Frage: Zurzeit halten wir neben einigen griechischen und maurischen Landschildkröten und einem ca. 800 g schweren Weibchen der nordafrikanischen maurischen Landschildkröte, Testudo graeca graeca, auch ein etwa 100 g schweres Jungtier der gleichen Unterart, vermutlich ein Männchen. Es wurde Anfang Juli 2008 in unserem Ort gefunden und uns von der Unteren Naturschutzbehörde zur Pflege überlassen. Soweit es vom Wetter her möglich war, haben wir dieses Tier in unserem Aufzuchtgehege im großen Schildkröten-Freigehege gehalten. Seit das Wetter schlecht ist, lebt es im Zimmerterrarium.
Nun aber zu unserer Frage: seit Anfang Oktober lässt die Aktivität und Fresslust dieser kleinen Schildkröte deutlich nach und sie schläft, trotz warmer und heller Haltung, tagsüber wesentlich mehr als bisher. Sie möchte wohl in den Winterschlaf gehen. Unser schildkrötenkundiger Tierarzt plädiert für einen verkürzten Winterschlaf von etwa Mitte Dezember für 8 bis 10 Wochen. Unsere übrigen Landschildkröten überwintern wir von Mitte November bis Ende März im Kühlschrank. Da maurische Landschildkröten aus Nordafrika ja nicht so kalt überwintert werden sollen wie mediterrane Schildkröten, überwintern wir unser T. g. graeca-Weibchen in einem kühlen Raum bei 11 bis 13 °C, und zwar meistens von Mitte November bis Ende Februar. Soll ich unseren kleinen T. g. graeca-Zugang genau so schlafen lassen? E.M.B., Hallertau/Oberbayern 

Antwort: Eine gewisse Unsicherheit bei der Beantwortung Ihrer Frage besteht darin, dass Sie die genaue Herkunft Ihrer zweijährigen nordafrikanischen maurischen Schildkröte Testudo graeca graeca nicht kennen, denn diese Unterart bewohnt auch in Nordafrika die unterschiedlichsten Lebensräume und damit ganz unterschiedliche Klimazonen. Pieh (2000) glaubt beispielsweise aus Funden aktiver Exemplare im Spätherbst, dass die im Sousstal südlich der Hafenstadt Agadir in Marokko lebenden T. g. graeca keinen Winterschlaf (Hibernation) halten, im restlichen Marokko möglicherweise wohl eher. Auch ein anderer bekannter Autor, Zwartepoorte (2000), ist der Ansicht, dass T. g. graeca wegen der (relativ) milden Winter im natürlichen Verbreitungsgebiet keinen richtigen Winterschlaf macht und schlägt daher vor, die Tiere während unseres Winters bei Temperaturen zwischen 18 und 23 °C zu halten.

Hufer (2002) praktiziert bei seinen tunesischen Landschildkröten (Testudo graeca nabeulensis), die an hohe Luftfeuchtigkeiten adaptiert sind, mit gutem Erfolg eine kombinierte Terrarien/Freiland-Haltung, und zwar mit verschobenen Jahreszeiten. Dies bedeutet, dass das Freiland den Winter ersetzt und die Tiere den Zeitraum Sommer/Herbst in einer Terrarienanlage verbringen. Doch glaube ich nicht, dass Ihr ca. 800 g schweres Weibchen dieser kleinwüchsigen Testudo-Unterart angehört, denn die bislang publizierten Maximalgewichte für Weibchen liegen darunter.
 
Nun haben Sie aber offensichtlich mit der Überwinterung der in Ihrem Bestand befindlichen älteren T. g. graeca bei Temperaturen zwischen 11 und 13 °C keine schlechten Erfahrungen gesammelt und berichten von einer schon jetzt bei Ihrer kleinen T. g. graeca eingetretenen Müdigkeit und einem stark nachlassenden Appetit – trotz warmer und heller Haltung. Diese Signale sollten nicht ignoriert werden. Was also tun?
Vielleicht hilft ein Blick auf die Klimatabellen weiter: man findet dort beispielsweise für unsere Wintermonate Dezember, Januar und Februar folgende regionale Langzeit-Durchschnittstemperaturen:
13,1 - 12,5 - 13,3 °C für Casablanca/Agadir oder
12,4 - 11,3 - 11,9 °C für Tunis.
Zum Vergleich: Antalya, Südtürkei (Lebensraum von T. g. ibera): 11,4 - 9,8 - 10,3 °C.
Diese Werte zeigen, dass die nordafrikanischen Schildkröten zwar mit etwas wärmeren Wintertemperaturen konfrontiert sind als z.B. T. g. graeca in der Türkei, dass aber die Unterschiede viel geringer sind als allgemein angenommen wird. Der entscheidende Unterschied ist meiner Meinung nach auch nicht so sehr die Temperatur, sondern die Bodenfeuchtigkeit, denn im Vergleich zum türkischen Antalya (Regenmenge zwischen Dezember und Februar ca. 210 mm je Monat) sind die Winter in Nordafrika mit monatlichen mittleren Regenmengen um nur 60 l (Tunis/Casablanca) sehr trocken. Gelegentlich zu lesende Aussagen, dass die Schildkrötenpopulationen in Nordafrika feucht kühle Winter erleben, kann ich deshalb nicht nachvollziehen.
 
Daraus wage ich die Folgerung, dass die nordafrikanischen Formen der maurischen Landschildkröte, speziell T. g. graeca, durchaus eingewintert werden können, und zwar bei Temperaturen um 10 °C. Denn soll die Hibernation bei der ibera-Unterart eine Selbstverständlichkeit sein, bei T. g. graeca aber nicht, nur weil die örtlichen Biotoptemperaturen im Schnitt um nur 1 - 1,5 °C höher liegen?
Allerdings ist das Substrat während der Überwinterung von T. g. graeca deutlich weniger feucht zu halten als bei der Überwinterung der weiter nördlich beheimateten griechischen oder maurischen Landschildkröten. Als Dauer des Winterschlafs erscheint bei älteren T. g. graeca drei Monate als ausreichend. Eine gelegentliche Kontrolle sollte durchgeführt werden.
 
Für Ihr 100 g schweres Jungtier T. g. graeca schließe ich mich der Meinung Ihres Tierarztes an und plädiere ebenfalls für eine verkürzte, 2 bis 2 ½ Monate dauernde Winterruhe. So lange wintere ich übrigens auch meine jeweils aktuellen T. g. ibera-Nachzuchten ein. Im letzten Winter 2007/08 befand sich sogar ein nur 12 g schweres Schildkröten-Baby (aus dem letzten, kleinen Ei des dritten Geleges seiner Mutter) darunter: bei der Auswinterung, 10 Wochen später, war kein messbarer Gewichtsverlust festzustellen.
 
Literatur:
Hufer Hilmar (2002): Die tunesische Landschildkröte. DATZ-Sonderheft „Schildkröten“.
Pieh Alexander (2000): Impressionen aus verschiedenen Lebensräumen der Maurischen Landschildkröte in Marokko – ein Reisebericht. In DRACO-Themenheft „Mediterrane Landschildkröten“, Nr. 2
Zwartepoorte Henk (2000): Die maurische Landschildkröte Testudo graeca und ihre Unterarten. Tagungsband „Schildkröten“, Natur und Tier-Verlag Münster, 2000
 
Appell
Abschließend möchte ich langjährige Halter von T. g. graeca unter den Besuchern dieser Website bitten, mir ihre Erfahrungen speziell mit deren Überwinterung (oder Nicht-Überwinterung) mitzuteilen, um meine obige Antwort zu ergänzen oder auch ganz andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Schreiben Sie bitte an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder schicken Sie einen kurzen Bericht per Post oder Fax an den Schildi-Verlag, Horst Köhler, Postfach 101926, 86009 Augsburg, Fax 0821 / 78 11 49.

 
Horst Köhler (1. November 2008)