ungefähr 800 m lang ist die kleine Koralleninsel Changuu Island westlich von Sansibar im Indischen Ozean, die eine beachtlich große Herde von Aldabra-Riesenschildkröten beherbergt. Fliegt man vom Kilimandjaro International Airport (in der Nähe der Städte Arusha und Moshi) nach Sansibar, hat der Ortskundige - sofern er auf der richtigen Seite im Flugzeug sitzt - kurz vor dem Anflug auf den Flughafen von Sansibar einen guten Blick auf die Schildkröteninsel, die einst als Gefängnisinsel ausgebaut, dann aber nur als Quarantänestation verwendet wurde. Viele der Touristen, die die Schildkröteninsel besuchen, nehmen abschließend im türkisfarbenen Meer ein kühlendes Bad oder schnorcheln im warmen Wasser.

Wie immer, wartete mein Bootsführer am Sandstrand der kleinen Koralleninsel Changuu Island geduldig, im Boot dösend, den ganzen Tag auf mich zur Rückfahrt nach Sansibar. Er hatte ja schließlich an diesem Tag schon genug eingenommen.

Auf der im Privatbesitz befindlichen Insel hat sich in den letzten Jahren nichts Wesentliches geändert. Die Aldabra-Riesenschildkrötenherde (Dipsochelys dussumieri) umfasste im März 2011 112 Schildkröten, darunter 45 Weibchen. Von den größten Schildkröten sind zehn männlichen und acht weiblichen Geschlechts. In der Jungtier-Voliere befanden sich bei meinem Besuch drei Babys, die erst drei Wochen zuvor aufgesammelt wurden. Noch immer wird auf der Insel keine zielgerichtete Schildkröten-Nachzucht betrieben: Sich aus dem harten Boden nach oben grabende Schlüpflinge werden im Gelände eher zufällig als kontrolliert aufgesammelt. Man hat mir seitens der Inselleitung ja schon vor Jahren erklärt, dass man die Vermehrung der Tiere nicht als primäres Ziel ansieht. Bei einem Rundgang in die felsigen hinteren Bereiche der Insel mit ihren zahlreichen Verstecken, die den Besuchern normalerweise schon aus Sicherheitsgründen nicht zugänglich sind (Bild 2), entdeckte ich trotz genauer Suche keinen einzigen Schlüpfling. Ich vermute, dass die meisten von ihnen von den rabenähnlichen Vögeln gefressen, von Besuchern gestohlen werden oder durch den groben Maschendrahtzahn nach draußen schlüpfen, ins nur 10 - 20 m entfernte Meer gelangen und dabei Opfer von großen Vögeln und Raubfischen werden. Denn bei derart vielen geschlechtsreifen Tieren müsste sich die Zahl der Riesenschildkröten von Jahr zu Jahr deutlicher erhöhen.

 

Bild2ChanguuBild 2: Ich streife gerne abseits vom offiziellen Besucherrundweg alleine durch die Insel und freue mich jedes Mal, wenn ich unvermittelt auf eine einzelne Riesenschildkröte treffe, die abseits der großen Herde Ruhe oder einen Eiablageplatz oder auf dem kargen Boden nach Grünem sucht. Das Ausheben der Nisthöhle auf dem harten Korallenboden ist für die Weibchen ein regelrechter Kraftakt. Die Schatten der Bäume verschaffen den Großreptilien Linderung von der Tageshitze - im Schatten habe ich im März mittags Temperaturen von 33 °C gemessen. Noch bei keinem Besuch auf der Insel habe ich auch nur eine einzige Schildkröte für länger als ein paar Minuten an der vollen Sonne sitzen sehen.

 

Ein Grund für die stagnierende Schildkrötenzahl sei, so hörte ich auf meine entsprechende Nachfrage, dass immer wieder ausgewachsene Tiere durch umstürzende Bäume erschlagen und dabei getötet werden, allein in den vergangenen Jahren vier Schildkröten. Überlebt hat einen derartigen schweren Unfall vor langer Zeit die mit jetzt 185 Jahren älteste Aldabra-Riesenschildkröte auf Changuu Island, ein Männchen (Bild 3), das trotz seines zertrümmerten Rückenpanzers und hohen Alters heute immer noch für Nachwuchs sorgt.

Meinen Vorschlag, alte und kranke Bäume im Gelände auf ihre Standsicherheit bei etwaigen tropischen Stürmen hin zu prüfen und gegebenenfalls rechtzeitig zu fällen, nahm man zumindest zur Kenntnis…

 

Bild3ChanguuBild 3: Schon 185 Jahre alt und immer noch befruchtungsfähig ist dieser Aldabra-Schildkrötensenior trotz seines zertrümmerten Rückenpanzers, die Folge des früheren Aufpralls eines umstürzenden Baums direkt auf das Tier. Dass der Bruch damals so gut verheilt ist, zeigt, wie zäh Schildkröten sein können.

 

 

 

 

 

 

 


 

Ein Punkt hat sich gegenüber den vergangenen Jahren verbessert: Im letzten Jahr, im März 2010, hatte ich gegenüber dem afrikanischen Management der Insel noch den extrem dichten Besatz von damals 32 juvenilen Tieren in der verrosteten Jungtier-Voliere beanstandet, denn in ihr mussten alle Nachzuchten bis zu einem Alter von fünf Jahren bleiben (siehe Bild 3 in dem weiter unten in dieser Rubrik stehenden Bericht „Riesenschildkröten beim Erwachen“). Erst dann kamen sie zu den ausgewachsenen Tieren ins Freigelände. Da konnt es nicht ausbleiben, dass ein mehrjähriges Tier mit vielleicht schon 10 oder gar 15 kg Gewicht einen erst wenige Wochen alten und noch weichen Schlüpfling erdrückte. Jetzt halten sich in der Voliere nur noch Schildkröten bis höchstens drei Jahre Alter auf. Für die juvenilen und semiadulten Tiere zwischen vier und sieben Jahren hat man Platz für ein eigenes Jungtiergehege geschaffen (Bild 4 und 5). Es nützt also schon etwas, wenn man Verbesserungsvorschläge macht, auch wenn deren Realisierung dann mitunter lange auf sich warten lässt.

 

Bild 4: Zwischen vier und sieben Jahre alt sind diese juvenilen Nachzuchten, die nunmehr auf meinen früheren Bild4ChanguuVorschlag hin (ich hoffe aber, dass sich auch noch weitere europäische Schildkrötenfreunde beschwert haben) ein eigenes Freigehege auf der Insel in der Nähe des Eingangs zum Schildkrötenteil bezogen haben. Bisher waren die bereits recht schweren Tiere in einer engen Aufzucht-Voliere zusammen mit den Schlüpflingen untergebracht.

 


 

 

 

 

 

 

Bild5ChanguuBild 5: Horst Köhler mit einer etwa sechsjährigen Aldabra-Riesenschildkröte. Leider war auf der Insel keine Waage aufzutreiben, um (neben den Hauptabmessungen) das Gewicht des Tieres zu ermitteln. Diese jungen Schildkröten (siehe auch Bild 4) sind sehr glatt gewachsen, obwohl sie ihre ersten Lebensjahre in einer überdachten Voliere unter wenig optimalen Bedingungen verbringen und damit auch nur wenig direkte Sonnenbestrahlung (UVB) erhalten. Dies ist wieder ein Beispiel dafür, dass relativ geringe UVB-Dosen ausreichend sind und die UVB-Bestrahlung von Landschildkröten nicht übertrieben werden muss.



Gleich geblieben ist trotz aller Teuerungen im Lande der Eintrittspreis von 4 US$. Geöffnet für das Publikum, das aus aller Welt kommt, ist die Schildkröteninsel täglich von 8 bis 18 Uhr. Mittlerweile werden zu Spitzenzeiten bis zu 300 Besucher täglich registriert. Leider gibt es keine Möglichkeit mehr, sich bei dem feuchtwarmen Klima mit Temperaturen um 30 °C im Schatten Getränke zu kaufen, denn sowohl das Inselhotel als auch das Inselrestaurant sind bis auf Weiteres geschlossen. Der Bauzustand dieser Gebäude lässt meiner Meinung nach auf eine äußerst unsichere Zukunft schließen. Es war ja schließlich auch abzusehen, dass das Insel-Management mit seinem Plan, ein hochpreisiges Inselhotel mit Zimmerpreisen von 400 US$ je Tag zu etablieren, Schiffbruch erleiden würde. Auch die sanitären Möglichkeiten sind eingeschränkt, zumindest im Moment. Aus diesen Gründen verlassen viele Besucher die Insel schon nach einer Stunde wieder – schade eigentlich. Für den, der die Situation vor Ort kennt und seine Getränke mitbringt, ist dagegen ein mehrstündiger Aufenthalt unter den Riesenschildkröten selbst beim vierten oder fünften Besuch immer noch ein besonderes Erlebnis (Bild 6 und 7).

 

Bild6ChanguuBild 6: Zwei noch nicht ganz geschlechtsreife Aldabra-Riesenschildkröten sitzen hier in einem kleinen, künstlich angelegten und täglich mit frischem Wasser versorgtem Mini-Teich, der für mehr als 110 Riesenschildkröten für meine Begriffe viel zu klein ist.


 


 

 

 

 

 

 

Bild7Changuu

Bild 7: Nicht ganz ungefährlich war diese Situation: Ich stand nur wenige Zentimeter neben dem Weibchen (unten) und streichelte es. Plötzlich ritt das große und schwere Männchen dahinter ohne jegliche Voranzeichen oder Balztätigkeit auf (vielleicht war es ja eifersüchtig ?) und schob dabei das Weibchen auf dem an dieser Stelle etwas lockeren Boden auf mich zu. Hätte ich meinen rechten Fuß, der nur in Sandalen steckte, nicht sofort zurückgezogen, wäre er wohl mit einigen Zentnern Gewicht belastet gewesen. Bevor ich die beiden allein ließ, drückte ich noch rasch den Auslöser für diese Aufnahme. Alle Fotos bis auf Bild 5 stammen vom Verfasser von März 2011. Bild 5 machte ein afrikanischer Parkhelfer.

 

Weiterer Beitrag zum Thema Riesenschildkröten auf Changuu Island siehe „Ein Bildbericht: Riesenschildkröten beim Erwachen“ weiter unten in dieser Rubrik

 

Dieser Beitrag wurde am 27. Oktober 2011 online gestellt.