Frage: Ich besitze eine fast 1,7 kg schwere weibliche griechische Landschildkröte (Testudo hermanni boettgeri), die etwa 70 bis 80 Jahre alt ist. Da sie am Hals ein Ödem entwickelt hat (siehe Bild 1) und sich auch nicht mehr so aktiv wie früher bewegt, stellte ich das Tier meinem Tierarzt vor. Dieser diagnostizierte aufgrund einer Blutuntersuchung schlechte Nierenwerte, vor allem einen mit 389 µmol/l deutlich erhöhten Harnsäurepegel. Außerdem ergab die gleichzeitige Kotuntersuchung einen hohen Befall mit Oxyuren (Madenwürmern). Seit der Untersuchung bekommt die Schildkröte täglich 150 mg Allopurinol mit dem Futter; tatsächlich ist das Ödem bereits merklich zurückgegangen. Zum Glück ist auch das Fressverhalten gut, denn zu einer täglichen Zwangseingabe des Medikamentes per Sonde hätte ich mich nicht durchringen können, ganz abgesehen davon, dass diese Art der Zwangsverabreichung (zusätzlichen) Dauerstress für meine erkrankte Schildkröte bedeuten dürfte.

 

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Bild 1: Deutlich ist auf dieser Aufnahme die starke Ödembildung am Hals der griechischen Landschildkröte zu sehen. Liegt die Ursache, wie im beschriebenen Fall, in Nierenproblemen (hoher Harnsäurewert), hilft bei rechtzeitigem (!) Einsatz das Medikament Allopurinol. Foto: S.D.

 

In etwa zwei Wochen wird nochmals Blut abgenommen, um die Wirkung von Allopurinol festzustellen. Der Tierarzt meint, dass die Schildkröte das Medikament wohl für den Rest des Lebens einnehmen muss. Ist dem wirklich so oder ist der schlechte Harnsäure-Pegel eine austherapierbare Angelegenheit?

S.D. (Name bekannt)

Antwort: Weil diese Thematik in dieser Schildkröten-Website bisher noch nicht behandelt wurde, vor allem aber deswegen, weil es beim Auftreten von sichtbaren klinischen Symptomen (Appetitlosigkeit bis hin zur Nahrungsverweigerung, Bewegungsunlust bis hin zu Lähmungen, Gelenkverdickungen und Ödeme) als Folge erhöhter Harnsäurewerte unter Umständen schon zu spät für eine Heilung sein kann, sei der Problemkreis hier etwas ausführlicher behandelt.

Unter einem Ödem versteht man die vermehrte Einlagerung von Flüssigkeit im Gewebe. Bei Schildkröten treten Ödeme bevorzugt am Hals (Bild 1) und an den Gliedmaßen (vor allem hinten; Bild 2) sowie an den Augenlidern auf. Die Ursachen können neben Nierenproblemen vor allem Kreislauferkrankungen, Vergiftungen und Gewebe-Beschädigungen sein. Eine Blutuntersuchung, vor allem die Feststellung des Harnsäurewertes, gibt einen Hinweis auf den Verursacher.

Gesunde Landschildkröten scheiden einen Großteil der sich bildenden Stickstoffverbindungen in Gestalt der wenig löslichen Urate aus. Urate sind die Salze der Harnsäure. Kann die Harnsäure wegen eines Nierendefektes nicht mehr über die Nieren ausgeschieden werden, kommt es zu einem Anstieg des Harnsäurespiegels im Blut und zu einer Art Rückstau. Nun setzen die Urate als feste und harte Kristalle die feinen Nierenkanäle (Nierentubuli) zu (Nierengicht) und können sogar ein totales Versagen der Nieren bewirken. Gleichzeitig werden die Harnsäure-Salzkristalle in den Gelenken als zähe Masse eingelagert (Gelenkgicht). Letzteres ist für die Schildkröte äußerst schmerzhaft, vor allem dann, wenn zusätzlich noch eine geschwollene Niere auf den Ischiasnerv drückt, Grund für eine dann auffällig werdende Bewegungsunlust.

Ist eine geschädigte Niere nicht mehr in der Lage, Wasser aus dem Organismus zu entfernen, wird dieses im Bauchraum und an den soeben genannten Stellen des Körpers eingelagert (Ödembildung).

 

deme2kleinBild 2: Ödembildung in Form sackartiger Ausstülpungen an den Hinterextremitäten eines kurz vor der Aufnahme verstorbenen, etwa sieben Monate alten Spornschildkröten-Schlüpflings (Geochelone sulcata). Es handelt sich um eines der vier Jungtiere, von denen zwei Überlebende im Foto auf der Startseite im Zusammenhang mit dem früheren Aufruf „Kümmernde Spornschildkröten-Jungtiere“ zu sehen sind. Foto: Horst Köhler.





 


Die Ursachen von Nierenproblemen bei Schildkröten werden in einer zu kohlenhydratreichen Ernährung gesehen; daneben kommen eine zu trockene Haltung (Wassermangel), eine nicht ausreichende Grundhelligkeit im Gehege (Terrarium) und/oder ein zu eiweißreiches (proteinreiches) Futter infrage. Auch die vermehrte Aufnahme von tierischem Eiweiß durch Landschildkröten (Pflanzenfresser !) kann Nierenprobleme auslösen, weil beim Abbau verstärkt Vorstufen der Harnsäure anfallen und die Ausscheidungsfähigkeit der Schildkröte überschritten werden kann. Damit ist schon aufgezeigt, wie Nierenprobleme vermieden werden können: Z.B. sollten eiweißreiche Pflanzen bzw. Gemüsesorten, wie Batavia, Brennnessel, Kresse, Spinat oder China- bzw. Blumenkohl, nie alleiniges Hauptfutter sein. Der Rohproteingehalt der Nahrung ausgewachsener Landschildkröten sollte nur etwa bis zu 20 % (bezogen auf die Trockensubstanz) betragen (neben Rohfett bis zu 10 % und Rohfaser mindestens 12 %; bei einem optimalen Calcium/Phosphorverhältnis von 1,5 bis 2 : 1). Allerdings möchte ich nicht ausschließen, dass manche Schildkrötenarten, wie Spornschildkröten im jungen Alter, besonders zur Ödembildung neigen (Bild 2). Die genaue Ursache dafür ist allerdings leider noch ungeklärt.

Nun aber zu dem berichteten Krankheitsfall. Ich habe mir die Blutwerte Ihrer Schildkröte angesehen; eigentlich übersteigt nur der Harnsäure-Pegel die für gesunde Schildkröten gemessene Höchstgrenze, mit 388 µmol/l (Mikromol je Liter) allerdings recht deutlich. Umgerechnet in die mir gewohnte Masseneinheit mg/dl (Milligramm je Deziliter) entspricht dies 6,52 mg/dl. Dies gilt aus meiner Sicht nach den mir bekannten Heilerfolgen als durchaus therapierbar, denn erst ab Harnsäure-Werten über 10 mg/dl gelten die Heilungsaussichten als „ziemlich“ schlecht. Zum Vergleich: Bei veterinärmedizinischen Schildkröten-Reihenuntersuchungen lagen die festgestellten Mittelwerte von gesunden weiblichen Schildkröten im Sommer bei etwa 4 mg/dl, im Herbst bei etwa 2 mg/dl und im Frühjahr bei 2,7 mg/dl. Dies sind Durchschnittswerte, d.h. die gemessenen Höchstpegel bei einigen Tieren liegen sogar höher. Die Harnsäure-Normalwerte bei gesunden Landschildkröten sind übrigens nicht nur abhängig von Schildkrötenart und Jahreszeit, sondern auch vom Geschlecht: Männliche Schildkröten haben höhere Harnsäurepegel als weibliche. Außerdem ist auch das Alter von Einfluss: Adulte Tiere weisen höhere Werte als juvenile auf.

Eine lebenslange Medikation muss nicht der Normalfall sein: Mir sind Krankheitsfälle bekannt, bei denen Allopurinol bis zur vollständigen Gesundung nur über zwei Monate hinweg gegeben wurde.

Die von Ihrem Tierarzt zur täglichen Verabreichung empfohlene Menge Allopurinol von 150 mg (entspricht 88 mg je kg Körpergewicht) erscheint mir etwas hoch, es sei denn, das Tier frisst nicht immer das gesamte mit dem Medikament angereicherte Futter. In der Fachliteratur (siehe Literaturverzeichnis) findet man Dosierungen um 50 mg/kg Körpermasse.

Eine erneute Blutabnahme und –Untersuchung bereits nach zwei Wochen scheint mir ferner angesichts der Belastung des Tiers (und der für Sie entstehenden Kosten) nicht unbedingt nötig zu sein. Sie sollten die Allopurinol-Gabe erst einmal vier Wochen lang durchziehen und erst dann die Blutwerte kontrollieren lassen. Sprechen Sie diese Punkte gelegentlich mit Ihrem Tierarzt durch; er kann den Zustand der Schildkröte naturgemäß besser einschätzen als ich aus der Ferne.

Ergänzend ist es angebracht, dass Sie Ihre Patientin täglich mindestens 20 Minuten lang im lau-warmen Schwarztee-Wasser baden.
Sollte der Oxyurenbefall bei Ihrem Tier wirklich massiv sein, rate ich im vorliegenden Fall zu einer Bekämpfung der Parasiten mit Hilfe des Präparates Panacur. Bei einem nur mäßigen Befall und ohne eine weitere ernsthafte Erkrankung kann nach neuerem Erkenntnisstand auf eine Behandlung verzichtet werden: fast alle in der Natur aufgefundenen Landschildkröten sind von Madenwürmern befallen.

 

Literatur:

Baur Markus (2000): Physiologie und Pathologie der Fortpflanzung bei Schildkröten, Teilkapitel "Gicht". In Artner/Meier: Schildkröten-Symposiumsband "Großes Schildkrötensymposium" Salzburg 1997, NTV Münster, ISBN 3-931587-42-8
Eggenschwiler Ursula (2000): Die Schildkröte in der tierärztlichen Praxis. Schöneck-Verlag Schweiz, ISBN 3-9522067-0-9
Dennert Carolin (2001): Ernährung von Landschildkröten. NTV Münster, ISBN 3-931587-53-5
Holz Alexandra (2007): Bestimmung hämatologischer und biochemischer Parameter bei der gesunden Europäischen Landschildkröte. Dissertation, Tierärztliche Hochschule Hannover
Köhler Horst (2008): Aufzucht europäischer Landschildkröten-Babys: Vom Ei zum robusten Jungtier. Schildi-Verlag Augsburg, ISBN 978-3-00-023839-0
Sassenburg Lutz (2005): Schildkröten-Krankheiten. bede/Dähne-Verlag, 3. Auflage, ISBN 3-898 60-110-2 

 

Horst Köhler (17. August 2012)